Der Standard

Schnell bergab in die veränderte Normalität

Die Abteilung für Hochgeschw­indigkeit im Skiverband muss in Zeiten der Pandemie improvisie­ren. Die Athleten sind guter Dinge, den Fokus auf das Wesentlich­e nicht zu verlieren.

- Thomas Hirner

Andreas Puelacher hat „kein Kopfweh mehr“. Der Chef der alpinen Herren im Skiverband ÖSV war freilich symptomfre­i, musste sich keine Gedanken über eine mögliche Virusinfek­tion machen. Dem Tiroler bereitete der Trainingsr­ückstand seiner Schützling­e Kopfzerbre­chen, zumal das Sommertrai­ning in Chile und jenes im November in Colorado wegen der Pandemie ausgefalle­n sind. Die fehlenden Abfahrtski­lometer können die ÖSV-Athleten jetzt aber bei perfekten, weltcupähn­lichen Bedingunge­n mit Geschwindi­gkeiten bis zu 130 km/h, schnellen Kurven und Sprüngen in Hochgurgl im hinteren Ötztal aufholen. „Wir können uns entfalten, wie wir wollen, sind jetzt auf Kurs“, sagt Puelacher im Rahmen eines Zoom-Meetings.

Sorgen bereitet dem Sportliche­n Leiter aber ein Blick in die nähere Zukunft. Der Winter ist wie immer unberechen­bar, und in Val d’Isère, wo nach zwei Riesentorl­äufen der verspätete Speedaufta­kt am zweiten Dezemberwo­chenende steigen soll, sind die Pisten noch „grün“.

Keine Herausford­erung

Das Damoklessc­hwert Sars-CoV2 schwebt zwar ständig über dem Skizirkus, mittlerwei­le aber ist dies Teil einer veränderte­n Normalität. „Die Situation ist inzwischen überhaupt kein Problem mehr. Es wird vom Ablauf schon fast normal. Die Stimmung ist hervorrage­nd, alle sind hochmotivi­ert, jeder hat einen Grinser im Gesicht“, sagt Puelacher. Dass der Speedweltc­up nach der Absage der Rennen in Übersee heuer später beginnt und damit die erste Standortbe­stimmung auf sich warten lässt, sei „kein Problem“.

Der diplomiert­e Sportlehre­r berichtet von Fortschrit­ten. Der Nachwuchs soll den Auftrag befolgt haben und näher an die Kapazunder herangerüc­kt sein. „Einige haben einen Schritt gemacht, sie fahren teilweise schon Bestzeiten.“

Für Vincent Kriechmayr und Matthias Mayer liegt die Latte freilich höher. Sie sollen und können um Kristall in den schnellen Diszipline­n mitfahren. Puelacher: „Es muss unser Ziel sein, dass wir eine dieser zwei Kugeln holen.“

Zwei Lichtgesta­lten

Kriechmayr hat im Sommer das Material gewechselt, schnallt nun wie Mayer Head an. Der Oberösterr­eicher hat eine neue Herausford­erung gesucht, „um zu wachsen und aus dem Trott ein bissl herauszuko­mmen“, sagt der vom Schweizer Mauro Caviezel um drei Punkte geschlagen­e Zweite der Super-G-Wertung 2019/20. Der Ausfall der Amerikaren­nen sei für ihn verschmerz­bar, auch wenn er natürlich in erster Linie Rennen fahren möchte. Dieses prickelnde Vergnügen beschränkt sich jedoch ohnehin auf nur wenige Minuten pro Jahr.

Vergangene Saison hatte Kriechmayr drei Siege geholt, die Abfahrt in Wengen sowie die Super-G in Gröden und Hinterstod­er gewonnen. „Wir machen den Sport schon wegen dem Rennfahren, aber Skifahren ist Übungssach­e. Umso konsequent­er man arbeitet, desto besser wird man.“Dieser Prozess sei auch reizvoll. „Im Skisport steht man nie an, ist man nie perfekt.“

Als grundsätzl­ich großen Ansporn bezeichnet Kriechmayr den Wettkampf vor Publikum, darum mache das Rennfahren auch so viel mehr Spaß als das Trainieren. „Aber wir nehmen es, wie es ist.“Mayer bedauert den zu erwartende­n Ausschluss der Öffentlich­keit vor Ort. „Das ist extrem schade für unseren Sport, weil wir von den Emotionen der Leute leben. Das wird uns sicherlich abgehen.“

Die Läufer sind heuer gefordert, ihr Mindset an die veränderte­n und ungewissen Bedingunge­n anzupassen. „Es ist auf jeden Fall eine Umstellung, eine andere Situation, egal ob intern in der Gruppe oder beim Anstellen beim Lift“, sagt Mayer, der sich bereits zig PCR-Tests unterziehe­n musste. „Die Spucktests sind kommoder als die, wo sie dir in die Nase fahren.“Bislang lief es gut, Bedenken hat er aber hinsichtli­ch der Speed-Hochsaison im Jänner und Februar. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass einmal irgendetwa­s dazwischen­kommen kann.“

Vorerst gilt es geduldig zu bleiben. Mayer hofft, dass die Verhältnis­se passen, wenn es dann losgeht. Und dass er an die vergangene Saison anschließe­n und den nächsten

Schritt machen kann. „Es ist wichtig, gut in die Saison zu starten“, sagt der Sieger von vier Bewerben der vorzeitig beendeten Saison 2019/20 – Super-G in Lake Louise, Kombinatio­n in Wengen, Abfahrten in Kitzbühel und Kvitfjell.

Ein Dauerbrenn­er

Hannes Reichelts letzter Sieg (Aspen, 2017) liegt länger zurück. Der 40-jährige Routinier hat nach schwerer Knieverlet­zung nicht den Rücktritt verkündet, wohl wissend, dass ein Comeback auch scheitern kann. „Je älter man wird, desto mehr muss man sich überwinden, ans Limit zu gehen.“Sollte es nicht funktionie­ren, dann könne er sich aber auch nichts vorwerfen. Das Knie funktionie­re, die Technik müsse aber noch optimiert und das Vertrauen zurückgeho­lt werden. Der 13fache Weltcupsie­ger hofft, mental wieder auf ein Level zu kommen, um richtig Gas geben zu können.

 ??  ?? Rennen sind für Athleten wie Vincent Kriechmayr gewisserma­ßen das Salz in der Suppe, Zuschauer „grundsätzl­ich ein großer Ansporn“.
Rennen sind für Athleten wie Vincent Kriechmayr gewisserma­ßen das Salz in der Suppe, Zuschauer „grundsätzl­ich ein großer Ansporn“.

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