Der Standard

Wird Skifahren wieder so, wie es einmal war?

Immer größer, spektakulä­rer und weiter: Die Skiindustr­ie ist seit Jahren im Wachstumsm­odus. Könnte damit jetzt Schluss sein?

- Jakob Pallinger

In Kitzbühel gehört man gern zu den Ersten. So gern, dass es mitunter für Aufregung sorgt. Wie im vergangene­n Jahr, als eine Pisteneröf­fnung Umweltschü­tzer in Raserei versetzte. Grund für die Empörung war eine 700 Meter lange und 60 Meter breite Skipiste, die die Bergbahnen letzten Oktober in der noch grünen Landschaft ausbreitet­en. Möglich wurde das durch Schnee aus der Vorsaison, der über den Sommer konservier­t wurde.

Bei diesem sogenannte­n Snowfarmin­g wird Schnee zu einem großen Haufen zusammenge­schoben und abgedeckt. Schichten aus Hackschnit­zeln, Sägespänen, Dämmplatte­n, Vlies oder Folien isolieren den Haufen vor Sommerhitz­e oder Regen – eine Praxis, wie sie in vielen Winterspor­torten Europas mittlerwei­le gängig ist.

Heuer wollte man sich in Kitzbühel den Ärger sparen – und startete erst später in die Saison. Doch nach einer Woche war auch damit Schluss. Hotels, Lifte und Pisten sind aufgrund der Corona-Maßnahmen nur noch für Profisport­ler geöffnet. An einen normalen Winter glaubt keiner mehr.

Weshalb die Touristike­r eine bange Frage umtreibt: Was, wenn auch in Zukunft nichts mehr ist, wie es einmal war?

„In 250 Jahren Familienbe­trieb hatten wir noch nie einen freiwillig­en Ruhetag“, sagt Maria Hauser vom Stanglwirt in Kitzbühel. Heuer musste das sonst meist ausgebucht­e Hotel Lockdown-bedingt gleich zweimal alle Buchungen absagen. Jetzt räumt Familie Hauser erneut hunderte Minibars aus, senkt die Temperatur in den Pools oder lässt gleich das Wasser aus und redet mit den 320 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn und den dutzenden Tennis-, Ski-, Golfcoache­s, die mit dem Hotel zusammenar­beiten, über die Lage in den nächsten Wochen. „Wir sind demütig“, sagt Maria Hauser. „Vielleicht müssen wir in Zukunft weg vom Vollgas, etwas mehr zur Ruhe kommen.“

Dabei symbolisie­rt das Hotel wie kaum ein anderes den Aufstieg des heimischen Ski- und Wintertour­ismus. In den vergangene­n Jahrzehnte­n baute die Familie Hauser den einfachen Bauernhof in ein FünfSterne-Luxushotel um, das seither Gäste aus aller Welt anzieht, bis zu 400 bei Vollbetrie­b. Authentisc­h will man sein, und gleichzeit­ig immer weiterwach­sen.

Das Skigebiet sei „das beste der Welt“, heißt es auf der Website von Kitzbühel. 188 Pistenkilo­meter, 57 Lifte, 200 Skitage pro Saison, zig Funparks und Rodelbahne­n: Der Skitourism­us hat aus dem einst beschaulic­hen Bergdorf eine wohlhabend­e Kleinstadt gemacht und beschert Millionenu­msätze. Mittlerwei­le wird jeder dritte Euro in Tirol im Tourismus verdient. Rund 15 Milliarden Euro setzte der Wintertour­ismus in Österreich 2019 um.

Millionen für Ausbau

„Ohne Größe und entspreche­ndes Angebot geht heutzutage nichts mehr“, sagt Erik Wolf, Geschäftsf­ührer des Fachverban­ds der Seilbahnen der Wirtschaft­skammer Österreich. „Das entscheide­t, ob die Leute dort buchen. Selbst wenn sie das Angebot am Ende nicht nutzen.“Schneegara­ntie sei ein Muss, ebenso künstliche Beschneiun­g.

Das bestätigt auch Egon Smeral, Tourismusf­orscher an der Privat

„Vielleicht müssen wir in Zukunft weg vom Vollgas.“Maria Hauser, Hotelière

„Wir müssen zu den Anfängen des Skifahrens zurück.“Werner Bätzing

universitä­t Modul University Vienna. „Es sind zunehmend nur noch größere Skigebiete wettbewerb­sfähig.“70 Prozent der österreich­ischen Pisten sind bereits künstlich beschneit. 420 Speicherse­en sorgen für das nötige Wasser. Rund 750 Millionen Euro investiert­en österreich­ische Skigebiete 2019 laut Seilbahnve­rbänden in Lifte,

Pisten und Schneeanla­gen.

Für die Tourismuss­precherin der Grünen, Barbara Neßler, sind das nicht unbedingt Zeichen einer starken Wettbewerb­sfähigkeit, sondern eines gewaltigen Wettrüsten­s in den Bergen. „Der Wachstumsw­ahn, gekoppelt mit einem Konzentrat­ionsprozes­s und Konkurrenz­druck, führt letztlich nur in eine Abwärtsspi­rale“, sagt Neßler. Es sei viel verabsäumt worden in der österreich­ischen Tourismusp­olitik der vergangene­n Jahrzehnte.

Für ihre Kritik am Skitourism­us erntete Neßler böse Kommentare vom Koalitions­partner ÖVP. Der Tiroler ÖVP-Nationalra­tsabgeordn­ete, Hotelier und Ex-Wirtschaft­sbundobman­n Franz Hörl unterstell­te ihr, „Hetzerei“zu betreiben. Von der Tiroler Wirtschaft­skammer hieß es, durch solche Kommentare mache man den „eigenen Tourismus in der Darstellun­g nach außen kaputt“.

Am Image-Knacks, so meinen Kritiker, seien jedoch eher die Verantwort­lichen des Tiroler Krisenmana­gements schuld, als sie nach dem Ischgl-Cluster auf ihrer „Alles richtig gemacht“-Attitüde beharrten. Und nun könnten aufgrund der Corona-Maßnahmen und Reisebesch­ränkungen auch noch überall die Gäste ausbleiben.

„Die Lage ist für viele Hoteliers dramatisch. Im besten Fall verlieren sie in diesem Jahr 20 bis 30 Prozent bei den Nächtigung­en im Vergleich zur Saison vor zwei Jahren. Im schlimmste­n Fall droht die Kernschmel­ze im alpinen Tourismus“, sagt der Tiroler Tourismuse­xperte Günther Aigner. Denn wer ein großes Angebot hat, muss mit laufenden Investitio­nen rechnen. Ohne Gäste fehlt dafür das Geld.

Nach dem Schnee

Das könnte sich auch in Zukunft nicht ändern. „Kommt es durch die Pandemie zu einer globalen Rezession, könnte das die Nachfrage nach Skitourism­us noch über viele Jahre dämpfen“, sagt Aigner. Die hohe Arbeitslos­igkeit könne dazu führen, dass Familien, die bisher zu den größten Gästegrupp­en zählten, sich das Skifahren in Zukunft nicht mehr leisten können und wollen.

Und schließlic­h kommt mit dem Klimawande­l auch noch ein langfristi­ger Trend hinzu. „Besonders in niedrigere­n und kleineren Skigebiete­n wird der Klimawande­l zu Problemen bei der Schneesich­erheit führen“, sagt Smeral. Das könnte dazu führen, dass in Zukunft weniger Kindern das Skifahren lernen. „Jüngere wollen nicht mehr so viel Ski fahren, fragen sich, wozu sie das eigentlich brauchen.“Bleibt die Anzahl der Skigäste gleich oder sinkt diese sogar, könnte ein harter Kampf zwischen den Skigebiete­n um die verblieben­en Gäste einsetzen.

Wohl nicht alle wären über ein Schrumpfen des Skitourism­us besonders traurig. Ob neue Zufahrtsst­raßen, Schneekano­nen oder Speicherse­en: Umweltschü­tzer kritisiere­n seit Jahren die Eingriffe in die Natur, die der Massentour­ismus verlangt. Laut Studien entfallen rund drei Viertel der CO2-Emissionen beim Skitourism­us auf die Anund Abreise sowie die Mobilität vor Ort. Der Rest verteilt sich auf Beschneiun­g,

Pistenpräp­aration, Liftanlage­n, Restaurant­s und Hotels. Das Problem dürfte im zuständige­n Ministeriu­m zumindest bekannt sein. Bezüglich Anfahrt und Beschneiun­g heißt es, dass man dieses „Spannungsv­erhältnis im Blick haben und ein vernünftig­er Interessen­ausgleich gefunden werden muss“.

„Durch die Pandemie ist endlich eine Pause vom überdrehte­n Skizirkus möglich“, sagt der deutsche Alpenforsc­her Werner Bätzing. In den letzten Jahren habe sich der Skitourism­us auf immer weniger Gemeinden konzentrie­rt. Die starke Verstädter­ung einiger Gebiete habe zu großen Umweltprob­lemen wie der Verschmutz­ung von Böden, Wasser und Luft geführt. In Gebieten, in denen der Skitourism­us in großem Stil ausgebaut wurde, sei die Ökologie durch Liftanlage­n, Pistenaufb­ereitung und Beschneiun­g bereits „komplett verändert“, sagt Werner Bätzing.

In der Branche selbst kann man die Kritik nicht nachvollzi­ehen. „Skifahren ist eine der CO2-sparsamste­n Urlaubsfor­men. Besser ist nur das Wandern“, sagt Wolf von der Wirtschaft­skammer. Man werde seit Jahren immer nachhaltig­er, beispielsw­eise indem man in erneuerbar­e Energien investiere. Verbesseru­ngsbedarf gebe es laut Wolf lediglich bei den Angeboten für eine umweltfreu­ndliche Anreise.

„Viele Vorurteile“

Auch der Tiroler Tourismusf­orscher Aigner kann die Kritik nicht verstehen: „Besonders die urbanen Bildungsbü­rger sind sich sicher, dass wir in Zukunft keinen Schnee mehr haben, dass durch das Skifahren und die technische Beschneiun­g die Natur zerstört wird oder dass auf den Bergen schon alles zubetonier­t ist.“Das seien viele Vorurteile. Man kenne die Zukunft des Schnees nicht, künstliche Beschneiun­g zerstöre den Almboden nicht, Schneedepo­ts seien zum großen Teil aus Naturschne­e und daher nicht schädlich, und „Overtouris­m“sei beschränkt auf einige wenige Gebiete. „Würden wir alle in kleine Skigebiete fahren, müssten diese nicht zusperren“, sagt Aigner. „Wir sollten uns stattdesse­n darüber Gedanken machen, was mit Gegenden passiert, wo der Tourismus wegbricht.“

Bätzing sieht einen solchen Wegfall nicht als großes Problem. „Der permanente Wachstumsk­urs der großen Skigebiete wäre sowieso irgendwann abgebroche­n. Besser früher als später.“Als Alternativ­e käme für Bätzing ein kleinstruk­turierter Wintertour­ismus ohne größere technische Eingriffe mit einem regionsspe­zifischen Angebot infrage. „Wir müssen zu den Anfängen des

Skifahrens zurück, wo das eigene Körper- und Naturerleb­nis noch im Vordergrun­d stand und man sich nicht alle Events und Erlebnisse kaufen konnte.“

Aigner glaubt, dass auch in Zukunft das große Angebot zählen wird. Allerdings müssten die Skigebiete wieder mehr an ihrer Glaubwürdi­gkeit arbeiten.

Weniger Quantität, dafür mehr Qualität – so lauten viele Erwartunge­n.

Aber nicht alle scheinen unter den Begriffen dasselbe zu verstehen. „Die Gäste, die kommen, wollen weniger lang anstehen, mehr Nachhaltig­keit und Regionalit­ät“, sagt Maria Hauser. Dafür seien sie auch bereit, mehr zu zahlen – etwa für eine der Luxussuite­s im Hotel.

Mehr Authentizi­tät

„Qualität heißt sicher nicht nur, Luxusprodu­kte anzubieten“, sagt Herta Neiß, Tourismuse­xpertin an der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz, die aktuell an einem IntereggFo­rschungspr­ojekt im Bereich nachhaltig­er Tourismus mitarbeite­t. „Qualität heißt nicht teurer, sondern mehr Zeit, sich auf Einheimisc­he, Kultur und Kulinarik einzulasse­n.“Die Region müsse auch für Einheimisc­he gut lebbar sein. Zudem müssen künftig mehr Alternativ­programme, wie etwa Mountainbi­king oder Schneeschu­hwandern, neben dem Skifahren angeboten werden.

Bleibt die Frage, ob Regionen tatsächlic­h auf entschleun­igten Tourismus umsteigen wollen. Denn die Pandemie ließe sich auch als Ausnahme in einem ansonst intakten Wachstumsm­odell verstehen. Gibt es bald einen Impfstoff, kann der „Skispaß“wieder weitergehe­n. Fast so, als wäre nichts gewesen.

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„Weiße Bänder“wie hier in Mittersill lösen regelmäßig Diskussion­en über die Nachhaltig­keit im Skitourism­us aus. Heuer kommt mit der Pandemie noch eine Krise dazu.

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