Der Standard

Sind drei Grad plus unvermeidl­ich?

Zwei Forscher behaupten, dass selbst ein sofortiger CO2-Stopp die Erderwärmu­ng langfristi­g nicht mehr aufhalten könnte. Die Modellrech­nungen sind aber umstritten.

- Klaus Taschwer

Im Normalfall denken wir nicht allzu weit in die Zukunft, wenn es um den Klimawande­l geht. Fast alle Prognosen laufen auf das Jahr 2100 zu. Die Kernbotsch­aft: Bis dahin müssen wir es schaffen, die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Dazu müsste der CO2Ausstoß

der Menschheit vor 2030 deutlich zu sinken beginnen und ab etwa dem Jahr 2050 netto null Emissionen erreichen.

Sollten wir das wirklich schaffen wollen, wären dafür große Anstrengun­gen nötig: Aktuell blasen wir täglich nämlich noch rund 115 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre und roden eine Fläche tropischen Regenwalds, die so groß ist wie fast 13.000 Fußballfel­der.

Sollten wir tatsächlic­h die Emissionsk­urve bis 2050 kratzen und keine Treibhausg­ase mehr ausstoßen, wäre dann der Klimawande­l auch langfristi­g gestoppt? Nein, behaupten zwei norwegisch­e Forscher in einem Artikel, der am Donnerstag im Fachblatt Scientific Reports erschien. Zumindest langfristi­g betrachtet hätten wir bestimmte Kipppunkte bereits überschrit­ten, behaupten Jørgen Randers und Ulrich Golüke. Bis zum Jahr 2500 wird sich laut ihren Berechnung­en die Erde in jedem Fall um drei Grad Celsius erwärmen, selbst wenn wir die Treibhausg­asemission­en sogar schon 2020 auf null reduzieren würden.

Basis ihrer aufrütteln­den Prognosen ist ein vereinfach­tes Modell, mit dem sich abschätzen lässt, wie sich verschiede­ne Treibhausg­asemission­sreduktion­en

auf Veränderun­gen des globalen Klimas von 1850 bis 2500 auswirken. Konkret liefert es Daten, wie stark die globale Temperatur und der Meeresspie­gel ansteigen werden. Für den Meeresspie­gel prognostiz­ieren die Forscher einen Anstieg um 2,5 Meter. Sollten wir es erst bis zum Jahr 2100 schaffen, die Emissionen völlig zu reduzieren, dann würde die Temperatur ebenfalls um drei Grad steigen, der Meeresspie­gel aber gleich um drei Meter.

Unaufhalts­ame Prozesse

Die Forscher nennen drei selbstvers­tärkende Prozesse, die diese Entwicklun­g laut ihrem Modell unaufhalts­am machen: Erstens würde wegen der schwindend­en Eisflächen die sogenannte Albedo zurückgehe­n, also die Reflexion des Lichts zurück ins All. Zweitens gäbe es mehr Wasserdamp­f in der Atmosphäre, und drittens würden die Permafrost­böden über Jahrhunder­te

auftauen und massiv CO2 und Methan abgeben.

Diese neuen Modellrech­nungen stoßen bei Fachkolleg­en freilich auch auf Kritik. So etwa meint Stefan Hagemann vom HelmholtzZ­entrum Geesthacht, dass die Studie zwar interessan­te Ergebnisse und Anregungen liefere. Ihr vereinfach­tes Modell sei aber nicht geeignet, um daraus irgendwelc­he relevanten Schlüsse abzuleiten.

Holger Kantz (Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme) wiederum verweist darauf, dass es im 2014 veröffentl­ichten fünften Sachstands­bericht des Weltklimar­ats (IPCC) mehrere Prognosen der globalen Durchschni­ttstempera­tur bis zum Jahr 2300 gebe, die auf besseren Modellen beruhen: „In allen drei betrachtet­en Szenarien endet der Temperatur­anstieg bis 2300, im optimistis­chsten Emissionss­zenario geht die Temperatur bis auf den Wert im Jahr 2000 zurück.“

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Foto: Imago / Ralph Peters Kommt der CO2-Stopp womöglich schon zu spät?

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