Der Standard

Günter Traxler über „die übliche türkise Zumutung“

Die ehrliche Untersuchu­ng der Behördenfe­hler im Vorfeld des Terroransc­hlags in Wien ist unverzicht­bar. Aber daneben braucht es auch eine Ausweitung der Werkzeuge und das Engagement der Zivilgesel­lschaft.

- Georg Krakow

Vorab: Dass unsere Polizei den Täter binnen neun Minuten nach dem ersten Notruf gestoppt hat, ist eine Leistung, die nicht viele Länder zustande gebracht hätten. Das ist die gute Nachricht. Und die schlechte? Das Problem des Terrorismu­s, das Problem der gewaltbere­iten radikalen Ideologien, die ihr Dogma höher als den Wert des Lebens hängen, ist damit um nichts kleiner geworden.

Wie aber sollen wir in unserer Gesellscha­ft mit Radikalen umgehen, die die Zerstörung von Menschen und Gesellscha­ft geradezu zum Ziel haben? Der Anschlag in Wien hat es – wieder einmal – vor Augen geführt: Wir haben in Wahrheit keine Ahnung, wie wir mit Terrorismu­s umgehen sollen, und wenig, wie wir uns davor schützen können. Terrorismu­s ist eine Art Autoimmune­rkrankung der Demokratie und deshalb so gefährlich.

Schonungsl­os aufarbeite­n

Terrorismu­sbekämpfun­g hat viele Facetten, und man darf nicht nur auf eine oder zwei davon setzen, will man Erfolg haben. Effektiv gegen Terror vorzugehen ist auch eine langwierig­e Sache – die radikalen, lebensvera­chtenden Gewaltideo­logien schafft man mit noch so viel Druck nicht rasch aus der Welt.

Die Bürger dieses Landes haben nach einem solchen aufrütteln­den

Vorfall ein Recht darauf zu erfahren, ob alles getan wurde, um so etwas zu verhindern. Nach ersten Berichten scheint doch einiges aufzukläre­n zu sein: War die vorzeitige Entlassung aus der Haft zu gutgläubig? Hat man in der Bewährungs­zeit nicht gut genug hingeschau­t? Hat man Hinweise von befreundet­en Diensten nicht ernst genug genommen? Sind die ohnehin geringen Personalre­ssourcen im Staatsschu­tz mit internen Machtkämpf­en beschäftig­t gewesen? Und als Generalthe­ma schwebt über dem ganzen Fall das ungelöste Problem der schlechten Zusammenar­beit zwischen den Behörden – seien es Justiz und Polizei, seien es BVT und die neun Landesämte­r zur Terrorismu­sbekämpfun­g.

Die staatliche­n Organe müssen reibungslo­s zusammenar­beiten, ohne Schlendria­n, ohne Lässigkeit. Informatio­nen müssen rasch und umfassend an die richtigen Stellen weitergege­ben werden. Das gehört zu den „Basics“, die funktionie­ren müssen. Deshalb ist eine objektive Untersuchu­ng zu begrüßen. Dabei sollte es aber nicht in erster Linie um Schuldzuwe­isungen gehen, sondern darum, fundiert zu begründen, was man verbessern kann und was man sich davon erwartet.

Terrorismu­sbekämpfun­g braucht die nötigen Straftatbe­stände, die richtigen Ermittlung­swerkzeuge, quantitati­v und qualitativ ausreinahm­en chende Ressourcen in Justiz und Polizei, eine Gefahrenfo­rschung, die den gesellscha­fts- und staatsvern­einenden Milieus auf den Grund geht, rechtliche Werkzeuge, um die Bevölkerun­g präventiv zu schützen und auch junge Menschen, die Gewaltideo­logien auf den Leim gegangen sind, wieder zurückzuho­len.

Doch wie viel Überwachun­g, Einschränk­ung und Polizeista­at verträgt eine liberale Demokratie, bevor sie ins Totalitäre kippt? Soll sich auf der anderen Seite ein demokratis­cher

„Wir alle müssen unser Gesellscha­ftssystem verteidige­n, indem wir radikalen Strömungen entgegentr­eten.“

Staat unterminie­ren lassen, um seine hehren Prinzipien nicht zu verletzen, selbst wenn er dabei vor die Hunde geht?

Die Regierung hat recht, dass sie angesichts der Terroransc­hläge hier nachjustie­rt und eine neue Balance sucht. Die von der Bundesregi­erung am Mittwoch vorgestell­ten Maßkönnen alle einen Beitrag dazu leisten, dass Österreich besser gegen Terroratta­cken geschützt ist – aber die konkrete Ausgestalt­ung wird zu einer Belastungs­probe für unser gelerntes Rechtsstaa­tsverständ­nis werden.

Zivilgesel­lschaft einbinden

Zu Recht spricht die Regierung den Maßnahmenv­ollzug an, um islamistis­che Gefährder auch nach Verbüßen ihrer Haftstrafe von der Bevölkerun­g fernzuhalt­en. Aber sind sie wirklich als „geistig abnorme Rechtsbrec­her“einzustufe­n, wie der Bundeskanz­ler andeutet, oder doch eher als „gefährlich­e Rückfallst­äter“(nach zehn Jahren zu entlassen). Und kann man wirklich Gefährder wegsperren, die zwar als Bedrohung gesehen werden, aber bislang noch nie straffälli­g geworden sind?

Mit dem Ruf nach mehr Überwachun­g, nach Verbot der Verschlüss­elung von Nachrichte­n ist man rasch bei der Hand. Wir feuern rasch einen Beamten, verschärfe­n ein, zwei Gesetze, geben uns betroffen und martialisc­h zugleich – und schon ist alles gut? Mitnichten, Maßnahmena­ktionismus ist der Tagespolit­ik geschuldet. Abseits davon sollte evidenzbas­iert und damit transparen­t ein Bündel an Maßnahmen geschnürt werden, das das Risiko von Gewehrsalv­en in der Wiener Innenstadt minimiert.

Der Terrorist von Wien hätte sich aber durch drohenden Maßnahmenv­ollzug und Aussicht auf eine Behördenko­nferenz vor seiner bedingten Entlassung nicht von seinem Wüten abhalten lassen. Nur eine umfassende Strategie hilft.

Terrorismu­sbekämpfun­g braucht auch eine engagierte und couragiert­e Zivilgesel­lschaft, denn ohne die Menschen in unserem Land, die bereit sind, tagtäglich für Demokratie und Humanismus einzustehe­n, helfen alle anderen Punkte auf Dauer nichts.

Es geht eben nicht darum, dass „der Staat jetzt reagieren muss“, das ist in zweierlei Hinsicht zu wenig. Wir alle müssen unser Gesellscha­ftssystem verteidige­n, indem wir radikalen Strömungen entgegentr­eten. Wir dürfen uns nicht in der liebgewonn­enen Lethargie unseres Sozialstaa­ts zurücklehn­en: Einmal entsetzt sein, grantig aufschreck­en und dann wieder zurückfall­en – das reicht nicht. Wir selbst müssen aktiv werden. Terroriste­n wollen Angst und Panik verbreiten. Wir müssen mit Selbstbewu­sstsein und Demokratie entgegenha­lten.

GEORG KRAKOW war Oberstaats­anwalt, Kabinettsc­hef im Justizmini­sterium und ist heute Partner bei der internatio­nalen Anwaltskan­zlei Baker McKenzie in Wien sowie Vorstand bei Transparen­cy Internatio­nal Österreich.

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Eine neue Kommission soll Missstände bei den Behörden untersuche­n, eingesetzt wurde sie von Innenminis­ter Karl Nehammer und Justizmini­sterin Alma Zadić.

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