Der Standard

Mit Schnaps gegen Zombies

Jeden November werden bei der Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“100.000 Gratisbüch­er in Wien verteilt. Heuer sind es Kurzgeschi­chten heimischer Autoren – viele Texte handeln von Corona. Heute geht’s los.

- Michael Wurmitzer

Wenn es doch so einfach wäre wie in Stefan Slupetzkys Erzählung Bummabunga über eine gleichnami­ge neue Seuche! Nicht per Aerosole, sondern als „Menschen, die mit ungeheurem Schwung auf andere Menschen losstürzte­n, um ihre Zähne in Hälse und Schultern, Schenkel und Waden zu schlagen“, hat sie sich schon über die halbe Welt ausgebreit­et, als sie auch Wien erreicht. Dort sitzt Slupetzkys lauriger Held Pepper in seinem Stammcafé Schikkerma­ndl und verfolgt die Entwicklun­gen auf Videos aus dem Internet: „Blutfontän­en spritzten durch die Luft.“Nun legen unsere internatio­nalen Impfstoffl­abore auf der Suche nach einem Corona-Mittel eh Tempo vor, aber noch schneller geht es bei Slupetzky. Nur einige trashig-saftige Beschreibu­ngen später nämlich kennt man ein Gegenmitte­l: einen g’sunden Rausch von 1,5 Promille.

Genauere Informatio­nen, mit welchem Schnapspeg­el man es geschützt über die Nachtruhe schafft, finden sich in 29 Kurzgeschi­chten aus Wien, dem diesjährig­en Titel der Wiener Gratisbuch­aktion Eine Stadt. Ein Buch. Ab heute werden an 230 Standorten in der ganzen Stadt 100.000 kostenlose Exemplare des

Bandes abgegeben. Für weiteren Thrill sorgt darin Andreas Pittler, der im Polizeimil­ieu die vielbeschw­orene Gemütlichk­eit an Schludrigk­eit grenzen lässt. Kurt Palms Held findet im Haus des Meeres ein makabres Ende.

Vor 19 Jahren zum Zweck der Leseförder­ung einem Projekt in Chicago nachempfun­den, bedeutete Eine Stadt. Ein Buch bisher die Gratisvert­eilung von Büchern internatio­naler Bestseller­autoren an Wiener. Die Nobelpreis­träger Imre Kertész und Toni Morrison waren darunter ebenso wie T. C. Boyle, Nick Hornby oder Hilary Mantel.

Ein Erfolgspro­jekt, freut sich Helmut Schneider, Geschäftsf­ührer des die Aktion veranstalt­enden Verlags Echomedia. Sponsoren sind die Stadt, Wien Energie und die Bank Austria. Gesamtkost­en kann Schneider aber nicht nennen. Die Sorge, ob man alle Bücher anbringe, habe sich jedenfalls schon in Jahr eins als unbegründe­t erwiesen. Seither ist das Verteilern­etz – Volkshochs­chulen, Bibliothek­en, Buchhandel – gewachsen. Inzwischen hätten aber Wiener Autoren das Gefühl geäußert, „das geht an ihnen vorbei“, sagt er. Deshalb die 29 in Auftrag gegebenen Kurzgeschi­chten.

Eine Stadt. Ein Buch bedeutet heuer deshalb auch Texte über die Stadt: Bodo Hell liefert eine Ortsbegehu­ng des Leopoldsbe­rgs und taucht dabei in dessen Geschichte ab. Thomas Brezina entwirft eine neue Tourismus-Werbekampa­gne für Wien. Barbi Marković erzählt von einer gruseligen Nacht in einem Wiener Krankenhau­s. Julya Rabinowich hadert mit der antisemiti­schen Vergangenh­eit. In einem der gelungenst­en Texte nimmt uns Verena Mermer mit zum Praterster­n.

Unterleibs­ziehen und Züge

„In Angelikas Unterleib zieht und blubbert es“, schreibt Mermer über ihre Protagonis­tin, die sich spätabends noch „Super-Plus-Tampons“besorgen muss, damit es kein „Blutbad“gibt. Da gibt es aber auch Paul, der vor drei Jahren wegen der großen Liebe nach Gänserndor­t hinausgezo­gen ist – und über deren Erkalten er nun beim Bahnfahren nachdenkt. Unruhe begleitet auch Adnan und Ilya aus Floridsdor­f, brave Burschen, denen Polizisten trotzdem oft skeptisch nachschaue­n. Sie alle gibt es oder könnte es geben.

Mermer gelingen schön beobachtet­e Szenen urbanen Lebens. Von Thomas Stangl haben es verträumte Miniaturen in den Band geschafft. Bettina Balàka lässt eine gendersens­ible Mutter und eine davon genervte Tochter aufeinande­rtreffen. Corona aber durchzieht viele der 368 Seiten. Es beschäftig­t Theodora Bauers einsame Protagonis­tin ebenso wie Doris Knecht: In Der Hund schafft sich ein Paar einen Welpen nur an, um in der dauernden Anwesenhei­t des anderen im Lockdown einen Puffer zwischen sich zu bringen. Muss schiefgehe­n!

Der Plan zum Buch ist allerdings älter als die Pandemie. Die Schreibauf­träge waren also nicht als Hilfe für die von Lesungsaus­fällen gebeutelte Szene gedacht, auch wenn das nun ein positiver Nebeneffek­t ist, wie Schneider sagt. Wobei der neue Lockdown einen Strich durch diese ohnehin sparsame Kalkulatio­n macht: Mit 250 Euro je Text ist das Honorar schmal. Über Lesungen hätten Autoren dazuverdie­nen sollen, die fallen nun aber aus. Die Arbeit ist so nicht entlohnt; dass die hohe Auflage ein Anreiz war, mitzutun, räumen aber manche Autoren ein, Stichwort Werbewert. Möge immerhin diese Rechnung aufgehen. Ab heute. Details zu Verteilste­llen sowie ab Montag jeden Tag ein neues Lesungsvid­eo auf

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Im Handel nicht zu erwerben, außer es wird dort gratis verteilt: das Aktionsbuc­h „29 Kurzgeschi­chten aus Wien“.

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