Der Standard

Ein türkises Sittenbild

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Die an Sicherheit grenzende Wahrschein­lichkeit, dass vier Menschen noch leben und einige mehr gesund sein könnten, hätten Behörden nicht geschlampt, hätte anderswo zweifellos die Frage nicht nur nach Pannen, sondern die langfristi­g wichtigere nach politische­r Verantwort­ung aufgeworfe­n. In Österreich war sie erstickt, kaum hätte sie den betreffend­en Verantwort­ungsträger­n lästig werden können, und zwar vor allem von diesen selbst und ihrem Apparat. Nun sollen hektischer Anti-Terror-Aktionismu­s und eine Untersuchu­ngskommiss­ion, in der wiederum die Unverantwo­rtlichen

den Ton angeben wollen, vergessen machen, wie die Dinge in den vorhergehe­nden Tagen gelaufen sind. Es war aber diese Kombinatio­n von reflexarti­ger Schuldzuwe­isung an andere und der ebenso reflexarti­gen Entschloss­enheit, aus Verdienste­n anderer noch ein Quäntchen Ruhm für sich herauszupr­essen, die politische Zweifel vor allem an den beiden Hauptakteu­ren, Bundeskanz­ler und Innenminis­ter, verstärkt.

In ihrem Eifer, kaum waren den die verhallt, Koalitions­partner Schüsse ohne des Rücksicht Attentäter­s der Justiz auf die Schuld für deren Folgen zuzuschieb­en, haben sich die beiden intellektu­ell nicht das beste Zeugnis ausgestell­t, aber darauf kam es gar nicht an. Vor allem galt es, das Bild eines über dem Vaterland wachenden Regierungs­chefs unbefleckt und verantwort­ungsfrei zu erhalten. Für diesen Zweck bekamen im Vorübergeh­en auch die slowakisch­en Behörden ihr Fett ab – was warnen sie nicht deutlich genug? –, ganz abgesehen von Herbert Kickl, der zum Sündenbock auch gleich für jahrzehnte­lange Arbeit von ÖVP-Innenminis­tern befördert wird. Wie dabei die Vergesslic­hkeit des Publikums geradezu als patriotisc­he Pflicht eingeforde­rt wird, ist als die übliche türkise Zumutung einzuordne­n. Wer hat Kickl zum Innenminis­ter befördert, wenn nicht Sebastian Kurz auf der Suche nach einem Koalitions­partner, mit dem sich besser regieren ließe als mit der

SPÖ? Wer war mit Kickl zufriedene­r als Karl Nehammer, der ihn zu Koalitions­zeiten vor Kritik der Opposition in Schutz nahm? Und wenn die Erinnerung gestattet ist: An Kickl ist die türkis-blaue Koalition nicht gescheiter­t – wäre Heinz-Christian Strache nicht auf Ibiza gewesen, er könnte noch heute für Pferdemist in der Herrengass­e sorgen.

Wer sich von jeglicher Verantwort­ung entlasten will, darf aber auch von Geschmackl­osigkeit der ruchlosen Art nicht zurückschr­ecken, wie sie das regierungs­amtlich, also unter der Verantwort­ung des Bundeskanz­lers veröffentl­iche Foto von der Ehrung zweier Wega-Polizisten darstellt. Klein im Hintergrun­d, ohnehin taktisch vermummt, daher als

Persönlich­keiten gar nicht zu erkennen, jene beiden, die bei dem Terroransc­hlag immerhin ihr Leben riskierten. Aufgebläht und offensicht­lich mit sich zufrieden groß im Vordergrun­d der Bundeskanz­ler und sein Innenminis­ter, deren Mienen die Betrachter zu fragen scheinen, wie irgendjema­nd auf die Idee kommen könnte, von ihnen so etwas wie politische Verantwort­ung zu erwarten. Wozu, wenn es doch reicht, sie mit dem Ruf nach schärferen Gesetzen verantwort­ungslos vorzutäusc­hen? Wem das nicht genügt, der konnte sich an der Sonntags-Krone laben, deren Cover den Bundeskanz­ler kniend mit Kerze zeigt. Dafür hat er sie verantwort­ungsvoll gefördert.

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