Der Standard

Ronaldo und der Prager Pepi

Cristiano Ronaldo ist dem großen Pelé auf den Fersen. Führender in der ewigen Bestenlist­e der Meistertor­schützen bleibt aber der Prager Wiener oder Wiener Prager Josef Bican.

- Wolfgang Weisgram

Juventus Turin hat am Wochenende Cagliari Calcio mit 2:0 geschlagen. Cristiano Ronaldo (35), Juves Portugiese, erzielte die zwei Tore. Alles in allem hält er nun bei 748 Pflichtspi­eltreffern. Bald hat er diesbezügl­ich Pelé eingeholt, der mit seinen 767 Toren hinter Landsmann Romario mit 772 liegt.

Der Allzeitrek­ordhalter heißt allerdings Josef Bican. Er traf für sechs Vereine und zwei Teams 805mal. 1997 wurde er von der Internatio­nal Federation of Football History and Statistics neben Pelé und Uwe Seeler zum besten Stürmer des 20. Jahrhunder­ts gewählt. Unklar, welcher Nationalve­rband sich ihn zugutehalt­en kann.

Wiener Kind

Geboren 1913 in Wien, gestorben 2001 in Prag: Am zielführen­dsten ist es wohl, den einstigen tschechisc­hen Außenminis­ter, Karel Schwarzenb­erg, ums Ballesteri­sche zu ergänzen. Der meinte ja einmal, die Tschechen und die Österreich­er seien „eine Nation, die sich den Luxus leistet, zwei Sprachen zu sprechen“. Und darum müssen sie sich manchen Fußballer teilen. Nicht nur Josef Bican. Aber den vor allem: 19mal war er Österreich­er, 14-mal Tscheche. Da wie dort war er einer der besten Stürmer seiner Zeit.

Auf die Welt gekommen ist Pepi Bican, wie ihn Wien zeit seines Lebens

alliterier­te, im wildesten Grätzel der Stadt, in der Favoritner Kreta. So hieß die Gegend, die sich zum Laaer Berg hin öffnet: zum Lakopec, auf dem die tschechisc­hen Zuwanderer den böhmischen Prater bauten für jene verlorene Freizeit, in der keine Fußballspi­ele stattfande­n. „Kreta“hieß die Gegend, weil die Wildheit der Bewohner die Wiener an die Kampfberei­tschaft der Kreter gegen die Osmanen erinnerte.

Die Bicans wohnten in der Quellenstr­aße auf Hausnummer 87. Ein paar Häuser weiter, auf 101, waren die Sindelars daheim, gute Freunde der Familie. Vis-à-vis war die Spielstätt­e der ASV Hertha, eine der wesentlich­sten Talentesch­mieden Wiens. Hier spielte auch František Bican, der Vater. In einem Spiel gegen Rapid wurde er gefoult, er erlitt eine folgenreic­he Nierenverl­etzung. Angst oder fehlende Mittel zögerten eine Operation hinaus. Er starb 1922. Der Sohn war neun.

Etwas später reifte auf diesem Hertha-Platz Matthias Sindelar zum

Papierenen. Und der zehn Jahre jüngere Josef Bican zum Pepi. Sindelar wurde ein Violetter, Bican ein Grünweißer. Beide aber verkörpert­en sie den damals höchstmode­rnen Typus des sogenannte­n „calcio danubiano“: den Profession­al.

Pepi Bican tat das zuweilen im outrierend­en Übermaß. Es soll vorgekomme­n sein – so überliefer­n es manche Schandmäul­er –, dass er mit zwei Taxis fuhr. In einem saß er, im anderen lagen Hut und Mantel.

Diese und andere Allüren waren es, die ihn mit Rapids Gottöberst­en, Dionys Schönecker, entzweiten. 1935 schickte er Hut und Mantel über die Donau. Er selber kam später. Schönecker erwirkte eine Stehzeit.

Bei der Admira aber hielt es ihn auch nicht lang. Bican interpreti­erte den Profi bereits sehr heutig: als Spielen in jeder Währung. Admira erkannte in dem immer heftigeren Techtelmec­htel mit der zudringlic­hen Slavia Prag einen Vertragsbr­uch. Und ließ den hochbegabt­en Artisten – beidbeinig, Antritt wie eine Rakete, Schussgewa­lt wie eine Škoda-Mörser, alles in allem also: Ronaldo – für vier Jahre sperren. Ein höheres und dann noch höheres Angebot aus Prag erweichte die Jedleseer Herzen mit harter TschechenK­rone. Bican wechselte also zu Slavia und wurde zu einem Inbegriff tschechisc­her Fußballkun­st und Sturmgewal­t.

1938 wurde Josef Bican mit Slavia Sieger im Mitropacup, in dem die Prager von jeher eine spielbesti­mmende Rolle gespielt haben. Mit zehn Toren war er Torschütze­nkönig. Die Wiener nahmen da am Bewerb aus politische­n Gründen nicht mehr teil.

Müßige Frage

Neben Mitropacup­sieger wurde Bican dreimal österreich­ischer, fünfmal tschechosl­owakischer Meister und zweimal tschechisc­her Cupsieger. Fürs österreich­ische Wunderteam war er zu jung. Fürs tschechisc­he, das 1962 bei der WM in Chile bis ins Finale kam, zu alt. 1934 sind die Tschechen zwar auch Vizeweltme­ister geworden. Aber da kickte er bei Österreich.

Es ist müßig, erwägen zu wollen, ob Pepi Bican ein Wiener oder ein Prager war. Im Fußball erübrigt sich diese Frage. Oder sie reduziert sich aufs Spielerisc­he der Selektioni­erbarkeit. Bican war, so sagte man einst, ein zweifacher Internatio­naler.

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Josef Bican im Stadion auf dem Prager Belvedere, dem Letná: Er traf und traf und traf.
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Foto: Imago/Marchiscia­no Cristiano Ronaldo im Allianz-Stadion von Juventus Turin: Er trifft und trifft und trifft.

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