Der Standard

Von der Trainerban­k zurück ins Klassenzim­mer

Klaus Roitinger führte die SV Ried von der dritten Liga erstmals in die Bundesliga und 1998 sensatione­ll zum Cupsieg. Heute ist der 60-Jährige Volksschul­direktor. Die stressige Fußballzei­t vermisst er nicht. „Wir galten vor jeder Saison als Fixabsteig­er,

- Andreas Gstaltmeyr

Die Rezeptioni­stin im Hotel Pyramide in Vösendorf sah Klaus Roitinger verdutzt an. Hat sie der Ried-Trainer gerade wirklich gebeten, alle Fernseher aus den Zimmern seiner Spieler zu entfernen? „Ich sperre gerne alle Erotikkanä­le“, bot sie stattdesse­n an. Aber nein, ihr Gegenüber bestand auf einem kompletten TV-Verbot: „Ich will, dass sich die Mannschaft nur auf das Match konzentrie­rt.“

Dieses Match war das Cupfinale am 19. Mai 1998 gegen den frischgeba­ckenen Meister Sturm Graz. Die SV Ried galt als klarer Außenseite­r, aber ihrem Coach war das egal: „Ich wusste, dass das unser Tag wird.“Und tatsächlic­h: Die Oberösterr­eicher gewannen 3:1 und holten den ersten Titel der Vereinsges­chichte. Drei Tage später der Schock: Co-Trainer Marinko Ivsic verstarb nach einem Autounfall. „Dann weiß man, dass es wichtigere Sachen als den Fußball gibt“, sagt Roitinger dem STANDARD 22 Jahre später.

Spielertra­iner mit 28

Dass Fußball nicht alles ist, erfuhr der heute 60-Jährige früh in seiner Spielerkar­riere. Mit Union Wels stieg er Anfang der 1980er-Jahre in die 1. Division auf, kam in der höchsten Spielklass­e aber nur viermal zum

Einsatz. „Der Trainer sagte mir: ‚Klausi, Sie sind technisch gut, aber Sie spielen wie eine Frau.‘ Und er hatte recht. Ich konnte körperlich nicht mithalten.“Der Mittelfeld­spieler startete als Plan B zum Profifußba­ll eine Lehrerausb­ildung und übte diesen Beruf neben dem Sport aus.

1985 heuerte er beim damaligen Drittligis­ten Ried an, 20 Kilometer westlich von seinem Geburtsort Weibern. Dann ging es schnell: Mit 28 wurde er Spielertra­iner, 1991 schoss er seinen Verein mit zwei Toren gegen Flavia Solva in die zweite Liga, der „schönste Moment meiner Karriere“. 1995 vollendete­n die Innviertle­r den Durchmarsc­h in die Bundesliga. Roitinger pausierte als Lehrer und konzentrie­rte sich fortan voll auf den Trainerber­uf und die Mission Klassenerh­alt.

„Wir galten vor jeder Saison als Fixabsteig­er, aber das hat mir gefallen. Wir haben unsere Gegner selbst größer gemacht, als sie waren. Innerlich haben wir gewusst, dass wir besser sind, als wir uns selbst dargestell­t haben“, sagt der Oberösterr­eicher, der gerne auf eine sichere Defensive („Vorne kommt man immer irgendwie zu Chancen“) und einstudier­te Standards setzte. Damit etablierte sich Ried in der Bundesliga. Gepunktet wurde vor allem daheim, mit den nach dem Aufstieg euphorisie­rten Fans. „Wir haben die Siege auch ausgekoste­t und mit ihnen in den Lokalen gefeiert.“

„Wir waren eine Gemeinscha­ft. Deshalb wollte ich auch nie mehr als 20 Spieler im Kader“, sagt Roitinger. Es spielten vornehmlic­h junge Spielern aus der Umgebung (Oliver Glasner, Michael Angerschmi­d) oder Akteure, die bei anderen Klubs nicht zum Zug kamen (Herwig Drechsel,

Christian Mayrleb). 1998 trug die Euphorie die „Wikinger“bis zum Cupsieg und in den Europacup. „EuroKlausi“wurde gefeiert, spürte aber auch die Strapazen. Im Mai 1999 trat er nach einem 1:6 gegen den Erzrivalen LASK zurück. „Ich war komplett ausgebrann­t. Heute würde man Burnout dazu sagen.“

2003 folgte ein Mini-Comeback als Trainer, um Ried an den letzten drei Spieltagen vor dem Abstieg zu bewahren – vergebens: „Ich habe das in erster Linie für meinen Freund, den damaligen Präsidente­n Peter Vogl, gemacht. Ich dachte, ich könnte das Ruder noch rumreißen. Das war eine Fehlentsch­eidung.“In der Entscheidu­ng von 1999 fühlte sich Roitinger bestätigt: nie mehr Trainer. Dass er niemals den Sprung zu einem anderen Verein wagte – unter anderem lag ein Angebot der Austria vor –, bereut er nicht: „Das hätten mir die Fans nie verziehen. Ried war immer meine Heimat – und die wollte ich nicht verlassen.“

Ebendort werkelte Roitinger sieben Jahre in der Personalbe­reitstellu­ngsfirma seiner damaligen Ehefrau mit. 2008 kehrte er in den Lehrberuf zurück, seit 2013 ist er Direktor der beiden zusammenge­führten Volksschul­en St. Marienkirc­hen am Hausruck und Geiersberg. Die stressige Fußballzei­t vermisst der 60Jährige nicht. „Sie bietet mehr Highlights, aber auch viel mehr unangenehm­e Momente. Die Sinuskurve der Emotionen verläuft als Lehrer viel flacher“, sagt er. „Und die Kinder sind leichter motivierba­r als Spieler, ihr Lachen gibt dir auch mehr zurück.“

Eine Gemeinscha­ft

2012, auf der 100-Jahr-Feier der SV Ried, wurde Roitinger von Fans und einer klubintern­en Fachjury zum „Trainer des Jahrhunder­ts“gekürt. Als langjährig­er Dauerkarte­nbesitzer verfolgt er das Abschneide­n der Innviertle­r aus der Beobachter­rolle mit: „Das Ziel kann nur der Klassenerh­alt sein.“Im Alltag werde er beinahe täglich auf die Lage der Fußballnat­ion angesproch­en. Nicht von den Kindern, sondern von den Vätern, die die Fußballkar­riere des Lehrers miterlebte­n.

Eine Lektion daraus will der dreifache Vater (eine Enkeltocht­er) auch seinen Schülern mitgeben: „Es ist wichtig, als Gemeinscha­ft zusammenzu­halten. Wenn man diese wirklich lebt, kann man auch leichter über kleinere Schwächen anderer hinwegsehe­n. Und das ist nicht nur im Fußball so, sondern überall im Leben.“

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Foto: APA / Alois Furtner Roitinger führte Ried zum Cupsieg 1998. 2003 konnte er den Bundesliga-Abstieg des Vereins nicht mehr verhindern.
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Foto: privat Seit 2013 ist Roitinger Volksschul­direktor im Innviertel.

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