Der Standard

Soll die Wirtschaft wegen Corona ganz herunterfa­hren?

Debatte in Deutschlan­d gewinnt an Fahrt – Experte Czypionka: Hohe Kosten, wenig Nutzen

- Birgit Baumann, Andreas Schnauder

Schulen, Lokale, Geschäfte, Bibliothek­en, Museen – dies und noch viel mehr ist in Deutschlan­d schon geschlosse­n. Und dennoch: Die Zahl der mit Corona neu Infizierte­n ist nicht so niedrig, wie es sich viele Politiker erhofft haben. Um die Zahlen zu senken, hat der Ministerpr­äsident von Thüringen, Bodo Ramelow (Linksparte­i), einen drastische­n Vorschlag gemacht. Er will die gesamte Wirtschaft in den Lockdown schicken.

„Wir müssen jetzt einfach einmal eine komplette Pause machen. Ich sehe keine Alternativ­en.“Alles, was nicht lebensnotw­endig ist oder systemisch nicht abgestellt werden kann, solle man vier Wochen lang abstellen. Während sich die Grünen an seine Seite stellen, trifft Ramelow bei der CDU und Wirtschaft­svertreter­n auf Widerstand. In der CDU heißt es, viele Branchen würden einen kompletten Lockdown nicht überstehen.

Merkel skeptisch

Auch die Bundesregi­erung ist skeptisch: Der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert, betonte, jetzt würden erst einmal neue Kontaktbes­chränkunge­n umgesetzt, schloss aber weitere Verschärfu­ngen nicht aus.

Gegen eine Verschärfu­ng ist auch der neue Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm. Es gebe keine Evidenz dafür, dass Produktion­sstandorte der Industrie Corona-Hotspots seien. Er erwartet von der Politik vielmehr explizite Vorschläge für Lockerunge­n, wo immer sie „möglich und vertretbar“seien.

Die Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt fordert ein Recht auf Homeoffice: „Wir brauchen eine Corona-Arbeitssch­utzverordn­ung, die Unternehme­n verpflicht­et, überall dort, wo es möglich ist, Homeoffice jetzt auch anzubieten.“Arbeitgebe­rvertreter Steffen Kampeter lehnt das ab.

In Österreich befragte DER STANDARD den Gesundheit­sökonomen Thomas Czypionka zu einem kompletten Lockdown. Der

Experte am IHS kann dem nichts abgewinnen, weil Infektione­n in Betrieben „kaum eine Rolle“spielen. Auch der Weg zur Arbeit könne Corona-frei absolviert werden, wenn Abstand gehalten und Maske getragen werden. Büros hält Czypionka tatsächlic­h für eine Infektions­quelle, allerdings könne diese mit reduzierte­m Personalst­and, Disziplin und mehr Homeoffice weitgehend ausgetrock­net werden.

Die größten Effekte hätte die Einschränk­ung privater Treffen – inklusive Wirtshaus – vor Schulschli­eßungen. Jetzt gehe es darum, die Bevölkerun­g besser zu motivieren. Ein kompletter Lockdown hingegen verursache hohe Kosten und bringe wenig Nutzen.

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