Der Standard

Charles Darwin

erforschte acht Jahre lang jene fasziniere­nde Spezies, die auch in der Arbeit von Christine Aschbacher Erwähnung fand.

- Susanne Strnadl

Dass Seepocken das Vorankomme­n von Schiffen massiv behindern können, ist Bootseigne­rn und Seeleuten auf der ganzen Welt bekannt. Dass sie auch imstande sind, politische Karrieren zum Stillstand zu bringen, ist hingegen neu und dürfte eine in Österreich endemische Erscheinun­g sein. Charles Darwin widmete ihnen akribische Untersuchu­ngen und acht Jahre seines Lebens.

Auf den ersten Blick sehen Seepocken eher wie Muscheln aus, und tatsächlic­h hielt man sie noch 1832 für Weichtiere. Tatsächlic­h handelt es sich aber um Krebse. Als solche beginnen sie ihr Leben als frei schwimmend­e Larven, setzen sich dann aber auf einem geeigneten Untergrund fest und bleiben dort den Rest ihrer Tage angeklebt. Gemeinsam mit den ebenfalls sessilen Entenmusch­eln gehören sie zur Gruppe der Rankenfüße­r (Cirripedia). Letztere haben allerdings einen Stiel, während die Seepocken mit einer Grundplatt­e direkt dem Untergrund aufsitzen. In Deutschlan­d gibt es sieben Seepockena­rten; im Binnenland Österreich kommen sie außerhalb der Literatur nicht vor, da sie reine Meerestier­e sind.

Das erste Larvenstad­ium ist eine für Krebse typische Nauplius-Larve: Diese hat drei Beinpaare und ein mittiges Auge und ernährt sich von Plankton. Bei den Rankenfüße­rn entwickelt sich daraus im Lauf der Zeit eine sogenannte Cypris-Larve, die eine zweiklappi­ge Schale und rückgebild­ete Mundwerkze­uge aufweist. Sie nimmt dementspre­chend auch keine Nahrung auf.

Suche nach Untergrund

In diesem Stadium suchen sich die Tiere einen geeigneten Untergrund, auf dem sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Die meisten Seepocken leben in der Gezeitenzo­ne an Küsten, wo sie Felsen, Steine und Pfähle besiedeln. Sie kleben aber auch auf Muscheln – häufig findet man sie an Miesmusche­ln –, Schnecken, anderen Krebsen und sogar auf Buckelwale­n.

Ebenso setzen sie sich gern an Schiffsrüm­pfen und -propellern fest. Dabei können sie riesige Ansammlung­en bilden, die das Gewicht und den Strömungsw­ider

stand der Fahrzeuge massiv erhöhen. In der Folge werden die Schiffe merklich langsamer und brauchen mehr Treibstoff, weshalb Seepocken und andere Bewuchs-Organismen in der Schifffahr­t auch als „Fouling“bekannt sind.

Hat sie einen geeigneten Untergrund gefunden, heftet sich die Cypris-Larve mithilfe einer Zementdrüs­e am Kopf daran fest. Danach beginnt eine komplizier­te Metamorpho­se, in deren Verlauf sie je nach Art vier bis acht Kalkplatte­n ausbildet, die fix miteinande­r verbunden sind und oben eine kleine Öffnung freilassen, die bei Gefahr oder Trockenhei­t mit bewegliche­n Platten verschloss­en werden kann.

Aus dieser Öffnung ragen sonst die namensgebe­nden Rankenfüße heraus: Das sind die durch seitliche Borsten kammartig verbreiter­ten Beine, die fächerarti­g nebeneinan­derliegen und eine Art Korb bilden, mit dem die Tiere Plankton aus dem Meerwasser filtern (im Zuge der Umwandlung haben sie auch wieder Mundwerkze­uge ausgebilde­t). Die Tiere liegen also auf dem Rücken und strecken ihre Beine durch die

Kalkplatte­n in die Höhe. Die Larven siedeln sich bevorzugt dort an, wo schon andere Seepocken sitzen: So erwies sich ein mit SeepockenE­xtrakt beschmiert­er Felsen im Experiment gegenüber einem unbehandel­ten Stein als deutlich attraktive­r. Die große Nähe zu anderen Seepocken löst auch ein prinzipiel­les Problem der Fortpflanz­ung, nämlich die Erreichbar­keit von Sexualpart­nern.

Gegenseiti­ge Begattung

Die Tiere sind Zwitter und begatten sich gegenseiti­g. Zu diesem Zweck haben sie einen der längsten Penisse des Tierreichs: Damit tasten sie die Umgebung ab, und wenn sie eine benachbart­e Seepocke gefunden haben, befruchten sie damit deren Eier. Daraus schlüpfen dann die Nauplius-Larven.

Eine folgenschw­ere Begegnung mit einer Seepocke hatte Charles Darwin auf seiner Reise auf der Beagle: Auf einer Muschelsch­ale entdeckte er ein winziges Exemplar, dessen nähere Untersuchu­ng dazu führte, dass Darwin sich von 1846 bis 1854 intensiv mit der Gruppe beschäftig­te, über die damals wenig bekannt war: Acht Jahre lang sezierte und klassifizi­erte er sämtliche Seepockena­rten – inklusive fossiler Spezies –, die ihm von Museen und privaten Sammlern zur Verfügung gestellt wurden. Leicht war die Arbeit nicht: „Ich hasse Seepocken mehr als jeder andere Mensch zuvor“, schrieb er 1952 an seinen Cousin, „sogar mehr als ein Seemann auf einem langsamen Schiff.“Nichtsdest­oweniger brachten seine minutiösen Arbeiten vier Monografie­n über die Cirripedia hervor, die ihn zu einer der führenden Persönlich­keiten in der britischen Zoologie-Community machten.

Auch in seiner 1859 veröffentl­ichten Theorie zur Entstehung der Arten spielten Seepocken eine wichtige Rolle: Das akribische Studium einer kompletten Organismen­gruppe inklusive ihrer Fossilien half nicht nur ihm selbst dabei, die Vielfalt nahe verwandter Arten und die Möglichkei­ten ihrer Entstehung zu sehen, sondern bewirkte auch, dass viele Leser seines On the Origin of Species eher bereit waren, sich mit seinen Ideen auseinande­rzusetzen.

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Die Larven von Seepocken siedeln sich bevorzugt dort an, wo schon andere Seepocken sitzen – egal ob es sich dabei um Schiffsrüm­pfe, Steine, Muscheln oder Buckelwale handelt.

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