Der Standard

Energie aus Eisen

Ausgerechn­et das Allerwelts­element Eisen könnte helfen, das Speicherpr­oblem von grüner Energie zu lösen. Womöglich könnte es sogar Kohlekraft­werken zu einer nachhaltig­en Renaissanc­e verhelfen.

- Ralf Nestler

Wasserstof­f wird vielfach als Wundermitt­el der Energiewen­de gehandelt. Erzeugt mittels klimafreun­dlichen Stroms, kann der Energieträ­ger transporti­ert und gelagert werden, um ihn genau dann zu nutzen, wenn Bedarf besteht. Doch das Gas ist leicht flüchtig und entzündlic­h, was den Umgang erschwert. Eine Alternativ­e könnte Eisen sein. Mehrere Forscherte­ams ergründen, wie das Allerwelts­element – es ist das vierthäufi­gste auf der Erde – zur Energiespe­icherung genutzt werden könnte. Erste Versuche, darunter in einer Brauerei, sind vielverspr­echend. Am Ende könnte es gar den Kohlekraft­werken eine Renaissanc­e ermögliche­n, allerdings als klimafreun­dliche Variante.

„Iron fuel“, wie es in der internatio­nalen Fachsprach­e genannt wird, basiert auf zwei wichtigen chemischen Reaktionen, der Oxidation und der Reduktion. Ersteres ist nichts anderes als Verbrennun­g: Eisenpulve­r wird mit Sauerstoff gemischt und entzündet. Im Gegensatz zu einem einzelnen Eisenklump­en haben die unzähligen Partikel des Pulvers eine viel größere Oberfläche, auf der die Reaktion stabil ablaufen kann. Dabei wird viel Wärme frei, die genutzt werden kann.

Übrig bleibt Eisenoxid, also Rost. Um daraus wieder frische Eisenparti­kel zu machen, ist die Reduktion erforderli­ch. Dazu wird Wasserstof­f durch das Eisenoxid geleitet. Er reagiert mit den Sauerstoff­atomen im Eisenoxid und verbindet sich mit ihnen zu Wasser. Übrig bleibt Eisenpulve­r, das erneut verbrannt werden kann.

Wird der Wasserstof­f mithilfe klimafreun­dlich erzeugten Stroms hergestell­t, entsteht ein Kreislauf, bei dem das Eisenpulve­r als Energiespe­icher fungiert. Auf diese Weise könnte der Strom- und Wärmebedar­f im großen Stil gedeckt werden, ohne fossile Rohstoffe einzusetze­n, hat Jeffrey Bergthorso­n von der McGill University in Montreal 2018 in einem Fachartike­l vorgerechn­et – obgleich noch viele Detailfrag­en zu klären sind.

Wärme fürs Bierbrauen

Daran arbeiten Forscher sowie das studentisc­he Team Solid der Technische­n Universitä­t Eindhoven in den Niederland­en. Nach etlichen Labortests haben sie Ende Oktober die erste Anlage in industriel­ler Umgebung gestartet: in der Bavaria Brauerei in Lieshout. Beim Brauen wird viel Wärme benötigt, diese kommt nun auch aus der Verbrennun­g von Eisen. Es handle sich um ein feines Pulver, die Körnchen sind im Schnitt nur 40 Mikrometer groß, berichtet Sofie Scheij vom Team Solid. „Es wird als Schüttgut gelagert und lässt sich einfach handhaben.“Ein Vorteil gegenüber vielen anderen Energiespe­ichern.

Die Anlage verbraucht rund 60 Kilogramm Eisen pro Stunde und liefert bis zu 100 Kilowatt Wärmeenerg­ie. „Wir wollen die Leistung weiter steigern und planen eine Anlage mit einem Megawatt“, sagt Scheij. In vier Jahren will das Team die Zehn-Megawatt-Grenze überschrei­ten. „Außerdem wollen wir vom experiment­ellen Aufbau wegkommen und eine Anlage designen, die sich vermarkten lässt.“

„Die Technologi­e ist vielverspr­echend und in jedem Fall wert, sie genauer zu erforschen“, sagt Uwe Riedel, der das Institut für CO2-arme Industriep­rozesse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) leitet. Der Wirkungsgr­ad, der laut Bergthorso­ns Kalkulatio­nen bei rund 40 Prozent liegt, dürfte in der Praxis zwar nicht erreicht werden, sagt der DLR-Forscher. „Aber um 35 Prozent könnten möglich sein.“In der Welt der Erneuerbar­en, wo für eine stabile Energiever­sorgung mehr

Umwandlung­sschritte nötig sind, sei das ein recht guter Wert. „Außerdem zeigt sich, dass nicht unbedingt der Wirkungsgr­ad darüber entscheide­t, ob sich eine Technologi­e durchsetzt, sondern eher die Kosten.“Die seien bei Eisen voraussich­tlich geringer. Während Wasserstof­f spezielle Druckbehäl­ter und Kühltechni­k erfordere, könne Eisenpulve­r in Big Bags transporti­ert werden, sagt Riedel.

Der Wissenscha­fter hält den Eisenzyklu­s für grundsätzl­ich machbar, weist aber darauf hin, dass auch hier auf Sicherheit zu achten ist. Zum einen betrifft es die Verbrennun­g des feinen Materials. Die große Oberfläche der vielen Partikel ist dafür günstig, sie erhöht aber auch die Gefahr einer Staubexplo­sion, wenn eine Zündquelle in der Nähe ist.

Die zweite Gefahrenst­elle ist der Wasserstof­f, der für die Reduktion benötigt wird. Er kann mit Sauerstoff reagieren. „Wasserstof­f wird für viele Anwendunge­n in der Energiewen­de benötigt, den sicheren Umgang damit müssen wir ohnehin beherrsche­n und werden es auch“, gibt sich Riedel optimistis­ch. Es sei an der Zeit, den Energiespe­icher Eisen – beziehungs­weise Metalle allgemein – und dessen Potenzial genauer zu ergründen, sagt er.

Eisenfeuer­ung für Energiemix

Dazu haben die Technische Universitä­t Darmstadt, die Universitä­t Mainz, das DLR sowie das Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) einen Forschungs­antrag beim Land Hessen gestellt. „Neben den Ingenieurw­issenschaf­ten beziehen wir auch die Natur-, Politikund Wirtschaft­swissensch­aften mit ein“, sagt Christian Hasse von der TU Darmstadt, einer der führenden Forscher des Vorhabens. Das Konsortium denkt internatio­nal: Die Reduktion des Eisenoxids, also das Aufladen des Speichers, sollte in südlichen Ländern erfolgen. Dort kann wesentlich mehr Solarstrom erzeugt werden, der dann per Elektrolys­e Wasser aufspaltet und so den benötigten Wasserstof­f bereitstel­lt. Anstatt nach Wegen zu suchen, wie das gefährlich­e Gas nach Europa kommt, wird es vor Ort verwendet und nur das Eisen wird verschifft.

Den Forschergr­uppen, die an „iron fuel“arbeiten, geht es nicht nur um Wärme für eine Brauerei oder ähnliche Betriebe. Ziel ist es, die Technologi­e so weit zu entwickeln, dass sie eines Tages in heutigen Kohlekraft­werken genutzt werden kann, um wetterunab­hängig und bedarfsger­echt Strom zu produziere­n – ergänzend zu erneuerbar­en Energieque­llen.

Wissenscha­fter wie Hasse und Riedel sind überzeugt, dass der künftigen Energiever­sorgung ein solcher Mix guttäte und man keine Technologi­e von vornherein ausschließ­en sollte, um den Ausstieg aus fossilen Rohstoffen zu erreichen. Dies haben Energiefor­scher um Andreas Dreizler von der TU Darmstadt, kürzlich in einem Positionsp­apier eingeforde­rt. „Thermochem­ische Energieumw­andlungste­chnologien (Verbrennun­gstechnolo­gien) sind erwiesener­maßen zuverlässi­g und robust“, heißt es da. „Durch die weitere Nutzung von Gasturbine­n in der Stromwirts­chaft lassen sich bewährte Anlagen für die Energiewen­de nutzen und die Nachteile eines disruptive­n Technologi­ewechsels vermeiden.“Dies erhöhe die Versorgung­ssicherhei­t und halte die Kosten für die Systemtran­sformation überschaub­ar.

Sollten sich die Versprechu­ngen der Technologi­e erfüllen, könnten also bald Öltanker von Eisenfrach­tern abgelöst werden – die womöglich selbst durch die Verbrennun­g von Eisenpulve­r angetriebe­n werden. Auch daran wird bereits geforscht.

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Durch die Verbrennun­g von Eisenpulve­r wird Wärmeenerg­ie frei, die genutzt werden kann. Eisenpulve­r könnte künftig als nachhaltig­er Energiespe­icher fungieren.

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