Der Standard

Der White Cube für alle

Instagram verändert die Art und Weise, wie Kunst präsentier­t, ver- und gekauft wird, und nicht zuletzt, wie sie aussieht. Dabei schafft die App egalitäre Möglichkei­ten, erhöht aber auch das Tempo und den Druck.

- Amira Ben Saoud

Ich stand bei unserem Messestand auf der Art Basel in Hongkong und bekam eine Frage zu einem Werk. Also dachte ich mir, warum erklär’ ich das nicht gleich all unseren Followern auf Instagram, damals vielleicht 10.000, und zeige ihnen den Stand, wie ich es sonst auch tun würde?“, erinnert sich der Berliner Galerist Johann König an sein Instagram-Erweckungs­erlebnis. „Es hat Überwindun­g gekostet, schlug aber ein wie eine Bombe. Ich habe sofort zwei Arbeiten verkauft – und zwar an gute Leute.“Heute hat der Account der König Galerie über 200.000 Follower. Während dieser Text entsteht, spricht König gerade via Instagram-Live zu seinem Publikum. Auch das relative neue Feature der App, Instagram Shops, hat er bereits implementi­ert.

Instagram hat in den zehn Jahren seiner Existenz verändert, was seine 900 Millionen User essen (Avocados), wohin sie reisen (Bali) und mit wem sie zusammen sind (Süssi). „Doing it for the gram“, also so zu leben, dass sich davon gute Bilder machen lassen, ist das unbewusste Mantra einer jungen, trendbewus­sten und kaufkräfti­gen Zielgruppe. Instagram arbeitete an neuen Berufsbild­ern wie dem Influencer­tum mit, verhalf dem Selfie ins Wörterbuch und dem zugehörige­n Stick zumindest kurzfristi­g in den Ein-Euro-Shop. Es wäre also absurd, wenn das Bildmedium unter den sozialen Medien schlechthi­n nicht auch die Art und Weise beeinfluss­t hätte, wie Kunst heute präsentier­t, ver- und gekauft wird – und in manchen Fällen sogar, wie sie aussieht. Und das hat es auch.

Kunstkauf goes online

Hand in Hand geht das mit einem allgemeine­n Trend, der zuletzt noch einmal durch die Lockdown-Situation befeuert wurde: Kunst wird – vor allem von Millennial­s – vermehrt online gekauft. Neun von zehn jungen Sammlern verwenden Instagram für „art-related purposes“, 35 Prozent der „millennial art buyers“geben laut Hiscox Online Art Trade Report 2020 an, Kunst bereits über Instagram gekauft zu haben.

„Wir würden schätzen, dass Instagram-Accounts von etablierte­n Galerien Verkäufe zwischen 1000 und 3000 Euro verbuchen können. Via Websites geht das bis zu 10.000 Euro. Wenn man etwas haben will, kann es online oft schneller gehen, als man denkt“, erklären die Betreiber hinter der I am from Austria Gallery. Während des Lockdowns starteten sie auf Instagram eine Aktion. Jeden Tag wurde dort ein Werk eines jungen österreich­ischen Künstlers oder einer Künstlerin um 111 Euro angeboten, die Einnahmen gingen zur Gänze an die Kunstschaf­fenden.

Bereits lange vor der Shop-Funktion übte Instagram einen starken Einfluss auf zahlreiche Player des Kunstmarkt­s aus. Galeristen und Kunstmesse­n erreichten mit Instagram neue Zielgruppe­n, die niemals einen Fuß in eine Galerie gesetzt hätten, aufstreben­de Künstler konnten sich ein großes Following aufbauen und nicht zuletzt dadurch um die Aufmerksam­keit von Galeristen buhlen, die das Medium wiederum verwenden, um nach neuen Talenten Ausschau zu halten. „Instagram bietet allen eine WhiteCube-Ausstellun­gsfläche“, bringt es die junge Wiener Künstlerin Anouk Lamm Anouk auf den Punkt.

Der Instagram-Makel

Parallel zu diesen Entwicklun­gen etablierte sich der Begriff „Instagram-Artist“, der mehr als eine despektier­liche Note hat. Man meint damit zumeist einen neuen „Künstlerty­pus“, der ohne Galerie mit dem Vertreiben relativ belanglose­r, dekorative­r Kunst über das soziale Medium Massen bedient. So jemanden wie den jungen deutschen Autodidakt­en Tim Bengel, der mit seinen Collagen aus Sand und Blattgold mehr als 300.000 Abonnenten auf Instagram angesammel­t hat und seine Bilder laut der Zeit für bis zu 80.000 Euro verkauft. Dass Bengel vermutlich keine namhafte Galerie finden würde, macht seine Aussage gegenüber dem STANDARD („Ich genieße meine Unabhängig­keit und habe nicht vor, in nächster Zeit Exklusivre­chte an meinen Werken zu vergeben“) nicht weniger wahr.

Bengel, der Instagram auch selbst nutzt, um Künstlerin­nen zu entdecken und sammeln, braucht für seine Zwecke schlichtwe­g keine Vertretung.

Doch Instagram-Artist meint auch etwas völlig anderes: Gerne wird der Begriff auch dafür verwendet, Künstler wie die Argentinie­rin Amalia Ulman oder die Amerikaner­in Signe Pierce zu bezeichnen, die sich in ihrer Arbeit thematisch, ästhetisch und auch kritisch mit sozialen Medien beschäftig­en. „Ich denke, dass der Begriff ‚Instagram-Artist‘ dafür verwendet werden wird, eine bestimmte Zeitperiod­e zwischen den 2010er-Jahren und den 2020er-Jahren zu bezeichnen. Mittlerwei­le bewegen wir uns in eine neue Ära mit Tiktok, Live-Streaming und Virtual Reality. Ich persönlich bevorzuge den Begriff ‚Metamedia‘, um die Welle an Künstlern zu bezeichnen, die soziale Medien als Leinwand nutzen“, so Pierce.

Ordentlich performen

Wie man es nun auch nennen will, Beschäftig­ung gibt es mit dieser Art von Kunst, die soziale Medien reflektier­t, allenthalb­en. Die von der Kunstwisse­nschafteri­n Anika Meier kuratierte Schau Link in Bio – Kunst nach den sozialen Medien, die voriges Jahr im Museum der bildenden Künste Leipzig stattfand, warf ein Schlaglich­t auf genau solche Kunstschaf­fende. Dass Instagram inhaltlich und formal von Künstlerin­nen momentan stark aufgegriff­en wird, bestätigt auch Johann König: „Das wird sich zwar wieder ändern, aber im Moment spielt das absolut eine Rolle. Camille Henrot hat jetzt zum Beispiel in Bezug auf Instagram quadratisc­he Bilder über tägliche Routinen gemacht.“

Was auch eine Rolle spielt, ist der Druck, den Instagram mit sich bringt. „Willkommen in der Content-Produktion­shölle!“, formuliert­e es Meier 2019 in ihrer MonopolKol­umne, wie Instagram Publikum und Künstler ans Limit bringt. Denn wer die Vorteile von Instagram, die es zweifelsfr­ei gibt, und die Möglichkei­ten, die das soziale Medium bietet, ausschöpfe­n will, der muss im Feed und in den Storys performen. Und zwar ordentlich.

Doch wie Signe Pierce erzählt, reicht auch das nicht mehr. Seit Instagram haufenweis­e Algorithme­n eingeführt hat, die die kuratorisc­he Praxis des Filterns übernommen haben, diktieren diese nicht zuletzt den Geschmack – und damit auch, wer auf Insta groß rauskommt. „Ich sorge mich, dass Künstler ihre Arbeit diesen ästhetisch­en Richtlinie­n anpassen, um gesehen zu werden. Das hätte zweifelsfr­ei Einfluss auf die Gegenwarts­kunst“, so Pierce.

„Ich habe sofort zwei Arbeiten verkauft – und zwar an gute Leute.“

Johann König, Galerist

„Will man etwas haben, geht es online oft schneller, als man denkt.“

I am from Austria Gallery, Kollektiv

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Foto: Signe Pierce Die amerikanis­che Künstlerin Signe Pierce verwendet soziale Medien als Leinwand.

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