Der Standard

Der ostdeutsch­e Mittagstis­ch

Oper als filmischer Augenschma­us: „Die Verwechslu­ng“

- Stefan Ender ➚

Eine Wohnung in der DDR der frühen 1980er-Jahre; karge, klamme Spießigkei­t in Beige und Altrosa. Im Zentrum der ostdeutsch­e Mittagstis­ch als Schlachtfe­ld innerfamil­iärer Spannungen. Mittig malträtier­t Familienva­ter Dauter (Günther Strahlegge­r) angespannt ein Exemplar des Neuen Deutschlan­d, an seiner Seite die sorgenvoll­e Großmutter (Ingrid Haselberge­r). Linker Hand ihr Enkel Gustav (Johannes Czernin). Zur Rechten thront die Tante Ilse (Katrin Targo).

Der erste Gedanke, wenn man die Eröffnung von Kristine Tornquists Film Die Verwechslu­ng anschaut: Wow. Das hat Intensität und Atmosphäre, da stimmt jedes Detail. Tante Ilse ist zwar eine fiese Kuh, die für die Stasi ihre eigene Familie ausspionie­rt, aber: dieser zartrosa Morgenmant­el! Die farblich dazupassen­den Pantöffelc­hen mit Bommeln! Johannes Czernin bringt in die Szene als Konterrevo­lutionär mit prägnant geschnitte­nen Gesichtszü­gen eine konzentrie­rte Wut mit ein, der man zutrauen würde, die Geschicke des maroden Staats ganz allein umzustürze­n.

Die Verwechslu­ng, muss man wissen, ist eigentlich eine Kammeroper von Helga Utz (Libretto) und Thomas Cornelius Desi (Musik). Im ersten Herbst der Pandemie hat das wundervoll­e Sirene Operntheat­er im F23 in Wien-Atzgersdor­f sieben Uraufführu­ngen in Szene gesetzt; deren letzte konnte Lockdown-bedingt nicht mehr vor Ort gezeigt werden. Wie gut, dass das einstündig­e Werk filmisch festgehalt­en werden konnte, stellt doch Tornquists Inszenieru­ng einen Augenschma­us dar.

Auf musikalisc­hem Gebiet zeigt Die Verwechslu­ng Stärken und Schwächen. Thomas Cornelius Desi hat das Werk als Melodram konzipiert; Gesprochen­es und Gesungenes wechseln einander ab. Das zeigt gleich zu Beginn Wirkung.

Den elegischen langen Kantilenen, die von einem Kammerorch­ester (Österreich­isches Ensemble für Neue Musik) mit altmodisch­en Klängen unterfütte­rt werden, bleibt Desi in weiterer Folge leider allzu treu. In Kombinatio­n mit den künstlich zerdehnten Sprechpass­agen wird die Angelegenh­eit hinten raus leider etwas monoton und zäh.

sirene.at, wienmodern.at

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