Der ostdeutsche Mittagstisch
Oper als filmischer Augenschmaus: „Die Verwechslung“
Eine Wohnung in der DDR der frühen 1980er-Jahre; karge, klamme Spießigkeit in Beige und Altrosa. Im Zentrum der ostdeutsche Mittagstisch als Schlachtfeld innerfamiliärer Spannungen. Mittig malträtiert Familienvater Dauter (Günther Strahlegger) angespannt ein Exemplar des Neuen Deutschland, an seiner Seite die sorgenvolle Großmutter (Ingrid Haselberger). Linker Hand ihr Enkel Gustav (Johannes Czernin). Zur Rechten thront die Tante Ilse (Katrin Targo).
Der erste Gedanke, wenn man die Eröffnung von Kristine Tornquists Film Die Verwechslung anschaut: Wow. Das hat Intensität und Atmosphäre, da stimmt jedes Detail. Tante Ilse ist zwar eine fiese Kuh, die für die Stasi ihre eigene Familie ausspioniert, aber: dieser zartrosa Morgenmantel! Die farblich dazupassenden Pantöffelchen mit Bommeln! Johannes Czernin bringt in die Szene als Konterrevolutionär mit prägnant geschnittenen Gesichtszügen eine konzentrierte Wut mit ein, der man zutrauen würde, die Geschicke des maroden Staats ganz allein umzustürzen.
Die Verwechslung, muss man wissen, ist eigentlich eine Kammeroper von Helga Utz (Libretto) und Thomas Cornelius Desi (Musik). Im ersten Herbst der Pandemie hat das wundervolle Sirene Operntheater im F23 in Wien-Atzgersdorf sieben Uraufführungen in Szene gesetzt; deren letzte konnte Lockdown-bedingt nicht mehr vor Ort gezeigt werden. Wie gut, dass das einstündige Werk filmisch festgehalten werden konnte, stellt doch Tornquists Inszenierung einen Augenschmaus dar.
Auf musikalischem Gebiet zeigt Die Verwechslung Stärken und Schwächen. Thomas Cornelius Desi hat das Werk als Melodram konzipiert; Gesprochenes und Gesungenes wechseln einander ab. Das zeigt gleich zu Beginn Wirkung.
Den elegischen langen Kantilenen, die von einem Kammerorchester (Österreichisches Ensemble für Neue Musik) mit altmodischen Klängen unterfüttert werden, bleibt Desi in weiterer Folge leider allzu treu. In Kombination mit den künstlich zerdehnten Sprechpassagen wird die Angelegenheit hinten raus leider etwas monoton und zäh.
sirene.at, wienmodern.at