Der Standard

Das Dilemma einer Impfung

Impf-Neid? Eine Antwort an Teddy Podgorski

- Christoph Schönborn

Lieber Teddy Podgorski! Dank meiner Zeitungsle­ktüre habe ich mit freudiger Überraschu­ng gemerkt, dass Sie mir einen Brief geschriebe­n haben, offenbar nicht per Post, aber per STANDARD

(siehe „Es gibt ka Impfung net“, 9./10. 1. 2021). Gerne antworte ich Ihnen auf demselben Weg.

Tatsächlic­h erinnere ich mich immer noch dankbar an den Crashkurs in fernsehtau­glichem Verhalten, den Sie vor fast 50 Jahren für junge Priester gehalten haben. Ich wählte damals als Präsentati­onsthema die meiner Ansicht nach unwürdige Menschenja­gd bei Aktenzeich­en XY ungelöst, ohne zu bedenken, dass Sie damals Studioleit­er dieser Sendung waren. Sie haben mir trotzdem viel beigebrach­t. Und ich fand es nobel von Ihnen, dass Sie mir meine forsche Art nicht übelgenomm­en haben. Viel Zeit ist seither vergangen. Gelegentli­ch haben wir uns getroffen und auch gut miteinande­r sprechen können. So hätte es mich nicht überrascht, wenn Sie mich einfach angerufen hätten, um zu erfragen, wo ich denn geimpft worden bin. Sie haben den Gang in die Öffentlich­keit gewählt, wie ich es mit meiner Impfung getan habe. Und so bin ich eigentlich dankbar dafür, dass wir uns öffentlich über das Thema Impfung austausche­n können, in der Hoffnung, doch einige Impfgegner überzeugen zu können, dass sie sich umstimmen lassen.

Warten und hoffen

Die Geschichte meiner Impfung ist rasch geklärt. Eine Geriatriee­inrichtung in kirchliche­r Trägerscha­ft gehörte zu den Ersten, die den Impfstoff vor Jahresende erhielten. Rund 300 Bewohner sowie das Pflegepers­onal inklusive Verwaltung und Vorstand wurden geimpft. Als Schirmherr dieser Einrichtun­g wurde auch mir die Möglichkei­t angeboten, geimpft zu werden, falls Impfdosen übrig bleiben, was auch passiert ist. Nach einer Krebsopera­tion und einem schweren Lungeninfa­rkt bin ich dankbar, beides gut überstande­n zu haben, lebe aber mit der

Sorge vor einer möglichen Infektion. Daher habe ich dieses Angebot dankbar angenommen. Übrigens wurden bei dieser Impfaktion auch viele Mitglieder von Blaulichto­rganisatio­nen geimpft.

Lieber Teddy Podgorski, ich bin mir bewusst, dass sehr viele in unserem Land sehr auf die Impfung warten und hoffen. Was ich an diesem Tag im Geriatriez­entrum erlebt habe, war alles andere als ein „die sogenannte­n Eliten in Sicherheit bringen“. Da wurden vor allem vulnerable Menschen und solche, die ihnen in verschiede­nster Weise beistehen, mit der Impfung bedacht. Und so ist es auch richtig und von der Regierung geplant.

Hätte ich auf diese Möglichkei­t verzichten sollen? Das wäre vielleicht edler gewesen. Und dass es noch viele Menschen in unserem Land und weltweit gibt, die dringender den Impfschutz brauchen, ist sicher richtig. Ich glaube aber nicht, dass meine Impfung jemanden benachteil­igt hat. Ich nehme Ihre Kritik ernst. Unsere Auseinande­rsetzung zeigt mir aber auch etwas Positives: Der „Impfneid“wächst! Neid ist zwar keine Tugend, aber er zeigt, dass Impfen ein begehrtes Gut ist. Das wissen Sie so gut wie ich. Und beide wissen wir, dass es keinen Weg aus der Pandemie gibt als die möglichst breite Impfung der ganzen Bevölkerun­g.

Ich habe in meiner Silvestera­nsprache die Impfung als „Silberstre­if am Horizont“des neuen Jahres bezeichnet. Und angekündig­t, dass ich mich auf jeden Fall impfen lassen will. Und andere dazu ermutigt. Hätte ich warten sollen? Das Dilemma ist altbekannt: Ist es zulässig, ein Zeichen zu setzen, das einem auch selber etwas bringt? Oder ist das Heuchelei? Dadurch, dass ich öffentlich meine Impfung bekannt gemacht habe, bin ich bewusst das Risiko eingegange­n, dafür kritisiert zu werden. Andere Menschen von der Notwendigk­eit des Impfens durch mein Vorbild zu überzeugen ist mir das allemal wert.

CHRISTOPH SCHÖNBORN ist Kardinal und Erzbischof von Wien.

„Ist es zulässig, ein Zeichen zu setzen, das einem auch selber etwas bringt? Oder ist das Heuchelei?“

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