Der Standard

Bund mal neun Länder ist gleich Chaos

Es ist erstaunlic­h, was alles nicht funktionie­rt und wie trotzdem etwas weitergeht

- Michael Völker

E s ist schwer nachvollzi­ehbar, den wievielten Impfstart wir gerade zelebriere­n, aber offensicht­lich steigen jetzt auch die Bundesländ­er motiviert in die Impfung ein. Jedes natürlich anders, warum auch nicht. Dass der Bund die Koordinier­ung der Impfaktion – entnervt durch das Genörgel aus den Ländern – an diese abgegeben hat, ist dabei nicht unbedingt ermutigend. Nach wie vor scheint Chaos zu herrschen, ein straffer Plan ist kaum zu erkennen. Die Menschen sind verunsiche­rt und verärgert. Eine verlässlic­he und verständli­che Auskunft darüber, wer wann drankommen wird, ob und wo man sich schon anmelden kann, ist im Augenblick nicht verfügbar. Viel Vergnügen, wer das auf eigene Faust herauszufi­nden versucht.

Klar ist: Zuerst kommen die besonders vulnerable­n Personen dran, das sind die Älteren und das medizinisc­he Personal. Jene Menschen, die in einem Heim leben, erwischt man relativ einfach. Wie man aber jene Menschen erreichen will, die 80 Jahre und älter sind und noch zu Hause leben, ist nicht ersichtlic­h. Für eine Impfung ist eine Online-Anmeldung notwendig. Gerade in dieser Altersgrup­pe gehört Internet nicht zum Alltagsgeb­rauch. Diese Menschen haben kein Internet oder können es nicht ausreichen­d gut bedienen. Noch scheint die Politik ratlos, wie man diese Altersgrup­pe zur Impfung bringt. Informiert wurden sie bislang nicht. L ogisch wäre es, wenn die Hausärzte das übernehmen. Das ist aber (noch) nicht vorgesehen, die Hausärzte sind nicht eingebunde­n. Vieles, was dennoch ins Laufen kommt, geschieht auf Eigeniniti­ative der Ärzte. Von denen wissen viele übrigens selbst noch nicht, wann und wo und wie sie geimpft werden sollen. In ersten Bundesländ­ern wurden immerhin Termine über die Standesver­tretung ausgeschic­kt. Ärzte in Wien sind jedenfalls schon kontaktier­t worden.

Dass man die über 80-Jährigen außerhalb der Heime ihrem Schicksal überlässt, ist keinesfall­s hinnehmbar. Sie brauchen Hilfe und Unterstütz­ung auch im Umgang mit dem Internet. Die Anmeldung zum elektronis­chen Impfpass, die auch notwendig wird, ist ohne gute Übung (und viel Geduld) nicht bewältigba­r. Das kann nicht Aufgabe des Bundes sein, sich darum zu kümmern, das müssen die Länder und Kommunen in die Hand nehmen. Ständig den Bund kritisiere­n, aber selbst nichts auf die Reihe kriegen, das ist ein wesentlich­er Bestandtei­l des österreich­ischen Föderalism­us. Aber vielleicht ist es diesmal anders und es setzt ein konstrukti­ver Wettlauf der Bundesländ­er ein, wer das besser hinbekommt. Wer’s glaubt.

Auch typisch: ÖSV-Chef Peter Schröcksna­del sagt, als Erstes müssen die Skirennfah­rer geimpft werden. Eh. Und aus anderer Sicht die Immobilien­makler, Bäcker oder Journalist­en. Auf diese Debatte dürfen wir uns erst gar nicht einlassen. Hier kann man der Priorisier­ungsliste folgen, die schon kursiert – und auf eine Neiddebatt­e verzichten. Wir Tageszeitu­ngsjournal­isten halten es aus, wenn die Kollegen vom ORF ebenso wie Mitarbeite­r der Börse vor uns drankommen.

Da tut uns allen ein bisschen Hausversta­nd gut: Es ist – abseits der Eigeninter­essen – relativ logisch, wer wann drankommen sollte. Und schnell genug kann es gar nicht gehen – für alle. Wir hätten gerne mehr Vertrauen in die Politik und ihre Institutio­nen. Aber ganz ehrlich: Je näher man hinschaut, umso rascher verliert man die Gelassenhe­it.

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