Experten halten die neue Demo-Richtlinie für ungeeignet im Kampf gegen Extremismus.
Die Grazer Polizei löste am Rande einer rechten Corona-Demo nur eine linke Gegendemo mit Gewalt auf. In Linz öffnete eine Wirtin wenige Tage später ihr Café. Experten halten die Demo-Richtlinie für ungeeignet im Kampf gegen Extremismus.
Die neue Demo-Richtlinie des Innenministeriums für den Umgang mit Corona-Demos stellt die Polizei vor ein schwieriges Unterfangen, sagt Menschenrechtsexperte Philipp Sonderegger. Denn im Grunde müsse sie beantworten, wie viele Pandemietote die Gesellschaft in Kauf nehmen will, um das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit zu gewährleisten. Die Polizei sei in dieser komplexen Abwägung großteils auf sich allein gestellt.
Erste Erfahrungen bestätigen diesen Eindruck: Seit dem Wochenende gab es in Wien, der Steiermark und Oberösterreich wieder mehrere Protestaktionen gegen die Corona-Maßnahmen. In Wien wurden gleich drei Demos, die für den vergangenen Samstag angemeldet waren, untersagt. Zumindest eine fand trotzdem statt. Rund hundert Personen spazierten durch Wiens Innenstadt: ohne Maske, ohne Abstand. Die Veranstalterin wurde angezeigt. Auch am Sonntag gab es eine Demo.
In der Steiermark wurde am Wochenende hingegen keine Kundgebung im Vorfeld untersagt: In Graz, Leoben, Judenburg und Leibnitz fand jeweils eine statt.
Jene in Graz von Samstag war eine Demo der rechtsextremen Identitären, auch wenn diese ihr Logo nicht mehr zeigen. Der Titel der Demonstration: „The Great Reset“– der Nachfolgeslogan von „The Great Replacement“, also der Verschwörungstheorie vom großen „Bevölkerungsaustausch“. Seitdem sich auch der Attentäter von Christchurch, der mit Identitären-Chef Martin Sellner in Kontakt war, auf diese Verschwörungserzählung berief, erfanden die Identitären ihre Begriffe neu.
„Wir sind mehr“, brüllte ein Identitärer den „kritischen Bürgern“auf dem Grazer Hauptplatz zu. Mehr als 250, wie der steirische Polizeisprecher Fritz Grundig schätzt, waren es aber nicht. Auf der Bühne wurde Österreich mit der DDR gleichgesetzt, man skandierte: „Kurz muss weg“– eine Parole, die auf den „Querdenker“-Demos zu hören ist und bereits von der FPÖ übernommen wurde.
Journalisten behindert
Wenige Tage davor hatte sich Sellner in seinem Blog darüber alteriert, dass die Behörden ihn als einen der Strippenzieher hinter den Demos bezeichneten – um dann gleich folgende „Ratschläge“an die Demonstranten auszugeben: „Nehmt euch am besten nur Österreichfahnen mit“, riet er, da die Identitären-Symbole verboten werden sollen. Zudem solle man sich „von jeder Form der Gewalt und des verbalen Extremismus fernhalten“. Denn die „Lügenpresse“lese in allen Telegram-Kanälen mit.
Tatsächlich wurden fast ausschließlich Österreichfahnen auf der Demo geschwenkt. Ein spezieller, schwarz gekleideter Trupp der Identitären drängte Fotografen mit aufgespannten Schirmen ab, damit sie keine Fotos machen konnten.
Solange alles „ordnungsgemäß“ablaufe, sei die Einstellung der Demonstranten kein Grund, die Demo im Vorfeld zu untersagen, sagt Polizeisprecher Fritz Grundnig.
Und doch sollte die Polizei an diesem Tag mit äußerster Härte einschreiten. Aber nicht gegen die Identitären, sondern gegen eine Gegendemo von rund 50 Menschen. Betroffen waren auch Fotografen, die die Versammlung der Rechten dokumentieren wollten.
Diese „nicht angemeldeten Störversammlung“, wie es in einer Aussendung der Polizei heißt, wurde in kürzester Zeit aufgefordert, sich zu entfernen. Nicht weil sie nicht angemeldet war, denn auch spontane Kundgebungen sind erlaubt, sondern weil „pyrotechnische Artitet kel in Richtung der Versammlungsteilnehmer“und unter ein Polizeiauto geworfen wurden, sagt Grundnig. Man habe die Gegendemo eingekesselt und vom Platz gedrängt.
Vorwurf gegen Polizei
Wie das geschah, ist auf Videos zu sehen, die dem STANDARD vorliegen. Auch eine Passantin, die zur Augenzeugin wurde, berichtet, dass auf Demonstranten eingeschlagen wurde und Passantinnen von Identitären bespuckt worden seien. „Die Polizei unternahm nichts“, sagt sie. Grunding bestätigt, dass ein Misshandlungsvorwurf vorliegt, der geprüft werde.
Der Vorwurf stammt von einem 19-jährigen Fotografen, der verhaf
und angezeigt wurde, weil er einen Beamten in diesem Tumult tätlich angegriffen haben soll. Im Gedränge wurde er von Beamten zu Boden gebracht und hörte einen Beamten sagen, „dass er mir meine Arme, wenn ich sie nicht hinter den Rücken gebe, brechen wird“. Der Fotograf geriet in Panik, seine Hilferufe, dass er keine Luft bekomme, sollen ignoriert worden sein. Zudem trug ein Beamter, der ihm sehr nahekam, keine Maske.
Gefragt, ob man sich durch die Richtlinie, die Versammlungen der „Querdenker“bereits vorab genauer untersuchen will, etwas ändere, meint Grundnig: „Nicht wirklich, weil wir alles eh schon immer gemacht haben. Aber gut, dass es eine österreichweite Regelung gibt.“
Auch Experte Sonderegger kennt die nun in der Richtlinie angekündigte Vorgehensweise der Polizei, zum Beispiel von Protesten gegen den Wiener Akademikerball. Bereits damals wurden die Demo-Veranstalter im Vorfeld durchleuchtet.
Die neue Richtlinie für die Polizisten beruht auf Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, dass die Proteste von Rechtsextremen organisiert und unterwandert sind. Laut Richtlinie sollte daher auch das „verbale Eskalationspotenzial“einer Organisation Grund für eine Absage im Vorfeld sein können. Trotzdem wurden die meisten Demos bisher aus Gesundheitsgründen untersagt.
Experten skeptisch
Dass die Polizei die Demos trotz Untersagung laufen lässt, findet Sonderegger nachvollziehbar. Das Versammlungsrecht sei „ein denkbar ungünstiges Mittel“, um Extremismus zu bekämpfen, sagt Sonderegger, der auch das Innenministerium als NGO-Vertreter in Grundrechtsfragen berät. Allerdings könnte man mit „weniger grundrechtsinvasiven Mitteln“gegen die Szene vorgehen.
So sei es international durchaus üblich, dass mutmaßliche Rädelsführer oder Demo-Teilnehmer, die zu Gewalt oder Gesetzbrüchen aufrufen, isoliert und beamtshandelt werden. Auch bei den „Querdenker“-Demos wird regelmäßig auf der Bühne aufgerufen, Demo-Auflagen und Aufforderungen der Polizei zu missachten.
Auch Verfassungsrechtler BerndChristian Funk deutet solche Aufrufe als „klassischen Auflösungsgrund“. Alle untersagten Veranstaltungen sofort mit Gewalt zu verhindern wäre aber ein „polizeistaatliches Vorgehen“. Weil es im Grunde immer um Meinungsfreiheit und den Einzelfall geht, seien Ermittlungen im Vorfeld einer Demo „mit großer Vorsicht“zu sehen. Das Versammlungsgesetz diene aber nicht dazu, gegen Extremismus präventiv vorzugehen. Der Spielraum sei hier „sehr eng“, sagt Funk.
In Linz kündigte eine Wirtin sogar im Vorfeld ihren Gesetzesbruch öffentlich an: Um nicht obdachlos zu werden, müsse sie – just am 11. Jänner – ihr Café aufsperren. Mit der Initiative „Wir sperren auf“waren ähnliche Aktionen aus der „Querdenker“-Szene befeuert worden. Ein Video auf Facebook zeigt dichtgedrängte maskenlose Gäste, die sich in die Arme fallen, Bier trinken und den Aufstand proben – darunter die Crème de la Crème der Corona-Leugner-Szene.
Am Abend wurde das Lokal behördlich gesperrt. David Furtner, Sprecher der oberösterreichischen Polizei, zieht Bilanz: 37 Gäste und die Wirtin bekamen insgesamt 96 Anzeigen. „Das war eine wohlüberlegte PR-Aktion“, glaubt Furtner. Der Polizei war die Frau bekannt. „Für die Polizei ist das alles sehr unbefriedigend“, resümiert Furtner.