EU-Konflikt um Grenzschließungen wegen Corona
Merkel für Reisebeschränkungen für Länder mit laschen Corona-Maßnahmen
Wien/Berlin/Brüssel – Deutschland fordert die anderen 26 EU-Partnerstaaten zu einem strikten und gemeinsamen Vorgehen auf, um die Ausbreitung von mutierten Typen des Coronavirus in der Europäischen Union zu stoppen. Nur wenn das in einer „koordinierten Aktion“geschehe, könne das Virus effektiv eingehegt und der freie Personenverkehr in einem Europa der offenen Grenzen gesichert werden.
Es sei „dringend nötig“, entsprechende Maßnahmen zu treffen. Nötigenfalls werde sich Deutschland vor einer heftigen dritten Infektionswelle durch Grenzsperren bzw. Grenzkontrollen schützen müssen. Der freie Personenverkehr im Schengenraum stünde damit temporär zur Disposition, wie schon im Frühjahr 2020. Mit diesem Plan ging die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstagabend in einen virtuellen EU-Gipfel. Belgien will touristische Reisen überhaupt verbieten.
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz kann die Position Merkels nachvollziehen, will den Vorstoß, die Grenzen innerhalb der EU zu schließen, aber nicht unterstützen. Luxemburg sprach sich gänzlich gegen Beschränkungen aus.
Beim EU-Rat am Donnerstag brachte Kurz ein anderes Anliegen vor, er machte Druck auf eine rasche
Zulassung des Impfstoffs von Astra Zeneca. Das Verfahren in der Arzneimittelbehörde EMA dauere zu lange und sei zu bürokratisch. Um seinen Impfplan umsetzen zu können und eine Impfung aller über 65-Jährigen im März anbieten zu können, sei Österreich auf eine rasche Lieferung von Astra Zeneca angewiesen.
Im Konflikt um die wiederum von Biontech/Pfizer angekündigte Schmälerung der Impfstofflieferungen in den kommenden Wochen an die EU könnte es sich laut dem Wall Street Journal um einen Streit über die Zahl der vereinbarten Vakzineportionen handeln. Der Inhalt der gelieferten Phiolen reicht statt für die angekündigten fünf für sechs Injektionen, daher stelle die Firma nun weniger Phiolen zur Verfügung.
Österreichweit sind diese Woche etwa 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen zumindest an einem Tag zur Betreuung in der Schule angemeldet. An den Volksschulen beträgt die Quote gar 39 Prozent. Den heimischen Skiliftbetreibern drohen heuer bis zu 90 Prozent Umsatzverlust. Zusperren will man trotz Kosten in Millionenhöhe nicht. (red)
Konflikt um Pfizer-Phiolen
Der Impfplan in Österreich hält nur, wenn Pfizer wie vereinbart liefert und der Impfstoff von Astra Zeneca rechtzeitig zugelassen wird. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) macht Druck, er verweist auf die Gefahr, die von der Corona-Mutation ausgeht. Nur wenn ausreichend Menschen geimpft sind, kommen wir aus der Krise, sagt er.
Frage: Was versucht Österreich auf europäischer Ebene zu erreichen?
Antwort: Bundeskanzler Sebastian Kurz ist bereits extrem ungeduldig und hat nur bedingt
Verständnis, dass die Zulassung des Impfstoffes von Astra Zeneca innerhalb der EU so lange dauert. Gemeinsam mit anderen Staatschefs hat Kurz beim EU-Rat am Donnerstag Druck gemacht, die Zulassung durch die EUArzneimittelbehörde EMA zu beschleunigen. Kurz hofft darauf, dass es spätestens nächste Woche eine solche Zulassung gibt.
Frage: Warum sind Kurz und andere EU-Regierungschefs in Sachen Astra Zeneca so nervös?
Antwort: Weil unsicher ist, ob die EMA dem Astra-Zeneca-Vakzin eine volle bedingte Marktzulassung gewährt – oder ob sie das Mittel in der EU nur für Menschen unter 55 Jahren freigibt. Die Entscheidung darüber wird am 29. Jänner erwartet.
Frage: Ist das Astra-Zeneca-Vakzin für Ältere nicht geeignet?
Antwort: Unklar ist, wie gut das Vakzin in den höheren Altersgruppen schützt. Laut dem Infektiologen Herwig Kollaritsch hat Astra Zeneca das eigene Produkt in verschiedenen Dosierungsvarianten erprobt. Bei zwei binnen drei Wochen gegebenen gleich großen Impfdosen ergab sich eine Schutzrate von 63 Prozent gegen eine schwere Covid-19Erkrankung. Bei einer ersten geringeren Dosis und einer zweiten vollen waren es mehr als 90 Prozent. Zu diesem letztlich wirksamsten Schema hat das Unternehmen aber nur Ergebnisse für Menschen bis 55 Jahre publiziert. Möglicherweise wird die EMA die Pharmafirma daher auffordern, Daten für Ältere nachzureichen, und über die Zulassung für alle Altersgruppen erst danach entscheiden.
Frage: Ist Österreich auf den Impfstoff von Astra Zeneca angewiesen?
Antwort: Eine Teilzulassung von Astra Zeneca hätte jedenfalls Auswirkungen auf den österreichischen Impfplan. Ihm zufolge soll die breite Bevölkerung bis zur Bewilligung weiterer Vakzine mit dem Astra-ZenecaImpfstoff immunisiert werden – während Menschen mit besonders hohem Risiko und Personen über 80 Jahren die bereits bewilligten Mittel der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna erhalten. Für Menschen zwischen 55 und 80 Jahren könnte sich ohne das AstraZeneca-Vakzin in den kommenden Monaten eine „Impflücke“ergeben; ein Szenario, das das Gesundheitsministerium unter Hinweis auf mögliche Impfstoff-Umschichtungen abwehrt. Laut Impfplan sollten alle über 65-jährigen Menschen, die das wollen, bis Ende März geimpft sein.
Frage: Wie viele Menschen sind in Österreich bereits geimpft?
Antwort: Bis zum Wochenende sollten 200.000 Menschen geimpft sein, am Donnerstagabend waren es 190.000 Menschen – alle mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech.
Frage: Warum ist die Lieferung von Astra Zeneca außerdem noch wichtig?
Antwort: Stünden die bis zu zwei Millionen Dosen Vakzin dieser Firma überhaupt nicht zur Verfügung, könnte sich die angepeilte Durchimpfung insgesamt dramatisch verzögern. Angesichts der britischen Corona-Mutation, die weiter verbreitet sein könnte, als bisher vermutet wird, wäre das ein durchaus bedrohliches Szenario.
Frage: Auch rund um die Lieferungen des in der EU bereits bewilligten und eingesetzten Impfstoffs der Firma Biontech/Pfizer gab es zuletzt Probleme. Was ist da los?
Antwort: Vergangene Woche kündigte der Pharmariese Pfizer an, dass es in den nächsten Wochen zu geringeren Lieferungen des Covid-19-Vakzins kommen werde, als ursprünglich zugesagt wurden. Für Österreich bezifferte Kanzler Kurz das Minus mit kurzfristig 20 Prozent. Mitte Februar, so hieß es, werde es dafür Zusatzlieferungen geben, um den Verlust auszugleichen.
Frage: Was sind die Gründe dieses Lieferengpasses?
Antwort: Ursprünglich hieß es, Biontech/ Pfizer stelle seine Produktionskapazitäten um, daher werde kurzfristig weniger ausgeliefert. Die Rede war von einer zusätzlichen Pharmafabrik in Belgien, die neu in Betrieb gehe, was vorübergehend zu Verwerfungen führe. Laut dem Wall Street Journal von Donnerstag schwelt zwischen dem Unternehmen und der EU-Kommission gleichzeitig aber auch ein Finanzstreit. In den Phiolen mit Pfizer/Biontech-Vakzin sind nicht, wie von der Firma ursprünglich angegeben, fünf, sondern sechs und manchmal sogar sieben Impfstoffportionen. Vergangene Woche hat die EMA explizit die Entnahme von sechs Dosen bewilligt. Daraufhin habe sich das Unternehmen auf den Standpunkt zurückgezogen, einen Vertrag über die Lieferung einer bestimmten Zahl von Impfportionen abgeschlossen zu haben, nicht von Impfdosen – und habe die Lieferungen gekürzt.