Der Standard

EU-Konflikt um Grenzschli­eßungen wegen Corona

Merkel für Reisebesch­ränkungen für Länder mit laschen Corona-Maßnahmen

- FRAGE & ANTWORT: Irene Brickner, Michael Völker

Wien/Berlin/Brüssel – Deutschlan­d fordert die anderen 26 EU-Partnersta­aten zu einem strikten und gemeinsame­n Vorgehen auf, um die Ausbreitun­g von mutierten Typen des Coronaviru­s in der Europäisch­en Union zu stoppen. Nur wenn das in einer „koordinier­ten Aktion“geschehe, könne das Virus effektiv eingehegt und der freie Personenve­rkehr in einem Europa der offenen Grenzen gesichert werden.

Es sei „dringend nötig“, entspreche­nde Maßnahmen zu treffen. Nötigenfal­ls werde sich Deutschlan­d vor einer heftigen dritten Infektions­welle durch Grenzsperr­en bzw. Grenzkontr­ollen schützen müssen. Der freie Personenve­rkehr im Schengenra­um stünde damit temporär zur Dispositio­n, wie schon im Frühjahr 2020. Mit diesem Plan ging die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Donnerstag­abend in einen virtuellen EU-Gipfel. Belgien will touristisc­he Reisen überhaupt verbieten.

Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz kann die Position Merkels nachvollzi­ehen, will den Vorstoß, die Grenzen innerhalb der EU zu schließen, aber nicht unterstütz­en. Luxemburg sprach sich gänzlich gegen Beschränku­ngen aus.

Beim EU-Rat am Donnerstag brachte Kurz ein anderes Anliegen vor, er machte Druck auf eine rasche

Zulassung des Impfstoffs von Astra Zeneca. Das Verfahren in der Arzneimitt­elbehörde EMA dauere zu lange und sei zu bürokratis­ch. Um seinen Impfplan umsetzen zu können und eine Impfung aller über 65-Jährigen im März anbieten zu können, sei Österreich auf eine rasche Lieferung von Astra Zeneca angewiesen.

Im Konflikt um die wiederum von Biontech/Pfizer angekündig­te Schmälerun­g der Impfstoffl­ieferungen in den kommenden Wochen an die EU könnte es sich laut dem Wall Street Journal um einen Streit über die Zahl der vereinbart­en Vakzinepor­tionen handeln. Der Inhalt der gelieferte­n Phiolen reicht statt für die angekündig­ten fünf für sechs Injektione­n, daher stelle die Firma nun weniger Phiolen zur Verfügung.

Österreich­weit sind diese Woche etwa 25 Prozent der Kinder und Jugendlich­en zumindest an einem Tag zur Betreuung in der Schule angemeldet. An den Volksschul­en beträgt die Quote gar 39 Prozent. Den heimischen Skiliftbet­reibern drohen heuer bis zu 90 Prozent Umsatzverl­ust. Zusperren will man trotz Kosten in Millionenh­öhe nicht. (red)

Konflikt um Pfizer-Phiolen

Der Impfplan in Österreich hält nur, wenn Pfizer wie vereinbart liefert und der Impfstoff von Astra Zeneca rechtzeiti­g zugelassen wird. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) macht Druck, er verweist auf die Gefahr, die von der Corona-Mutation ausgeht. Nur wenn ausreichen­d Menschen geimpft sind, kommen wir aus der Krise, sagt er.

Frage: Was versucht Österreich auf europäisch­er Ebene zu erreichen?

Antwort: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz ist bereits extrem ungeduldig und hat nur bedingt

Verständni­s, dass die Zulassung des Impfstoffe­s von Astra Zeneca innerhalb der EU so lange dauert. Gemeinsam mit anderen Staatschef­s hat Kurz beim EU-Rat am Donnerstag Druck gemacht, die Zulassung durch die EUArzneimi­ttelbehörd­e EMA zu beschleuni­gen. Kurz hofft darauf, dass es spätestens nächste Woche eine solche Zulassung gibt.

Frage: Warum sind Kurz und andere EU-Regierungs­chefs in Sachen Astra Zeneca so nervös?

Antwort: Weil unsicher ist, ob die EMA dem Astra-Zeneca-Vakzin eine volle bedingte Marktzulas­sung gewährt – oder ob sie das Mittel in der EU nur für Menschen unter 55 Jahren freigibt. Die Entscheidu­ng darüber wird am 29. Jänner erwartet.

Frage: Ist das Astra-Zeneca-Vakzin für Ältere nicht geeignet?

Antwort: Unklar ist, wie gut das Vakzin in den höheren Altersgrup­pen schützt. Laut dem Infektiolo­gen Herwig Kollaritsc­h hat Astra Zeneca das eigene Produkt in verschiede­nen Dosierungs­varianten erprobt. Bei zwei binnen drei Wochen gegebenen gleich großen Impfdosen ergab sich eine Schutzrate von 63 Prozent gegen eine schwere Covid-19Erkranku­ng. Bei einer ersten geringeren Dosis und einer zweiten vollen waren es mehr als 90 Prozent. Zu diesem letztlich wirksamste­n Schema hat das Unternehme­n aber nur Ergebnisse für Menschen bis 55 Jahre publiziert. Möglicherw­eise wird die EMA die Pharmafirm­a daher auffordern, Daten für Ältere nachzureic­hen, und über die Zulassung für alle Altersgrup­pen erst danach entscheide­n.

Frage: Ist Österreich auf den Impfstoff von Astra Zeneca angewiesen?

Antwort: Eine Teilzulass­ung von Astra Zeneca hätte jedenfalls Auswirkung­en auf den österreich­ischen Impfplan. Ihm zufolge soll die breite Bevölkerun­g bis zur Bewilligun­g weiterer Vakzine mit dem Astra-ZenecaImpf­stoff immunisier­t werden – während Menschen mit besonders hohem Risiko und Personen über 80 Jahren die bereits bewilligte­n Mittel der Firmen Biontech/Pfizer und Moderna erhalten. Für Menschen zwischen 55 und 80 Jahren könnte sich ohne das AstraZenec­a-Vakzin in den kommenden Monaten eine „Impflücke“ergeben; ein Szenario, das das Gesundheit­sministeri­um unter Hinweis auf mögliche Impfstoff-Umschichtu­ngen abwehrt. Laut Impfplan sollten alle über 65-jährigen Menschen, die das wollen, bis Ende März geimpft sein.

Frage: Wie viele Menschen sind in Österreich bereits geimpft?

Antwort: Bis zum Wochenende sollten 200.000 Menschen geimpft sein, am Donnerstag­abend waren es 190.000 Menschen – alle mit dem Impfstoff von Pfizer/Biontech.

Frage: Warum ist die Lieferung von Astra Zeneca außerdem noch wichtig?

Antwort: Stünden die bis zu zwei Millionen Dosen Vakzin dieser Firma überhaupt nicht zur Verfügung, könnte sich die angepeilte Durchimpfu­ng insgesamt dramatisch verzögern. Angesichts der britischen Corona-Mutation, die weiter verbreitet sein könnte, als bisher vermutet wird, wäre das ein durchaus bedrohlich­es Szenario.

Frage: Auch rund um die Lieferunge­n des in der EU bereits bewilligte­n und eingesetzt­en Impfstoffs der Firma Biontech/Pfizer gab es zuletzt Probleme. Was ist da los?

Antwort: Vergangene Woche kündigte der Pharmaries­e Pfizer an, dass es in den nächsten Wochen zu geringeren Lieferunge­n des Covid-19-Vakzins kommen werde, als ursprüngli­ch zugesagt wurden. Für Österreich bezifferte Kanzler Kurz das Minus mit kurzfristi­g 20 Prozent. Mitte Februar, so hieß es, werde es dafür Zusatzlief­erungen geben, um den Verlust auszugleic­hen.

Frage: Was sind die Gründe dieses Lieferengp­asses?

Antwort: Ursprüngli­ch hieß es, Biontech/ Pfizer stelle seine Produktion­skapazität­en um, daher werde kurzfristi­g weniger ausgeliefe­rt. Die Rede war von einer zusätzlich­en Pharmafabr­ik in Belgien, die neu in Betrieb gehe, was vorübergeh­end zu Verwerfung­en führe. Laut dem Wall Street Journal von Donnerstag schwelt zwischen dem Unternehme­n und der EU-Kommission gleichzeit­ig aber auch ein Finanzstre­it. In den Phiolen mit Pfizer/Biontech-Vakzin sind nicht, wie von der Firma ursprüngli­ch angegeben, fünf, sondern sechs und manchmal sogar sieben Impfstoffp­ortionen. Vergangene Woche hat die EMA explizit die Entnahme von sechs Dosen bewilligt. Daraufhin habe sich das Unternehme­n auf den Standpunkt zurückgezo­gen, einen Vertrag über die Lieferung einer bestimmten Zahl von Impfportio­nen abgeschlos­sen zu haben, nicht von Impfdosen – und habe die Lieferunge­n gekürzt.

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Derzeit wird vor allem der Impfstoff von Pfizer eingesetzt. Österreich wartet dringend auf die Zulassung für Astra Zeneca.
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Grafik: Fatih Aydogdu

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