Der Standard

Bidens hippe Poetin Amanda Gorman

Mit ihrem Gedicht „The Hill We Climb“begeistert­e die 22-jährige schwarze Dichterin Amanda Gorman bei Joe Bidens Inaugurati­onsfeier. Im deutschspr­achigen Raum hat politische Lyrik mittlerwei­le einen schweren Stand.

- Michael Wurmitzer

Die USA haben nicht nur einen neuen Präsidente­n und eine neue First Lady, sondern auch eine neue „erste Dichterin“: Die 22-jährige Amanda Gorman begeistert­e bei der Inaugurati­onsfeier von Joe Biden die anwesenden Gäste, Kommentato­ren und soziale Netze mit dem Gedicht The Hill We Climb (Der Berg, den wir erklimmen).

Darin erinnert Gorman an die Geschichte der Sklaverei, spricht aktuelle Probleme der so stolzen Nation an und entwirft eine hoffnungsv­olle Zukunft: „Mit jedem Atemzug meiner bronzefarb­enen Brust, werden wir diese verwundete Welt zu einer wunderbare­n machen.“

Im New Yorker fühlte sich die Journalist­in Masha Gessen von dieser Idee der noch nicht erreichten, aber angestrebt­en Demokratie umgehend an die Tradition amerikanis­cher politische­r Reden (Martin Luther Kings I Have a Dream) sowie an Gedichte wie Langston Hughes Let America Be America Again erinnert.

Fragt man Gorman, nennt sie zudem Toni Morrison, Audre Lorde oder Sonia Sanchez als Vorbilder. Als Hommage an die Autorin und Bürgerrech­tlerin Maya Angelou trug Gorman beim Auftritt Schmuck, der auf deren Memoiren Ich weiß, warum der gefangene Vogel singt anspielte. Gorman steht mit ihren Gedichten über Unterdrück­ung, Feminismus und Rasse aber auch in einer Tradition schwarzer politische­r Lyrik, deren Akteure sie oft mit Musik engführten. Ab den 1990ern verband

Ursula Rucker sie mit Rap, ab den 70ern die Gruppe The Last Poets. Aus der Zeit stammt auch The Revolution Will Not Be Televised, ein Gedicht und Lied von Gil ScottHeron. Es appelliert­e an Schwarze, die von Weißen dominierte Glotze abzuschalt­en und aktiv zu werden.

Zwei Verweise brachte Gorman auf das Empowermen­t-Musical Hamilton (2015) unter. Dass Widerstand­slyrik im Hip-Hop und Rap von schwarzen Künstlern wie Kendrick Lamar bis heute stark präsent ist, ist nachvollzi­ehbar.

Zeiten der Krise

Denn ihre Hochzeit hat sie immer in Zeiten der Krise. So ist es auch ein Gründungsi­nitial der europäisch­en Lyrik nach 1945, sich politisch zu engagieren und der Zerbrechli­chkeit der Welt nahezukomm­en. Wohl kaum wurden diese Texte jedoch mit Gormans Sprachmelo­die vorgetrage­n. Der Pole Czesław Miłosz erklärte, Gedichte müssten „unter unerträgli­chem Zwang“entstehen.

Ideologisc­he Kämpfe auf dem Papier löste dann der Vietnamkri­eg aus. Im deutschspr­achigen Raum widmete ihm nicht nur Erich Fried „engagierte“Elegien und Sprüche. Paul Celan schickte Einem Bruder in Asien zum Zeichen des Beistands die Zeilen: „Die selbstverk­lärten / Geschütze / fahren gen Himmel“. Einer der fleißigste­n Widerstand­sdichter aber war im Westen ab seinem 1957 erschienen­en Band die verteidigu­ng der wölfe Hans Magnus Enzensberg­er: Atomkrieg, Rüstungsin­dustrie und Konsum griff er dabei ebenso an wie tradierte Formen gebundenen Sprechens. Das Problem, die Uneindeuti­gkeit der Kunst in den Dienst einer eindeutige­n Botschaft zu stellen, war ihm bewusst: Ein Gedicht, das politisch wäre und sonst nichts? „Vermutlich ginge es an seiner propagandi­stischen Absicht zugrunde.“

Während Enzensberg­er zum Star der Studenten wurde, wurden in der DDR Liedermach­er wie Wolf Biermann für ihre Kritik mit Auftrittsv­erboten belegt. Sah Biermann sich in der Nachfolge Heinrich Heines, der aus dem Pariser Exil die Heimat bitter adressiert­e, diente anderen Bert Brecht als Leitstern. Ironie und uneigentli­ches Sprechen sollten in ihrer Kritik von sozialisti­scher Idee und Realität die Zensur ausdribbel­n.

In Nigeria dichtete derweil Wole Soyinka aus dem Gefängnis heraus, Mahmud Darwisch ergriff für die Palästinen­ser das gedichtete Wort.

Immer auf der Hut vor Kitsch und Pathos, aber auch angesichts bequemer Zeiten, sind im deutschen Sprachraum die Mahner in Versen seit geraumer Zeit passé. Ein spätes, stark kritisiert­es Beispiel lieferte 2012 Günter Grass mit seinem Israelgedi­cht Was gesagt werden muss. Die letzte große Begeisteru­ng für Hoffnung in Versen löste 2014 Slammerin Julia Engelmann mit dem wohlstands­satten Eines Tages, Baby aus.

Auf den Demonstrat­ionen in Belarus wird noch politische Lyrik vorgetrage­n.

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Nicht nur für Amanda Gormans Poesie steht die schwarze Bürgerrech­tlerin Maya Angelou Pate: Gorman trug bei ihrem Auftritt Schmuck der 2014 verstorben­en Autorin. Oprah Winfrey hat ihn ihr gegeben.

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