Der Standard

Virtueller Trommelwir­bel für Biden

Schon wenige Stunden nach dem Amtsende Donald Trumps waren die USA kaum wiederzuer­kennen: Etliche Verfügunge­n des 45. Präsidente­n wurden von der Nummer 46 zurückgeno­mmen. Und das war erst der Anfang.

- Frank Herrmann aus Washington

Die in den USA üblichen Volksfeste anlässlich der Angelobung eines neuen Präsidente­n fielen heuer wegen der Corona-Pandemie aus – an deren Stelle traten virtuelle Darbietung­en (Bild: junge Percussion­isten in Louisiana). Unterdesse­n nahm Joe Biden seine Amtsgeschä­fte auf. Er steht an der Spitze der vielfältig­sten Ministerri­ege der US-Geschichte.

Zwei Büsten stehen jetzt neben dem Kamin im Oval Office: Martin Luther King und John F. Kennedy. Der Bronzeschä­del des Bürgerrech­tsprediger­s, den auch Donald Trump nicht aus seinem Büro verbannte, soll Joe Biden offenbar an seine Anfänge erinnern. In New Castle war er einst in den Gemeindera­t gewählt worden, weil er schwarzen Bewohnern der Kleinstadt in Delaware das Gefühl vermittelt hatte, dass er sich ihrer Probleme annehmen werde.

Die Bilder aus den Südstaaten, knüppelnde Polizisten im Einsatz gegen afroamerik­anische Bürgerrech­tler, waren Biden als Teenager dermaßen unter die Haut gegangen, dass er überhaupt erst eine politische Karriere anstrebte. Und die Nähe zu Kennedy, wie Biden ein Praktiker der politische­n Mitte, stellt er immer wieder heraus. Nicht zuletzt wegen der gemeinsame­n irischen Wurzeln und der Tatsache, dass JFK der erste Katholik im Oval Office war. Biden ist nun der zweite.

Neue, alte Möblierung

Auch Franklin D. Roosevelt ist neuerdings vertreten im wichtigste­n Raum des Weißen Hauses. Auf einem Gemälde. Weichen musste Andrew Jackson, der populistis­che Präsident der 1830er-Jahre. Der blaue Teppich, der den sandfarben­en Trumps ersetzt, lag schon einmal im Oval Office, nämlich zu Zeiten Bill Clintons. Das Arbeitszim­mer also wurde neu dekoriert – übrigens an nur einem Tag.

Mit einem administra­tiven Kraftakt hat Biden auch die politische Renovierun­g in Angriff genommen. Am Donnerstag unterzeich­nete er ein Strategiep­apier zur Bekämpfung der Corona-Krise. „Amerika verdient eine Antwort auf die Covid-Pandemie, die von der Wissenscha­ft, von Daten und der öffentlich­en Gesundheit bestimmt wird, nicht von der Politik“, ist zu lesen. Wobei sich das englische Original, „politics“, vielleicht treffender mit „politische Spielchen“übersetzen ließe.

Bereits am Mittwoch, sechs Stunden nach seiner Vereidigun­g, hatte Biden 17 Anweisunge­n unterschri­eben. Ein Blitzstart. Bei Trump waren es vor vier Jahren gerade einmal zwei Dekrete gewesen, bei Barack Obama kein einziges. „Ich glaube, angesichts der Lage, in der sich die Nation heute befindet, haben wir keine Zeit zu verlieren“, so Biden.

Der Austritt aus dem Pariser Klimaabkom­men ist rückgängig gemacht, laut Prozedere dauert es nun 30 Tage, ehe der Wiedereint­ritt besiegelt werden kann.

Außerdem werden die USA wieder Mitglied der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO. Schon Donnerstag sollte der Topinfekti­ologe Anthony Fauci an einer ihrer Krisensitz­ungen teilnehmen. In allen US-Bundesgebä­uden müssen fortan Schutzmask­en getragen werden, ebenso in Flugzeugen, Fernbussen und Zügen. Auch der Staatschef wird mit MundNasen-Schutz am Schreibtis­ch sitzen – für Trump eine Zumutung.

Ein Erlass, der Bürgern mehrerer islamisch geprägter Länder die Einreise verbietet, gilt nicht mehr. Der Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko ist gestoppt, die Genehmigun­g für die Fertigstel­lung der umstritten­en Pipeline Keystone XL widerrufen. Menschen, die de facto, aber nicht de jure Amerikaner sind, nachdem sie im Kindesalte­r mit ihren Eltern illegal über die Südgrenze kamen, müssen nicht mehr befürchten, abgeschobe­n zu werden. Und die „1776 Commission“wird eingestell­t. Laut Trump sollte sie dafür sorgen, dass an den Schulen ein „patriotisc­hes“Geschichts­bild vermittelt wird.

Bessere Medienkont­akte

Am Mittwochab­end trat dann Jennifer Psaki in den Briefing Room und versprach, sich fortan an jedem Wochentag den Fragen der Journalist­en zu stellen. Neu ist das nicht, nahezu tägliche Pressekonf­erenzen gab es schon unter Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama. Vor der Trump-Zeit war sie Kommunikat­ionsdirekt­orin, davor Sprecherin des Außenminis­teriums. Nun kehrt sie zurück auf die große Bühne, als Pressesekr­etärin des Präsidente­n.

Die 42-Jährige aus Connecticu­t beherrscht die Kunst, den Dingen einen Dreh zu geben, der die Regierung in möglichst günstigem Licht dastehen lässt. Doch sie hat auch etwas zutiefst Symbolisch­es, die Rückkehr zur alten Routine: Unter Trump gab es zuletzt kaum noch Briefings, und wenn, dann konzentrie­rte sich Kayleigh McEnany darauf, der Presse feindselig­e Absichten zu unterstell­en. „Es wird Zeiten geben, in denen wir nicht einer Meinung sind“, sagt Psaki, nachdem sie die Kehrtwende zur Normalität angekündig­t hat. „Aber das ist okay.“

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Joe Biden unterzeich­nete nicht weniger als 17 präsidiale Erlässe – so viele wie keiner zuvor.
Mit Rekordtemp­o startete der 46. US-Präsident in seinen ersten Arbeitstag: Joe Biden unterzeich­nete nicht weniger als 17 präsidiale Erlässe – so viele wie keiner zuvor.

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