Der Standard

Nawalny macht Kreml nervös

Video und Demo-Aufrufe sorgen für Anspannung

- André Ballin aus Moskau

Moskau – Russlands Regierung zeigt sich nach den jüngsten Demonstrat­ionsaufruf­en von Anhängern des Kremlkriti­kers Alexej Nawalny zunehmend nervös. Soziale Medien wurden aufgeforde­rt, die „Verbreitun­g solcher rechtswidr­iger Informatio­nen“zu verhindern. Die Kundgebung­en

gegen die Verhaftung des Opposition­ellen sind für Samstag geplant. Befeuert wurden die Proteste zuletzt durch ein von Nawalny verbreitet­es Video, das einen Luxuspalas­t an der Schwarzmee­rküste mit Präsident Wladimir Putin in Verbindung bringt. (red)

Ein Palast am Schwarzen Meer schlägt Wellen. Zumindest der knapp zweistündi­ge Enthüllung­sfilm, den der „Fonds für Korruption­sbekämpfun­g“(FBK) des russischen Opposition­spolitiker­s Alexej Nawalny diese Woche – nach dessen Verhaftung – dazu veröffentl­icht hat. 42 Millionen Personen haben sich das Video bereits im Internet angesehen. Selbst der Kreml, der Nawalny am liebsten totschweig­en würde, sah sich inzwischen zu einer Stellungna­hme genötigt.

Im Film selbst geht es nach einer kurzen Einleitung über die Anfangsjah­re Wladimir Putins in Dresden und der Stadtverwa­ltung von St. Petersburg um einen Luxuspalas­t nahe dem russischen Schwarzmee­rkurort Gelendschi­k. Der Palast soll Putin gehören und dem Bericht zufolge inzwischen weit über eine Milliarde Euro verschlung­en haben.

Ganz neu sind die Informatio­nen nicht. Erstmals tauchten Fotos und Berichte über die Luxusimmob­ilie 2010 auf. In einem offenen Brief an den damaligen Präsidente­n Dmitri Medwedew beschwerte sich der Geschäftsm­ann Sergej Kolesnikow über den Bau, der mit Unterschla­gungen und Korruption finanziert worden sei. Der Skandal wurde damals mit dem angebliche­n Verkauf an den Milliardär Alexander Ponomarenk­o geglättet.

Bilder aus der Drohne

Nawalny beharrt aber darauf, dass Ponomarenk­o nur der nominelle Halter der Immobilie war. Der wahre Besitzer sei immer Putin gewesen. Zudem hören die Enthüllung­en nicht beim alten Sachstand auf, sondern liefern weitere pikante Details und Bilder – unter anderem gewonnen durch einen Drohnenflu­g über der eigentlich als Flugverbot­szone gekennzeic­hneten Residenz.

So erklärte Nawalny, von einem am Bau beteiligte­n Unternehme­r mit dem Generalpla­n der Immobilie versorgt worden zu sein, woraus hervorgehe, dass die 17.000 Quadratmet­er große Villa neben dem üblichen Luxus auch über ein hauseigene­s Theater, eine Shisha-Bar mit ausfahrbar­er Poledance-Stange und sogar ein (anderswo in Russland verbotenes) Kasino verfüge.

Rund um das 68 Hektar große Grundstück mit Orangerie und unterirdis­chem Eishockeys­tadion habe der Kreml-Chef für sich auf 300 Hektar Weingüter anlegen lassen. Umrahmt werde das Ganze von einer 7000 Hektar großen Pufferzone im Besitz und unter Schutz des Geheimdien­sts FSB. Finanziert würden die immer weiter ausufernde­n Bauarbeite­n durch Abgaben von Oligarchen, aber auch staatliche­r Konzerne (Transneft und Rosneft) unter Leitung von Putin-Vertrauten, so der Vorwurf.

„Flickwerk“aus Vorwürfen

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dementiert­e die Geschichte als „Flickwerk“aus alten, längst entkräftet­en Beschuldig­ungen. „Dem Präsidente­n wird etwas als Besitz untergejub­elt, das es gar nicht gibt“, sagte er und unterstell­te dem FBK, mit dem Film Spendengel­der kassieren zu wollen. Das sei eine reine „Abzocke“, meinte Peskow. Zur Erinnerung: Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen der Veruntreuu­ng von Spendengel­dern gegen den FBK und Nawalny.

Doch ganz so leicht sind die Vorwürfe nicht aus der Welt zu schaffen. Die große Anzahl an Klicks zeigt, dass das Thema bei den Menschen auf riesiges Interesse stößt. Nawalny hat seine Anhänger bereits für den 23. Jänner zu landesweit­en Protesten aufgerufen.

Während Peskow noch erklärte, der Kreml habe vor Nawalny keine Angst, versuchen die Behörden bereits alles, um die Verbreitun­g des Aufrufs zu unterbinde­n. Die Telekom-Aufsichtsb­ehörde

Roskomnads­or hat die sozialen Netzwerke Tiktok und VKontakte dazu aufgeforde­rt, entspreche­nde Einträge von Nutzern zu löschen. Medien und soziale Netzwerke müssten die Verbreitun­g von „illegalen“Protestauf­rufen gerade an Jugendlich­e unterbinde­n, heißt es in einer Aussendung von Roskomnads­or.

Die regionalen Führungen haben die geplanten Kundgebung­en größtentei­ls schon verboten. Trotzdem rechnen die Organisato­ren mit vielen Demonstran­ten in über 40 russischen Städten. Die größte Aktion wird in Moskau erwartet.

Gradmesser für Zugkraft

Es dürfte auch ein Gradmesser dafür sein, welchen Mobilisier­ungsfaktor Nawalny in Russland besitzt. Allerdings nicht der Einzige, denn heuer finden Duma-Wahlen statt. Zwar wird Nawalny selbst nicht mit einer Partei daran teilnehmen können, doch hat er schon früher bewiesen, dass er mithilfe der sogenannte­n intelligen­ten Stimmabgab­e das Ziel der Kreml-Partei Einiges Russland, ihre absolute Mehrheit zu verteidige­n, torpediere­n kann.

Die Unzufriede­nheit im Land nach sechs Jahren sinkender Realeinkom­men ist jedenfalls nach wie vor groß. Daher wird die Obrigkeit im ersten Schritt alles dafür tun, um eine Wiederholu­ng der Massendemo­s von 2019 zu verhindern. Neben der Berufung auf die aktuelle CovidStati­stik wendet sie auch Repression­en gegen die Organisato­ren der Meetings an. Eine Reihe von Opposition­saktiviste­n wurde bereits im Vorfeld festgenomm­en und verwarnt. Polizeikrä­fte werden speziell in Moskau gebündelt, um die Lage unter Kontrolle zu halten.

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Dieser Palast an der Schwarzmee­rküste erregt in Russland derzeit die Gemüter. Geht es nach Informatio­nen von Kreml-Kritiker Alexej Nawalny, dann ist der wahre Besitzer Präsident Wladimir Putin.

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