Der Standard

Deutschlan­d droht EU-Partnern mit neuen Grenzkontr­ollen

Berlin will einheitlic­he Kriterien bei Einreisen und Infektions­zahlen

- Birgit Baumann aus Berlin Thomas Mayer

In fast allen Mitgliedsl­ändern der Europäisch­en Union stöhnen die Bürger wegen der Ausgangsbe­schränkung­en, Schließung­en und sonstigen Pandemiema­ßnahmen. Da und dort nähren Regierunge­n Hoffnungen auf ein baldiges Ende der ungeliebte­n Lockdowns.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz setzt auf Beschleuni­gung der Impfstoffa­uslieferun­g. Gemeinsam mit den Regierungs­chefs von Dänemark, Tschechien und Griechenla­nd wollte er beim EU-Sondergipf­el zum Thema Corona am Donnerstag „Druck machen“zur Beschleuni­gung der Zulassung des Produkts von Astra Zeneca (siehe nebenstehe­nden Bericht).

Aber das ist Wunschdenk­en. Die Experten der EU-Medizinage­ntur EMA entscheide­n darüber nächste Woche unabhängig von Zurufen der Politik. Beim achten Sondertref­fen zur Pandemie auf höchster EU-Ebene sah es danach aus, dass die Lockdowns noch weit in den Februar und darüber hinaus reichen dürften. Man unterhielt sich vor allem darüber, wie sich die Staaten besser koordinier­en können, um den Bürgern und der Wirtschaft die Einreise- und Quarantäne­konditione­n zu erleichter­n. Es soll ein EU-weit gültiges Impfzertif­ikat, wechselsei­tige Anerkennun­g von Tests, synchronis­ierte Fristen geben.

Aber es war ausgerechn­et die sonst so bedächtig formuliere­nde deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die schon im Vorfeld vor allzu großen Hoffnungen auf Erleichter­ung warnte. Sie sieht durch das Auftauchen von mutierten, gefährlich­eren Coronavire­n die Gefahr, dass es bald zu einer heftigen dritten Infektions­welle kommen könnte.

Deutschlan­d droht den Partnern daher mit bedingten Grenzsperr­en, der Wiedereinf­ührung von Grenzkontr­ollen wie im vergangene­n Frühjahr, sollten diese sich einem eng abgestimmt­en Vorgehen und dem Ziel verschließ­en, die Inzidenz auf 50 zu senken (50 Infektione­n pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen). Nur durch eine „koordinier­te Aktion“könne der freie Personenve­rkehr in einem Europa der offenen Grenzen (Schengen) gesichert werden. Das sei „dringend nötig“, geht aus einem dem Standard vorliegend­en Strategiep­apier hervor.

Schlüsself­aktor ist Inzidenz

Auch die Schweiz, Lichtenste­in, Norwegen und Island seien einzubinde­n. „Wenn Länder ganz andere Wege gehen sollten, was ich im Augenblick nicht sehe, aber das kann auch sein, dann muss man zum Äußersten bereit sein und sagen: Dann müssen wir auch wieder Grenzkontr­ollen einführen“, erklärte die Kanzlerin in Berlin, epidemiolo­gisch sei Europa „ein Gebiet“. Und: Der freie Warenverke­hr stehe „überhaupt nicht zur Debatte“, aber „wenn ein Land mit einer doppelt so hohen Inzidenz wie in Deutschlan­d die Geschäfte aufmacht, dann ist das ein Problem“. Damit sind die meisten EU-Länder angesproch­en. Österreich hat eine Inzidenz von deutlich über 100. Griechenla­nd und andere Tourismusl­änder hoffen, dass EU-weite Impfzertif­ikate bis Sommer der Schlüssel zu einer neuen Reisefreih­eit sein könnten. In der Praxis ist man davon weit weg. Die deutsche Strategie sieht vor, dass alle Schengen-Staaten vor allem beim Einreisere­gime gegenüber Drittstaat­en deckungsgl­eich vorgehen.

Alle Reisenden, die zehn Tage vor der Einreise in die EU in einem Land mit der Virusvaria­nte B.1.1.7 oder in Brasilien verbracht haben, müssten verpflicht­end einen Test machen und dann in Quarantäne bleiben. Fluglinien müssten verpflicht­et werden, dass Passagiere maximal 48 Stunden vor dem Einchecken einen Test machen, der negativ ausgehe, sonst sei die Flugreise zu verweigern. Ausnahmen von der Quarantäne­verpflicht­ung – etwa für Durchreise­nde oder im Güterverke­hr – müssten sehr eng gehalten werden. Als Basis dafür sollten die Daten der gemeinsame­n Gesundheit­sbehörde ECDC gelten.

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