Deutschland droht EU-Partnern mit neuen Grenzkontrollen
Berlin will einheitliche Kriterien bei Einreisen und Infektionszahlen
In fast allen Mitgliedsländern der Europäischen Union stöhnen die Bürger wegen der Ausgangsbeschränkungen, Schließungen und sonstigen Pandemiemaßnahmen. Da und dort nähren Regierungen Hoffnungen auf ein baldiges Ende der ungeliebten Lockdowns.
Bundeskanzler Sebastian Kurz setzt auf Beschleunigung der Impfstoffauslieferung. Gemeinsam mit den Regierungschefs von Dänemark, Tschechien und Griechenland wollte er beim EU-Sondergipfel zum Thema Corona am Donnerstag „Druck machen“zur Beschleunigung der Zulassung des Produkts von Astra Zeneca (siehe nebenstehenden Bericht).
Aber das ist Wunschdenken. Die Experten der EU-Medizinagentur EMA entscheiden darüber nächste Woche unabhängig von Zurufen der Politik. Beim achten Sondertreffen zur Pandemie auf höchster EU-Ebene sah es danach aus, dass die Lockdowns noch weit in den Februar und darüber hinaus reichen dürften. Man unterhielt sich vor allem darüber, wie sich die Staaten besser koordinieren können, um den Bürgern und der Wirtschaft die Einreise- und Quarantänekonditionen zu erleichtern. Es soll ein EU-weit gültiges Impfzertifikat, wechselseitige Anerkennung von Tests, synchronisierte Fristen geben.
Aber es war ausgerechnet die sonst so bedächtig formulierende deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die schon im Vorfeld vor allzu großen Hoffnungen auf Erleichterung warnte. Sie sieht durch das Auftauchen von mutierten, gefährlicheren Coronaviren die Gefahr, dass es bald zu einer heftigen dritten Infektionswelle kommen könnte.
Deutschland droht den Partnern daher mit bedingten Grenzsperren, der Wiedereinführung von Grenzkontrollen wie im vergangenen Frühjahr, sollten diese sich einem eng abgestimmten Vorgehen und dem Ziel verschließen, die Inzidenz auf 50 zu senken (50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen). Nur durch eine „koordinierte Aktion“könne der freie Personenverkehr in einem Europa der offenen Grenzen (Schengen) gesichert werden. Das sei „dringend nötig“, geht aus einem dem Standard vorliegenden Strategiepapier hervor.
Schlüsselfaktor ist Inzidenz
Auch die Schweiz, Lichtenstein, Norwegen und Island seien einzubinden. „Wenn Länder ganz andere Wege gehen sollten, was ich im Augenblick nicht sehe, aber das kann auch sein, dann muss man zum Äußersten bereit sein und sagen: Dann müssen wir auch wieder Grenzkontrollen einführen“, erklärte die Kanzlerin in Berlin, epidemiologisch sei Europa „ein Gebiet“. Und: Der freie Warenverkehr stehe „überhaupt nicht zur Debatte“, aber „wenn ein Land mit einer doppelt so hohen Inzidenz wie in Deutschland die Geschäfte aufmacht, dann ist das ein Problem“. Damit sind die meisten EU-Länder angesprochen. Österreich hat eine Inzidenz von deutlich über 100. Griechenland und andere Tourismusländer hoffen, dass EU-weite Impfzertifikate bis Sommer der Schlüssel zu einer neuen Reisefreiheit sein könnten. In der Praxis ist man davon weit weg. Die deutsche Strategie sieht vor, dass alle Schengen-Staaten vor allem beim Einreiseregime gegenüber Drittstaaten deckungsgleich vorgehen.
Alle Reisenden, die zehn Tage vor der Einreise in die EU in einem Land mit der Virusvariante B.1.1.7 oder in Brasilien verbracht haben, müssten verpflichtend einen Test machen und dann in Quarantäne bleiben. Fluglinien müssten verpflichtet werden, dass Passagiere maximal 48 Stunden vor dem Einchecken einen Test machen, der negativ ausgehe, sonst sei die Flugreise zu verweigern. Ausnahmen von der Quarantäneverpflichtung – etwa für Durchreisende oder im Güterverkehr – müssten sehr eng gehalten werden. Als Basis dafür sollten die Daten der gemeinsamen Gesundheitsbehörde ECDC gelten.