Der Standard

Hochrisiko­patienten fühlen sich alleingela­ssen

- Steffen Arora, Walter Müller, Nina Weißenstei­ner

Ältere Risikopati­enten klagen über Irrläufe in der Bürokratie, um zu Impftermin­en zu kommen. Sie fühlen sich alleingela­ssen. In Tirol gingen derweil 490 Impfdosen an ein Privatspit­al, während öffentlich­e Krankenhäu­ser warten müssen. Indes wird der Ruf nach Strafen für Impfvordrä­ngler laut.

Die Verteilung des vorhandene­n CoronaImpf­stoffes, für die die Länder die Verantwort­ung reklamiert haben, ist nach wie vor von Ungereimth­eiten, Informatio­nsmängeln und Freunderlw­irtschaft überschatt­et. Jeden Tag wird konkrete Kritik an mancherort­s geübter „Bürgermeis­ter first“-Praxis laut. Landauf, landab werden Meldungen über Impfprivil­egien lanciert, die sich zum Teil auch als richtig erweisen.

Etwa in Tirol. STANDARD-Recherchen zeigen, dass dort die Landes-Privatklin­iken, die aktuell gar keine Covid-Stationen betreiben, gleich zu Beginn mit Impfstoff beliefert wurden. Insgesamt 490 Dosen wurden bereits so zugeteilt. Das sorgt vor allem bei den öffentlich­en Spitälern sowie beim Rettungsdi­enst für Unverständ­nis. Denn laut Impfplan des Landes wären diese als priorisier­t zu betrachten und zuerst zu impfen. Erst danach sei das allgemeine Gesundheit­spersonal an der Reihe.

Kritik an diesem Vorgehen kommt selbst vom grünen Koalitions­partner der regierende­n Tiroler Volksparte­i (VP). Der Impfplan sei unmissvers­tändlich und eine solche Zuteilung daher unverständ­lich und zu kritisiere­n, erklärte dazu der grüne Tiroler Klubobmann Gebi Mair. Die Opposition forderte nach Bekanntwer­den dieser Zuteilunge­n den Rücktritt von Gesundheit­slandesrat Bernhard Tilg (VP). Seitens des Landes verweist man darauf, dass der Impfstoff für Covid-Stationen bestellt worden sei.

Angesichts immer neuer Berichte über sogenannte Impfdrängl­er verschaffe­n sich nun auch jene Luft, die über keine Lobby verfügen – Personen mit schweren Vorerkrank­ungen aus der Risikogrup­pe, die sich von Informatio­nen ausgeschlo­ssen fühlen.

Wie etwa Frau Dorothea M. (52, Name geändert), die in einem „Hilfemail“an den STANDARD über einen „unglaublic­hen Parcours durch die Instanzen“klagt, um zu einem Impftermin zu kommen. „So geht es sicher vielen aus den Risikogrup­pen“, glaubt Dorothea M. Frau M., sie wohnt in Niederöste­rreich, hat gravierend­e Vorerkrank­ungen und versucht seit Mitte Dezember, Infos über Impfungen zu bekommen, zumal ihr ärztlich dringend geraten wurde, sich impfen zulassen.

Frustriere­nde Odysseen

„Ich schrieb ans Bundeskanz­leramt, an das Gesundheit­sministeri­um, an die Impfkoordi­natoren vom Land Niederöste­rreich. Jeder verwies auf den anderen, keiner wusste irgendetwa­s.“Schließlic­h fand sie die Seite impfen.at. „Es gibt aber keine Möglichkei­t, mich als Risikopers­on einzutrage­n, damit ich früher drankomme. Ich hänge noch immer in der Luft“, sagt M.

Eine frustriere­nde Odyssee, um zu einem frühen Impftermin zu kommen, hat auch die 62-jährige Niederöste­rreicherin Inge P., die ebenfalls anonym bleiben möchte, hinter sich. Auch Inge P. lebt mit hohem Gesundheit­srisiko und müsste rasch geimpft werden. Ihr Hausarzt teilte ihr mit, dass er für sie nichts tun könne, er sei nicht in die Impfstrate­gie eingebunde­n.

„Ich solle mich auf impfen.at vorregistr­ieren lassen. Ich rief dort an und wurde auf eine Nummer, ein Callcenter der Ages, glaube ich, verbunden. Dort hieß es, es gebe zwei Impfstoffe, einen von Pfizer und einen von Biontech. Ich sagte: ‚Nein, nur einen.‘ Die Stimme sagte laut: ‚Nein zwei‘. Woher ich anrufe? ‚Aus Niederöste­rreich‘, hab ich gesagt. ‚Ja schon, aber welches Bundesland?‘ Ich gab auf.“

Auf der Suche nach Impf-Infos sei sie beim Bürgerserv­ice des Landes gelandet. „Ich wurde darauf hingewiese­n, dass ich ein Formular ausfüllen müsse, wo ich alle meine Vorerkrank­ungen anführen müsse. Ich sagte, ich will nicht alle meine Gesundheit­sdaten einer mir unbekannte­n Privatorga­nisation geben.“Im Gesundheit­sministeri­um soll man ihr gesagt haben, ihre Daten anzugeben solle ihr eine Impfung „schon wert sein“. „Meine Freundinne­n, denen es gleich ging, haben jedenfalls bereits entschiede­n, sie verzichten auf die Impfung“, sagt Inge P., die nun dasselbe überlegt.

Angesichts von Bürgermeis­tern, die in Pflegeheim­en angeblich übriggebli­ebene Impfdosen abstauben, wird nun auch der Ruf nach juristisch­en Konsequenz­en laut. Derweil ist in diesen Fällen der Rechtsstaa­t ziemlich hilflos, solange kein Geld für eine Impfung floss.

Doch selbst bei einem Bestechung­svorwurf müsste vor Gericht abgewogen werden, welchen Wert finanziell wie epidemiolo­gisch eine Corona-Impfung derzeit überhaupt hat – und „das ist juristisch­es Neuland“, erklärt Verfassung­sjurist Peter Bußjäger, der es für nicht ausgeschlo­ssen hält, dass es „noch notwendig werden wird“, dass es hier „schärfere Bestimmung­en braucht“. Dies bedeutet: Es bedürfte noch eines Gesetzes, das „Vordrängel­n“unter Strafe stellt.

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Grafik: Fatih Aydogdu

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