Hochrisikopatienten fühlen sich alleingelassen
Ältere Risikopatienten klagen über Irrläufe in der Bürokratie, um zu Impfterminen zu kommen. Sie fühlen sich alleingelassen. In Tirol gingen derweil 490 Impfdosen an ein Privatspital, während öffentliche Krankenhäuser warten müssen. Indes wird der Ruf nach Strafen für Impfvordrängler laut.
Die Verteilung des vorhandenen CoronaImpfstoffes, für die die Länder die Verantwortung reklamiert haben, ist nach wie vor von Ungereimtheiten, Informationsmängeln und Freunderlwirtschaft überschattet. Jeden Tag wird konkrete Kritik an mancherorts geübter „Bürgermeister first“-Praxis laut. Landauf, landab werden Meldungen über Impfprivilegien lanciert, die sich zum Teil auch als richtig erweisen.
Etwa in Tirol. STANDARD-Recherchen zeigen, dass dort die Landes-Privatkliniken, die aktuell gar keine Covid-Stationen betreiben, gleich zu Beginn mit Impfstoff beliefert wurden. Insgesamt 490 Dosen wurden bereits so zugeteilt. Das sorgt vor allem bei den öffentlichen Spitälern sowie beim Rettungsdienst für Unverständnis. Denn laut Impfplan des Landes wären diese als priorisiert zu betrachten und zuerst zu impfen. Erst danach sei das allgemeine Gesundheitspersonal an der Reihe.
Kritik an diesem Vorgehen kommt selbst vom grünen Koalitionspartner der regierenden Tiroler Volkspartei (VP). Der Impfplan sei unmissverständlich und eine solche Zuteilung daher unverständlich und zu kritisieren, erklärte dazu der grüne Tiroler Klubobmann Gebi Mair. Die Opposition forderte nach Bekanntwerden dieser Zuteilungen den Rücktritt von Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (VP). Seitens des Landes verweist man darauf, dass der Impfstoff für Covid-Stationen bestellt worden sei.
Angesichts immer neuer Berichte über sogenannte Impfdrängler verschaffen sich nun auch jene Luft, die über keine Lobby verfügen – Personen mit schweren Vorerkrankungen aus der Risikogruppe, die sich von Informationen ausgeschlossen fühlen.
Wie etwa Frau Dorothea M. (52, Name geändert), die in einem „Hilfemail“an den STANDARD über einen „unglaublichen Parcours durch die Instanzen“klagt, um zu einem Impftermin zu kommen. „So geht es sicher vielen aus den Risikogruppen“, glaubt Dorothea M. Frau M., sie wohnt in Niederösterreich, hat gravierende Vorerkrankungen und versucht seit Mitte Dezember, Infos über Impfungen zu bekommen, zumal ihr ärztlich dringend geraten wurde, sich impfen zulassen.
Frustrierende Odysseen
„Ich schrieb ans Bundeskanzleramt, an das Gesundheitsministerium, an die Impfkoordinatoren vom Land Niederösterreich. Jeder verwies auf den anderen, keiner wusste irgendetwas.“Schließlich fand sie die Seite impfen.at. „Es gibt aber keine Möglichkeit, mich als Risikoperson einzutragen, damit ich früher drankomme. Ich hänge noch immer in der Luft“, sagt M.
Eine frustrierende Odyssee, um zu einem frühen Impftermin zu kommen, hat auch die 62-jährige Niederösterreicherin Inge P., die ebenfalls anonym bleiben möchte, hinter sich. Auch Inge P. lebt mit hohem Gesundheitsrisiko und müsste rasch geimpft werden. Ihr Hausarzt teilte ihr mit, dass er für sie nichts tun könne, er sei nicht in die Impfstrategie eingebunden.
„Ich solle mich auf impfen.at vorregistrieren lassen. Ich rief dort an und wurde auf eine Nummer, ein Callcenter der Ages, glaube ich, verbunden. Dort hieß es, es gebe zwei Impfstoffe, einen von Pfizer und einen von Biontech. Ich sagte: ‚Nein, nur einen.‘ Die Stimme sagte laut: ‚Nein zwei‘. Woher ich anrufe? ‚Aus Niederösterreich‘, hab ich gesagt. ‚Ja schon, aber welches Bundesland?‘ Ich gab auf.“
Auf der Suche nach Impf-Infos sei sie beim Bürgerservice des Landes gelandet. „Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich ein Formular ausfüllen müsse, wo ich alle meine Vorerkrankungen anführen müsse. Ich sagte, ich will nicht alle meine Gesundheitsdaten einer mir unbekannten Privatorganisation geben.“Im Gesundheitsministerium soll man ihr gesagt haben, ihre Daten anzugeben solle ihr eine Impfung „schon wert sein“. „Meine Freundinnen, denen es gleich ging, haben jedenfalls bereits entschieden, sie verzichten auf die Impfung“, sagt Inge P., die nun dasselbe überlegt.
Angesichts von Bürgermeistern, die in Pflegeheimen angeblich übriggebliebene Impfdosen abstauben, wird nun auch der Ruf nach juristischen Konsequenzen laut. Derweil ist in diesen Fällen der Rechtsstaat ziemlich hilflos, solange kein Geld für eine Impfung floss.
Doch selbst bei einem Bestechungsvorwurf müsste vor Gericht abgewogen werden, welchen Wert finanziell wie epidemiologisch eine Corona-Impfung derzeit überhaupt hat – und „das ist juristisches Neuland“, erklärt Verfassungsjurist Peter Bußjäger, der es für nicht ausgeschlossen hält, dass es „noch notwendig werden wird“, dass es hier „schärfere Bestimmungen braucht“. Dies bedeutet: Es bedürfte noch eines Gesetzes, das „Vordrängeln“unter Strafe stellt.