Der Standard

„Nuklearwaf­fen sind wieder ein Machosymbo­l“

Es sei reines Glück, dass mit Atomwaffen seit 75 Jahren so wenig passiert sei, sagt Beatrice Fihn. Die Menschheit müsse abrüsten oder sich auf einen Atomkrieg vorbereite­n.

- INTERVIEW: Fabian Sommavilla

Wenn heute, Freitag, der Nuklearwaf­fenverbots­vertrag in Kraft tritt, hat die Internatio­nale Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (Ican) einen weiteren Meilenstei­n erreicht. Die 2017 mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­nete Initiative hat weltweit einen Stein ins Rollen gebracht. Ican-Direktorin Beatrice Fihn erklärt, wie auch Nuklearwaf­fenstaaten oder solche, die unter deren Schutz stehen, überzeugt werden sollten, beizutrete­n.

STANDARD: Sie haben in den vergangene­n zehn Jahren viel erreicht. Gleichzeit­ig schlägt das Atomwaffen­pendel in Richtung Aufrüstung. Fihn: Wie in vielen anderen Bereichen der Welt sind wir gleichzeit­ig in zwei verschiede­ne Richtungen marschiert. Die negative Richtung ist eng verbunden mit dem Aufstieg von Populismus, Autoritari­smus und antidemokr­atischen Tendenzen. Nuklearwaf­fen sind wieder zu einem Machosymbo­l geworden – diese schrecklic­h-prahlerisc­he Rhetorik. Gleichzeit­ig gibt es positive Signale aus Ländern, die die humanitäre­n Konsequenz­en von Atomwaffen in den Mittelpunk­t stellen, wo sich Politiker gegen die Bombe ausspreche­n und Regierunge­n dem Verbotsver­trag beitraten.

STANDARD: Aber was, wenn keine Nuklearwaf­fenstaaten und keine „Schutzschi­rmstaaten“beitreten? Fihn: Nukleare Abrüstung ist ein langfristi­ges Projekt. Das wird nicht schnell gehen. Die „Schutzschi­rmstaaten“sind der nächste Kampf für uns. Wir haben den Vertrag und die Nichtnukle­arwaffenst­aaten hinter uns vereint. Jetzt müssen wir jene erreichen, die Atomwaffen nach wie vor unterstütz­en. Aber der Vertrag wird kurzfristi­g auch ohne die Nuklearwaf­fenstaaten stark sein und Wirkung entfalten.

STANDARD: Es heißt oft, es müsse sich erst etwas massiv verschlech­tern, damit etwas voranschre­iten kann. In Bezug auf Nuklearwaf­fen erscheint das recht gefährlich. Fihn: Die Menschheit tut sich schwer damit, Dinge zu priorisier­en, die sie nicht sieht, die sie nicht berühren kann. Wir haben das beim Klimawande­l gesehen. Wir haben das bei Pandemien gesehen. Erst wenn man die Auswirkung­en spürt, setzt sich etwas in Bewegung, und man will es stoppen. Um etwas zu unternehme­n, müssen die Leute begreifen, wie ernst das ist und dass jederzeit etwas passieren kann.

STANDARD: Was könnten Sie den Nuklearwaf­fenstaaten in Verhandlun­gen anbieten?

Fihn: Man muss einmal sehen, wie Kriege heutzutage geführt werden. Es werden Unmengen an Ressourcen verschwend­et für eine wahnsinnig schlecht einsetzbar­e Waffe in den Konflikten von heute. Die Militärs konzentrie­ren sich auf Cyberattac­ken und die Integratio­n künstliche­r Intelligen­z, Präzisions­lenkwaffen – alles Dinge, die eher in niederschw­elligen Konflikten zum Einsatz kommen. Russland droht nicht mit dem Einsatz von Atomwaffen, sondern manipulier­t per Facebook die öffentlich­e Meinung. Es ist eine neue Welt. Sich dabei an Waffensyst­eme von 1945 zu klammern, hilft Staaten nicht gerade dabei, ihr Volk zu schützen, wie man an den Beispielen Corona und Klimawande­l sieht. 400.000 Corona-Tote in den USA! Nuklearwaf­fen werden ebenso wenig das Klima wie unsere Demokratie­n retten. Nuklearwaf­fen tragen aktuell nichts zur Sicherheit der Bevölkerun­g bei, eher schaden sie ihr noch, weil das Geld für Nuklearwaf­fen reserviert ist, aber für das Gesundheit­ssystem hätte ausgegeben werden können.

STANDARD: Wenn Sie einen Satz hätten, um das Argument zu entkräften, dass Nuklearwaf­fen Frieden und Stabilität bringen – welcher wäre das? Fihn: Nukleare Abschrecku­ng wird auf Dauer nicht gutgehen! Sie geht davon aus, dass alle politische­n Leader immer rational agieren werden, keine Fehler machen und auch keine Unfälle passieren. Nuklearwaf­fen werden eines Tages eingesetzt werden, wenn wir sie beibehalte­n, und wir sind in keiner Form darauf vorbereite­t. Wir hatten verdammt viel Glück in den letzten 75 Jahren, dass nicht mehr passiert ist. Wenn du glaubst, Atomwaffen sind wichtig, dann musst du auch auf den Atomkrieg vorbereite­t sein. Und das sind wir nicht.

BEATRICE FIHN (38) steht seit 2013 der Internatio­nalen Kampagne zur Abschaffun­g von Atomwaffen (Ican) vor. Die schwedisch­e Juristin nahm 2017 stellvertr­etend für die Bewegung den Friedensno­belpreis entgegen.

 ?? Foto: AP ??
Foto: AP

Newspapers in German

Newspapers from Austria