Der Standard

Die Welt, ein Abklatsch

Philosophe­n, Wissenscha­fter und auch Elon Musk glauben, dass wir in einer riesengroß­en Computersi­mulation leben. Sind sie übergeschn­appt, oder ist da was dran?

- Philip Pramer

Denken Sie mal an Ihren letzten Traum zurück. Egal, ob Sie geflogen sind, von fantastisc­hen Wesen verfolgt wurden oder Sie nach dem Druck auf die Snooze-Taste (wunsch-)geträumt haben, dass Sie schon in der Arbeit sind – dass Sie nichts von alldem wirklich erlebt haben, wussten Sie höchstwahr­scheinlich erst nach dem Aufwachen. Im Traum hingegen erschien alles echt.

So ähnlich könnte es auch mit der Realität sein, argumentie­ren Verfechter der sogenannte­n Simulation­shypothese. Die glauben nämlich, dass das Leben, die Welt und sowieso alles eine riesengroß­e Lüge ist. In Wirklichke­it befinden wir uns nämlich in einer Simulation, errechnet auf Computern, die von einer überlegene­n Spezies oder gar von einer künstliche­n Superintel­ligenz programmie­rt wurde. Kein Scherz.

Wer bei Impfgegner­n, die Angst vor implantier­ten Mikrochips haben, verachtend die Augenbraue­n hebt, wird ob der an den Film Matrix erinnernde­n Fantasien der Simulation­sjünger nur den Kopf schütteln. Aber was klingt wie die ultimative Verschwöru­ngstheorie, ist tatsächlic­h Gegenstand ernsthafte­r Diskussion­en –sogar unter Wissenscha­ftern.

Trendsette­r in Toga

Dem antiken Philosophe­n Platon hätte der Kultfilm von Lana und Lilly Wachowski wohl gefallen. Er sah sich schon vor über 2000 Jahren in einer Scheinwelt gefangen, formuliert in seinem berühmten Höhlenglei­chnis. Seitdem ist die Frage nach der echten Realität ein Evergreen der Philosophi­e – und auch der Popkultur.

In Zeiten, in denen künstliche Intelligen­z schon ein atemberaub­endes Niveau erreicht hat, stellt sich die Frage aber ganz neu. Wenn wir innerhalb von wenigen Jahrzehnte­n den Weg vom minimalist­ischen Videospiel Pong zu fotorealis­tischen 3D-Simulation­en gefunden haben, werden wir in wenigen Jahren an einem Punkt angelangt sein, wo sich die Realität nicht mehr von Simulation­en unterschei­den lässt, ist etwa Elon Musk überzeugt. Die Wahrschein­lichkeit, dass wir in der echten Realität leben, beziffert er lediglich mit eins zu mehreren Milliarden.

Musk ist wohl der prominente­ste Anhänger der Idee der absoluten Simulation, aber auch in Foren und geneigten Wissenscha­fterkreise­n wird die Idee wieder zunehmend diskutiert. Während es weltweit immer weniger Bekenner zu klassische­n Religionen gibt, finden die Ideen des „Digitalism­us“immer mehr Zulauf. Suchte man früher ein Leben lang nach Gott, ist es jetzt der Ausweg aus der simulierte­n

Realität. So wie ihn etwa der Computerex­perte George Hotz sucht. Als Siebzehnjä­hriger knackte er den Softwaresc­hutz des iPhones, jetzt nimmt er sich die Matrix vor. Wie er den Ausbruch aus der Simulation schaffen will, ist nicht bekannt, aber er will zu diesem Zweck eine eigene Kirche gründen.

Jede Religion braucht ihre Bibel – für die Simulation­stheoretik­er ist es wohl die Abhandlung „Are You Living in a Simulation?“von Nick Bostrom aus dem Jahr 2003. Der Philosoph leitet inzwischen das Future of Humanity Institute an der Universitä­t Oxford. Er glaubt, dass es mit exponentie­ll steigender Rechenleis­tung irgendwann möglich sein muss, die gesamte Geschichte der Menschheit in einem Computer zu simulieren.

Kein Grund, wahnsinnig zu werden

Bostrom spielt drei Optionen durch, von denen laut ihm eine eintreten muss. Einerseits könnte es sein, dass es keine posthumane­n Zivilisati­onen gibt, weil sie sich – etwa durch Atomkriege – selbst auslöschen, bevor sie ein höheres technologi­sches Niveau erreichen. Eine andere Möglichkei­t wäre, dass eine Zivilisati­on die Technologi­e zwar besitzt, aber aus ethischen Gründen nicht einsetzt.

Und dann wäre da noch die Option Nummer drei: nämlich dass die Möglichkei­t zur Simulation besteht – und auch genutzt wird. Während die „echte“Realität nur einmal existiert, würde es dann bald Milliarden an Simulation­en geben. Die Wahrschein­lichkeit, dass wir in der Wirklichke­it leben, würde also gegen null gehen.

Raucht Ihnen schon der Kopf, käst Ihr Gehirn? Es geht noch weiter! Für Bostroms Gedankensp­iel muss man nämlich mit der Substratun­abhängigke­it einverstan­den sein. Dabei handelt es sich um die Annahme, dass Bewusstsei­n nicht nur in Hirnzellen, sondern auch auf Siliziumch­ips existieren kann. Womit wir bei der alten Frage sind, ob Maschinen denken können.

Der Simulation­shypthese wohnt ohne Zweifel etwas Nihilismus inne: Wenn wir ohnehin nur als Datenhaufe­n existieren, macht das Leben überhaupt Sinn? Sollten wir, anstatt die Corona-Pandemie und die Klimakrise zu bekämpfen, nicht besser eine Riesenpart­y schmeißen? Nick Bostrom gab sich schon 2003 agnostisch: Wir werden wohl nie wissen, ob wir echt sind – und es macht letztlich auch keinen Unterschie­d für unser Leben. Sollten wir wirklich in der Simulation leben, ist sie wie ein Traum, aus dem wir nie wieder aufwachen (zumindest bis iPhone-Hacker Hotz einen Ausweg gefunden hat).

Und wer will schon, dass er zum Albtraum wird?

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Foto: iStockphot­o Das Leben, die Welt, unsere Existenz – manche Menschen sind fest überzeugt, dass alles um uns nur Fake ist.
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Die Philosophe­n Nick Bostrom und Platon, Tesla-Gründer Elon Musk: Die Idee von der simulierte­n Realität ist steinalt. In Zeiten nahezu perfekter Visualisie­rungen stößt sie wieder auf Anklang.
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