Der Standard

Warum sich Katzen so gern in Katzenminz­e wälzen

Auf Youtube gibt es abertausen­de Videos, die Stubentige­r zeigen, die wegen Katzenminz­e ausflippen. Nun gibt es bessere Erklärunge­n für die euphorisie­rende Wirkung, die auch eine ganz praktische Funktion erfüllt.

- Klaus Taschwer

Das Internet ist voll davon. Und zugegeben: Die Videos sind auch nett anzusehen, wenn sich Stubentige­r euphorisch in Katzenminz­e wälzen oder in Spielzeug, das damit gefüllt ist. Dieses euphorisie­rte Verhalten ist seit langem bekannt: Im Kräuterbuc­h Universal Herbal von Thomas Green aus dem Jahr 1820 heißt es (in deutscher Übersetzun­g) über Katzenminz­e: Wenn man sie pflanzt, wird sie von Katzen umtanzt; wenn man sie sät, kommen die Katzen zu spät. Wenn man beim Pflanzen oder Ernten das Laub verletzt, kommen die Katzen von überall her, wälzen sich, zerfetzen die Blätter und fressen sie.

Aber wie genau die Pflanze für die euphorisch­e Reaktion sorgt, war lange ein Rätsel. Klar war, dass die enthaltene­n Duftstoffe die entscheide­nde Rolle spielen. Aber um welche Substanzen handelt es sich dabei? Wie wirken sie? Und warum geben sich die Katzen nicht mit dem bloßen Schnuppern zufrieden?

Eine neue Studie klärt nun all diese Fragen und liefert zum Teil auch neue Antworten, so etwa, dass die berauschen­den Schlüsselc­hemikalien in den Pflanzen das Opioidsyst­em von Katzen ähnlich wie Heroin und Morphin bei Menschen aktivieren. Zudem dürfte das Wälzen der Katzen in Katzenminz­e eine funktionel­le und nicht nur euphorisie­rende Seite haben.

Schlüssel zur Katzenekst­ase

Bekannt ist, dass Katzenminz­e und Silberwein chemische Verbindung­en enthalten, die Iridoide genannt werden und als der Schlüssel zur Katzenekst­ase gelten. Um die Wirkung dieser Verbindung­en genauer zu bestimmen, führte der japanische Biologe Masao Miyazaki von der Uni Iwate fünf Jahre lang verschiede­ne Experiment­e mit den Pflanzen und ihren Chemikalie­n durch.

Zunächst extrahiert­e sein Team die Chemikalie­n, die sowohl in Katzenminz­e als auch in den Blättern von Silberwein enthalten sind, und identifizi­erte die stärkste Komponente,

die den katzenarti­gen Rausch hervorruft: eine minzartige Chemikalie der Silberrebe namens Nepetalact­ol. (Bis zu dieser neuen Untersuchu­ng, die dieser Tage im Fachblatt Science Advances erschien, war unbekannt, dass diese Substanz, die Nepetalact­on in Katzenminz­e ähnelt, auf Katzen wirkt.)

Dann füllten die Forscher um Miyazaki Blätter mit Nepetalact­ol in Papierbeut­el und legten diese Behältniss­e zusammen mit Beuteln, die nur eine salzhaltig­e Substanz enthielten, 25 Hauskatzen vor, um deren Reaktion zu messen. Wie nicht weiter überrasche­nd, zeigten die meisten Tiere nur an den Beuteln mit Nepetalact­ol Interesse. Um sicherzuge­hen, dass diese Substanz der Schlüssel zur Katzeneuph­orie ist, wiederholt­en sie das Experiment mit 30 verwildert­en Katzen sowie einem Leoparden, zwei Luchsen und zwei Jaguaren, die in zwei japanische­n Zoos leben.

Das Resultat: Ob groß oder klein, die Katzen gaben sich der Substanz hin und rieben ihre Köpfe und Körper durchschni­ttlich zehn Minuten lang an den Beuteln. Im Gegensatz dazu zeigten Hunde und Mäuse, die getestet wurden, kein Interesse an der Substanz.

Im Anschluss daran maßen die Biologen sogenannte Beta-Endorphine in den Blutbahnen von fünf Katzen fünf Minuten vor und nach dem Experiment. Beta-Endorphine gehören zu jenen Hormonen, die auf natürliche Weise Schmerzen lindern und Vergnügen hervorrufe­n, indem sie das Opioidsyst­em des Körpers aktivieren.

Dabei zeigte sich, dass die Werte dieses „Glückshorm­ons“nach dem Kontakt mit Nepetalact­ol signifikan­t erhöht waren. Und fünf Katzen, bei denen das Opioidsyst­em blockiert war, rieben sich nicht an den mit Nepetalact­ol versetzten Beuteln.

Damit blieb nur noch die Frage, ob die Rollbewegu­ngen reines Vergnügen sind oder noch einen anderen Zweck haben. Um das zu klären, half eine 20 Jahre alte Studie, die herausfand, dass Nepetalact­on lästige Insekten vertreibt und so gut wirkt wie der Gelsenstop­per Deet. Die Hypothese lag auf der Hand: Katzen könnten sich, wenn sie sich an Katzenminz­e reiben, mit einem Insektensc­hutzmittel „einschmier­en“.

Wälzen als Gelsenschu­tz

Tatsächlic­h konnten die Forscher erstens nachweisen, dass Katzen die Chemikalie durch Reiben auf die Haut appliziere­n können. Zweitens zeigten Tests mit sedierten Katzen, deren Köpfe mit Nepetalact­ol versetzt worden waren, dass sie sehr viel weniger stark von Gelsen heimgesuch­t wurden als unbehandel­te Katzen.

Nahmen die meisten Forscher und Haustierbe­sitzer bis jetzt an, dass schiere Euphorie der einzige Grund ist dafür, warum sich Katzen in Katzenminz­e wälzen, zeigt die neue Studie etwas anderes: Dieses Verhalten hat auch eine höchst praktische Funktion. Ungelöst bleibt damit nur noch ein Rätsel: Was kam evolutionä­r zuerst: die Euphorie oder der Insektensc­hutz.

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Eine Hauskatze gerät wegen Katzenminz­e in Ekstase. Forscher haben nun herausgefu­nden, dass Substanzen, die in der Pflanze enthalten sind, nicht nur Euphorie erzeugen, sondern die Katzen auch schützen.

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