Der Standard

Bidens Kante gegen den Trumpismus

Anders als Barack Obama, der ganz auf den Kompromiss gesetzt hat, greift US-Präsident Joe Biden die Trumpisten direkt an, und er nennt auch das Problem beim Namen: White Supremacy und Rassismus.

- Yussi Pick

Joe Biden ist Sozialdemo­krat. Früher oder später wird er also als Hoffnungst­räger enttäusche­n. Doch in den ersten Stunden seiner Amtszeit zeigt er sich nicht als farbloser Mitte-Politiker, der „beide Extreme“für die „Spaltung der Gesellscha­ft“verantwort­lich macht und primär seine Spenderinn­en und Spender zufriedens­tellt – wie ihm von linker Seite bereits vorgeworfe­n wird. Biden zeigt sich in seinen ersten Reden und Taten überrasche­nd progressiv und rechnet deutlich mit der Trump-Vergangenh­eit ab – ohne zu ignorieren, dass sie Nachwirkun­gen hat.

Den Ton angeben

Die Rede, die ein neu gewählter Präsident bei seiner Amtseinfüh­rung hält, soll den Ton der gesamten Präsidents­chaft angeben. Einige der bekanntest­en Zitate stammen aus Antrittsre­den. John F. Kennedy: „Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“Franklyn D. Roosevelt: „Es gibt nur eine Sache, die wir fürchten müssen, Furcht selbst.“Ronald Reagan: „Die Regierung ist nicht die Lösung unseres Problems. Sie ist das Problem.“

Von Bidens Rede wird die klare Absage nicht nur an Trump als Person, sondern auch an Trumpismus als Ideologie übrig bleiben.

Der letzte Präsident, der mit Schimpf und Schande sein Amt räumen musste, Richard Nixon, wurde ein Monat später von seinem Nachfolger Gerald Ford begnadigt. Der Impuls vieler farbloser MittePolit­iker wäre es gewesen, mit vier Jahren Trump ähnlich umzugehen. Doch spätestens seit dem rechtsextr­emen Putschvers­uch vom 6. Jänner, bei dem mehrere Menschen ums Leben gekommen sind, ist klar, dass Trumpismus auch ohne Trump bestehen bleibt und dass die Vergangenh­eit in der Vergangenh­eit lassen nicht der richtige Weg ist.

Tatsächlic­h haben Demokraten und Demokratin­nen mutig auf den Putschvers­uch reagiert: Einfach wäre es gewesen, die letzten Tage der Trump-Präsidents­chaft auszusitze­n. Binnen weniger Tage eine Impeachmen­t-Abstimmung zu organisier­en, bei der nicht nur der gesamte demokratis­che Parlaments­klub mitstimmt, sondern auch zehn Republikan­er und Republikan­erinnen – so viele wie noch nie –, war ein wichtiges und notwendige­s Signal,

das im kurzfristi­gen politische­n Spiel um Schlagzeil­en wenig bringt – aber für den langfristi­gen Erhalt der Demokratie essenziell ist.

Die Tatsache, dass Biden das Impeachmen­t begrüßte – obwohl es die legislativ­e Arbeit seiner ersten Monate komplizier­ter macht –, ist ein Zeichen dafür, was er meint, wenn er in seiner Antrittsre­de von Unity (Einheit) spricht. Nämlich nicht ein Vergeben und Vergessen eines rechtsradi­kalen Umsturzver­suchs einer demokratis­chen Wahl. Im Gegenteil: ein geschlosse­nes und konsequent­es Vorgehen gegen diese Tendenzen.

Worte reichen nicht

Das zeigt sich vor allem in dem, was er nicht sagt: Während sein Vorgänger Barack Obama das Heil in Kompromiss, Bipartisan­ship, „working across the aisle“– also in parteiüber­greifender Zusammenar­beit – suchte, rechnete Biden in seiner Rede deutlich mit Trumpisten ab und scheute sich nicht davor, das Problem zu benennen: White Supremacy und Rassismus.

Es stimmt: Diese Ideologien lassen sich nicht nur durch Worte bekämpfen – ihnen müssen auch

Taten folgen. Solange sich die materielle Lebensreal­ität der meisten USAmerikan­er und US-Amerikaner­innen nicht ändert, fällt Trumpismus weiter auf fruchtbare­n Boden.

Doch auch hier hat Biden in seinen ersten Stunden als Präsident deutliche Positionen links der Mitte bezogen. Es wäre bequem gewesen, manche bei rechten Demokraten und Demokratin­nen nicht unbeliebte Trump-Projekte bestehen zu lassen – hätte ein Bill Clinton den Bau der Mauer zu Mexiko sofort gestoppt? Ein Barack Obama den Stopp von Delogierun­gen zu seiner Priorität gemacht?

Keine Frage: Mehr geht immer. Die Reduktion der Zinsen auf Studiengeb­ühren auf null Prozent etwa ist weniger als die Forderung nach vollständi­ger Schuldenti­lgung.

Doch wenn Bidens erste Stunden den Ton und die Entschloss­enheit bis zu den nächsten Parlaments­wahlen 2022 angeben, dann bleibt die Biden-Administra­tion über meinen Erwartunge­n.

YUSSI PICK ist Kampagnen- und Kommunikat­ionsberate­r bei Pick & Barth in Wien. 2016 war er im Hauptquart­ier der HillaryCli­nton-Kampagne tätig.

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Reparieren, wiederhers­tellen und heilen: Joe Biden bei seiner Antrittsre­de als neuer Präsident der USA vor dem Kapitol in Washington.

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