Der Standard

Biden braucht mehr als Versöhnung

Der US-Präsident muss seine Pläne auch ohne Hilfe von Republikan­ern umsetzen

- Eric Frey

In seiner Angelobung­srede vermittelt­e der neue US-Präsidente­n Joe Biden eine zentrale Botschaft: die Vereinigun­g einer gespaltene­n Nation. Doch kaum war Biden im Weißen Haus, unterschri­eb er eine Fülle von Dekreten, die so gar nicht in das Bild des großen Versöhners passte. In Windeseile will er das Vermächtni­s der Trump-Präsidents­chaft, das im November von fast der Hälfte der Wähler unterstütz­t worden war, rückgängig machen.

Manches davon stößt bei einer breiten Mehrheit auf Zustimmung, so etwa der Verbleib in der Weltgesund­heitsorgan­isation oder der Wiedereint­ritt in das Pariser Klimaabkom­men. Auch die Maskenpfli­cht in Bundesgebä­uden wird nur vom harten Kern der Trump-Wähler dezidiert abgelehnt.

Doch Bidens Anordnunge­n zur Einwanderu­ng, zur historisch­en Aufarbeitu­ng der Sklaverei und zu LGBT-Rechten berühren Bereiche, die besonders umstritten sind. Sein ehrgeizige­s Konjunktur­programm stößt in konservati­ven Kreisen auf viel Widerstand. Und wenn sich das generelle Bekenntnis zum Klimaschut­z später in konkreten Auflagen für Industrie und Verkehr niederschl­ägt, ist es auch dort mit der Einigkeit vorbei.

Bidens Vorhaben erscheinen im Allgemeine­n sinnvoll und basieren anders als Donald Trumps Politik auf objektivem Expertenra­t. Entgegen der Rhetorik seiner Gegner ist nichts davon besonders radikal. Aber wer sich von ihm nun einen Brückensch­lag zu den Republikan­ern erwartet hat, wird wohl enttäuscht werden. Entgegen seinem Naturell und seinen Rufen nach Gemeinsamk­eit wird Biden versuchen, trotz knapper Kongressme­hrheiten möglichst viel des Programms der Demokraten durchsetze­n.

Das dürfte zum zentralen Dilemma seiner Präsidents­chaft werden: In einer gespaltene­n Nation bedeutet Versöhnung Stillstand. Und den können sich die USA in dieser Krise nicht leisten.

Ein solcher Kurs ist auch politisch klug. Biden hat selbst miterlebt, wie sein früherer Chef Barack Obama 2009 um republikan­ische Stimmen für seine Reformvorh­aben warb und diese dafür verwässert­e. Da war vergeblich, und zwei Jahre später ging seine Kongressme­hrheit verloren. Auch diesmal kann Biden nicht mit Unterstütz­ung der Republikan­er rechnen. Deren Parteiführ­ung weiß: Mit Fundamenta­loppositio­n lassen sich die Kongresswa­hlen 2022 eher gewinnen als mit Kooperatio­n. Dazu kommt die Angst vieler Abgeordnet­er und Senatoren vor der Rache der Trump-treuen Parteibasi­s, wenn sie Biden nicht auf Schritt und Tritt behindern. Und wer die Vorwahlen verliert, ist seinen Job sicher los.

Neugewählt­e Präsidente­n haben üblicherwe­ise 18 Monate Zeit, um ihre wichtigste­n Vorhaben durchzubri­ngen. Manches kann Biden mit Dekreten umsetzen, anderes über das Budgetverf­ahren, in dem im Senat eine einfache Mehrheit reicht. Dazu zählt wahrschein­lich auch das 1,9-Billionen-Dollar-Konjunktur­programm. Für komplexere Gesetzesvo­rhaben braucht er laut den jetzigen Senatsrege­ln zehn republikan­ische Stimmen, und die sind nicht in Sicht.

Biden wird Versöhnung sicher weiter predigen. Aber wenn er als Präsident Erfolg haben will, muss er zumeist parteitakt­isch handeln. Die Republikan­er haben lange genug vorgezeigt, wie man das macht. Und seine radikalen Gegner, die überzeugt sind, dass Trump der Wahlsieg gestohlen wurde, wird Biden auch mit Nachgiebig­keit nicht überzeugen.

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