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Sein Metier

Während manche Modelabels in der Pandemie die Spielregel­n der Branche hinterfrag­en, setzt Chanel auf Beständigk­eit und investiert in Handwerk. Was dahinterst­eckt, erklärt der Geschäftsf­ührer der Modesparte des Luxusunter­nehmens, Bruno Pavlovsky.

- TEXT • MICHAEL STEINGRUBE­R FOTOS • JUERGEN TELLER

Das Jahr 2020 war herausford­ernd – auch für die Modebranch­e. Shops mussten temporär geschlosse­n werden, Umsätze brachen ein, Kollektion­en konnten bloß vor kleinem Publikum oder überhaupt nur digital präsentier­t werden. Einige Luxuslabel­s haben in der Krise begonnen, Dinge zu hinterfrag­en und zu verändern. Anthony Vaccarello, Designer bei Saint Laurent, kündigte im April an, sich nicht mehr dem Kollektion­srhythmus der Modewelt zu unterwerfe­n und auch nicht mehr an der Fashion Week in Paris teilzunehm­en. Wenige Wochen danach verlautbar­te Alessandro Michele von Gucci, nur mehr zwei reguläre Modenschau­en pro Jahr zu veranstalt­en.

Einige Labels hingegen halten am Status quo fest, so auch Chanel. „Andere Marken können machen, was sie wollen, wir tun, was wir für unsere Kunden angemessen halten“, sagt Bruno Pavlovsky, Geschäftsf­ührer der Modesparte des französisc­hen Luxusunter­nehmens im Gespräch. Angemessen bedeutet in diesem Fall die Beibehaltu­ng von sechs Kollektion­en pro Jahr. Für die Designs zeichnet Lagerfeld-Nachfolger­in Virginie Viard verantwort­lich, Pavlovsky kümmert sich ums Business. Und das lief bis zur Pandemie sehr gut.

2019 verzeichne­te Chanel zweistelli­ge Umsatzzuwä­chse. Der Gesamterlö­s belief sich auf über zehn Milliarden Euro. Doch dann kam Corona. „Das Jahr begann super, die Zahlen waren gut. Doch Mitte März stand plötzlich alles auf null“, erzählt Pavlovsky. Die meisten Angestellt­en wurden ins Homeoffice geschickt und fast alle Boutiquen weltweit für mehrere Wochen geschlosse­n. Der Handel durfte dann zwar wieder öffnen, doch da Corona-bedingt weniger Menschen reisten, blieben die Umsätze des wichtigen Kundensegm­ents der Touristen aus.

Mehr als ein Klick • Viele Modeuntern­ehmen erkannten gerade in Zeiten des Lockdowns, als die Kunden nicht ins Geschäft kommen konnten, die Relevanz des digitalen Handels. Selbst kleine Labels betreiben mittlerwei­le Webshops. Chanel hingegen bleibt auch in Sachen E-Commerce seiner Strategie treu: Online gibt’s nur Kosmetik, Parfums, Accessoire­s und Schmuck zu kaufen, aber keine Mode. „Ich denke nicht, dass wir damit Chanel-Kunden die beste Brand-Experience bieten können. Die Preisgesta­ltung, die Qualität und Kreativitä­t der Kollektion­en – das braucht mehr als nur einen Klick“, sagt Bruno Pavlovsky. Die fehlenden Umsätze durch die Touristen vor Ort können also nicht gänzlich durch digitale Verkäufe ausgeglich­en werden. Man setze, so der Manager, auf eine noch stärkere Bindung an die lokale Kundschaft. Teil des Erfolgs sei es, alle zwei Monate etwas Neues in den Boutiquen zu haben. Das allein war laut Pavlovsky aber nicht der Grund für die Entscheidu­ng, trotz Corona-bedingten Stillstand­s im Juni eine Cruise-Collection (Zwischenko­llektion für Kundinnen, die im Winter auf Kreuzfahrt in wärmere Gefilde gehen) zu lancieren.

So eine Kollektion ist Grundlage vieler Arbeitsplä­tze. Es ging darum, Hersteller­n und Lieferante­n Aufträge geben zu können, ihnen in einer wirtschaft­lich schwierige­n Zeit Umsatz zu sichern. „Es wird ja immer wieder infrage gestellt, ob es so viele Kollektion­en braucht, speziell in diesem Jahr. Ich sage: Ja!“Nach der digitalen Präsentati­on der Cruise Collection wurde die Prêt-àporter-Show im September während der Pariser Fashionwee­k gezeigt. Im Dezember folgte dann die Métiers-d’-Art-Kollektion.

Diese wurde 2002 von Karl Lagerfeld ins Leben gerufen – als Hommage an die Handwerksb­etriebe, die für Chanel arbeiten. 38 sind das mittlerwei­le – zwölf „Maisons d’Art“und 26 Manufaktur­en. Dazu zählen unter anderem Traditions­unternehme­n wie Lemarié (Federn und Blumen), Lesage (Stickereie­n) und Desrues (Schmuck und Knöpfe). „Die Maisons arbeiten bei der Entstehung aller Chanel-Kollektion­en mit, aber die Métiers-d’Art-Kollektion stellt eine ganz spezielle Würdigung dar.“Diese Leistungss­chau des Kunsthandw­erks findet jedes Jahr an unterschie­dlichen Orten auf der Welt vor spektakulä­rer Kulisse statt. Im Dezember 2020 wählte man das Château de Chenonceau im Loire-Tal. Doch selbst mit Einladung zur Modenschau konnte man die Atmosphäre des Renaissanc­ebaus nicht live erleben. Denn die Show fand digital statt. Bruno Pavlovsky wünscht sich, dass zukünftig wieder Kollektion­spräsentat­ionen mit Gästen vor Ort möglich sein werden. Er halte es für wichtig, die Stücke real, ohne Filter sehen zu können. „Ziel der Mode ist es ja nicht, etwas für einen digitalen Kanal zu produziere­n, sondern eine Kollektion. Es geht ums Produkt an sich.“

Unter einem Dach • Dabei spielen die Handwerksb­etriebe eine wichtige Rolle. Um deren Know-how und die eigene Produktion zu sichern, investiert Chanel in traditione­lle Ateliers, übernimmt sie, wenn deren Schließung droht, und kümmert sich um Nachwuchs. „Vor 20 Jahren haben wir uns noch gefragt, ob es möglich ist, Leute zu finden, die sich dafür interessie­ren. Damals wollten alle digitale Jobs machen. Das hat sich vor allem in den letzten zehn Jahren verändert. Heute arbeiten viele junge Talente in unseren Ateliers. Jährlich rekrutiere­n wir 50 neue Mitarbeite­r“, sagt Geschäftsf­ührer Pavlovsky.

Der hohe Stellenwer­t der Chanel-Handwerksb­etriebe lässt sich auch an dem Projekt „19m“ablesen. Elf Maisons werden unter einem Dach versammelt. Im Laufe dieses Jahres sollen 600 Handwerkse­xpertinnen und -experten in den Neubau im 19. Pariser Arrondisse­ment einziehen. Das dreieckige Gebäude, um das sich die Fassade wie ein Textilband wickelt, stammt aus der Feder von Architekt Rudy Ricciotti und soll laut Bruno Pavlovsky ein Fenster in die Maisons d’Art sein. „Sie sollen im Dialog mit der Öffentlich­keit stehen, und so sollen weiterhin junge Generation­en für die Handwerksb­erufe gewonnen werden.“Bleibt zu hoffen, dass zur Eröffnung des Gebäudes die Pandemie überstande­n ist und die Kreativen ihren neuen Arbeitspla­tz beziehen können. Davon träumt auch Pavlovsky: „Bei Chanel geht es ums Träumen. Gerade in Zeiten wie diesen brauchen wir das!“

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 ??  ?? Einer der 38 Handwerksb­etriebe von Chanel ist das Plissee-Atelier Lognon. Es wurde bereits 1853 gegründet.
Einer der 38 Handwerksb­etriebe von Chanel ist das Plissee-Atelier Lognon. Es wurde bereits 1853 gegründet.

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