Kritik an Nehammer
Nuran David Calis’ Bühnenstück „#Ersthelfer #FirstAid“bringt das Thema Flucht auf die Bühne des Salzburger Landestheaters. Der ehemalige Bürgermeister Salzburgs, Heinz Schaden, spielt sich darin selbst.
Nach den Abschiebungen dreier Familien reagierte Autor Robert Menasse erneut mit einem erbosten Facebook-Kommentar.
Corona hin, Pandemie her – es gibt durchaus auch noch andere wichtige Fragen des Menschseins. Etwa jene, wie es sein kann, dass die Mehrheit wohl einer auf der Straße gestürzten Oma wieder auf die Beine helfen würde, dieselbe Mehrheit aber die Aufnahme von Menschen aus den Elendslagern in Griechenland oder Bosnien ablehnt. Ja mehr noch, wie es sein kann, dass die Menschen zur Abschreckung in Lagern konzentriert gehalten werden und dass man Menschen vorsätzlich im Meer ertrinken lasse; „damit nicht noch mehr kommen“.
Solche und ähnlich gelagerte Fragen werden aktuell im Stück #Ersthelfer #FirstAid auf der Bühne des Salzburger Landestheaters verhandelt. Das dokumentarische Stück von Regisseur Nuran David Calis nimmt dabei den Herbst 2015 in der Stadt Salzburg zum Ausgangspunkt. Salzburg wurde damals zum Kristallisationspunkt der Flüchtlingsbewegung; rund 300.000 Menschen – die Mehrheit davon aus Syrien – wurden ab 1. September in Salzburg aufgenommen und später in ihr Zielland Deutschland weitergeleitet.
Nuran David Calis, deutscher Autor und Theaterregisseur türkisch-armenisch-jüdischer Abstammung, lässt die vier jungen Ensemblemitglieder des Landestheaters (Larissa Enzi, Nikola Jaritz-Rudle, Skye MacDonald, Maximilian Paier) dazu ihr eigenes Erleben des Herbsts 2015 erzählen, lässt sie aber auch in die Rolle von Zeitzeugen schlüpfen.
Die Streamingkamera wird in den nachgestellten Interviews so plötzlich zum fünften Ensemblemitglied. Statt statischen Abfilmens agiert die Kamera, das Theaterstück bekommt filmischen Charakter.
Eines wird in den Interviews, egal ob mit Offiziellen oder mit freiwilligen Helfern aus der sogenannten Zivilgesellschaft, schnell klar: Die staatliche Organisation hat versagt, ohne die vielen Freiwilligen, ohne die Stadt Salzburg und ohne die ÖBB hätte alles in einem Desaster geendet.
Gegenerzählungen der Realität
Einer der wichtigsten Akteure war der damalige Bürgermeister Heinz Schaden (SPÖ). Dass es Regisseur Calis gelungen ist, Schaden auf die Bühne zu bringen, verleiht #Ersthelfer #FirstAid eine besonders authentische Färbung. Und der Werbeeffekt für den trotz seiner Verurteilung im Zuge des Salzburger Spekulationsskandals immer noch überaus populären Schaden dürfte dem Landestheater auch gelegen kommen.
Schadens Rolle erschöpft sich freilich nicht in der des Zeitzeugen. Wenn auf der Bühne über die Unmöglichkeit der Hilfe verhandelt wird, weil Fluchthelfer als Schlepper kriminalisiert werden, wenn die sogenannten „Europäischen Werte“, die Goldene Regel oder der Kant’sche Imperativ thematisiert werden, ist auch Schadens Botschaft klar: Es brauche die Gegenerzählung, um Ängste vor den Fremden zu nehmen. Der Ex-Bürgermeister liefert diese anhand der Geschichte eines jungen Syrers, dem im Foltergefängnis die Fingernägel herausgerissen wurden, der aber heute ein Stipendium an einer US-Universität hat.
Aber das Stück behandelt auch die Biografie von Alan Kurdi. Was würde der heute achtjährige Bub wohl in der Schule machen? Würde er mit seiner Mama jemals nach Paris ins erträumte Disneyland kommen? Seine Biografie endet lange vorher: Alan Kurdi ist jener Bub, der am 2. September vor der türkischen Küste im Alter von zwei Jahren ertrunken ist und dessen Leiche an die Küste gespült wurde. Das Foto des toten Kindes ging um die Welt.
Flüchtlingshelferin via Skype
Wer von der Hilfsbereitschaft der Salzburger und Salzburgerinnen 2015 erzählt, muss auch von der Xenophobie und Ablehnung gegenüber Vertriebenen heute sprechen. Calis weiß das, und so kommt auch eine Flüchtlingshelferin via Skype zu Wort, die derzeit auf Lesbos arbeitet und vom Elend der Lager in Griechenland berichtet.
Die Kritik an der türkis-grünen Bundesregierung ist deutlich und reicht bis zum Nachfolger von Heinz Schaden als Bürgermeister von Salzburg, Harald Preuner (ÖVP): Wie könne es sein, dass Preuner die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung 2015 so positiv hervorstreiche (auch im Vorwort zum Begleitheft für das Stück) und gleichzeitig die Politik von Sebastian Kurz unterstütze? Bis 28. Februar als Stream abrufbar (9 Euro) salzburger-landestheater.at