Kritik an Öffnungsschritten
Experten fordern neue Strategie
EJulia Palmai, Bernadette Redl
xpertinnen und Experten stehen den von der Regierung gesetzten Lockerungen, die ab nächster Woche gelten, teils kritisch gegenüber – etwa der Komplexitätsforscher Stefan Thurner vom Complexity Science Hub. Der Grund dafür ist die starke Zunahme der britischen Virusmutation. „Die Fallzahlen gehen nicht runter, die englische Mutante nimmt zu. Da diese, soweit wir wissen, ansteckender ist, werden die Fälle auch ohne Lockerungen wieder zunehmen und die Zahlen damit wieder hinaufgehen.“
Ein Befürworter der Lockerungen ist hingegen der Public-Health-Experte Hans-Peter Hutter von der Med-Uni Wien: „Wir können aktuell einen stetigen Abwärtstrend beobachten. In dieser stabilen epidemiologischen Situation sind Lockerungen unter der Einhaltung von Maßnahmen möglich.“Er hält die FFP2-Masken-Pflicht sowie den Mindestabstand von zwei Metern für probate Mittel, um den neuen Virusvarianten Einhalt zu gebieten. Die Öffnungsschritte seien notwendig, so Hutter, weil die negativen Begleiterscheinungen des Lockdowns weiter zunehmen, etwa psychische und soziale Probleme.
Michael Wagner, Mikrobiologe an der Uni Wien, sieht die Öffnungen weitaus kritischer: Man gehe damit ein großes Risiko ein, sagt er, da die Verbreitung der ansteckenderen Varianten derzeit unklar sei. Aus rein epidemiologischer Sicht wäre es besser gewesen, zuerst das gesetzte Ziel einer Sieben-Tage-Inzidenz um die 50 zu erreichen, bevor mit Öffnungen begonnen wird. Der Experte versteht jedoch auch die wirtschaftlichen und psychologischen Gründe für die Lockerungen.
Falsche Strategie
Thomas Czypionka, Head of Health Economics and Health Policy am Institut für Höhere Studien, kritisiert die generelle Vorgehensweise: „Wir konnten die Zahlen bisher zu wenig senken, das hängt mit der Kommunikation an die Bevölkerung zusammen und ihrer Motivation.“Anstatt immer wieder Termine zu nennen, an denen gelockert wird, sollten Zielzahlen vorgegeben werden, und wenn diese erreicht sind, wird geöffnet. „Dann haben die Menschen das Gefühl, sie arbeiten auf etwas hin“, sagt Czypionka und bekräftigt, diese Strategie hätte bereits von Monaten umgesetzt werden müssen. Dieser Meinung ist auch Dorothee von Laer, Leiterin des Instituts für Virologie an der Med-Uni Innsbruck: „Die Menschen sollten weniger die Termine im Kopf haben, sondern mehr die Infektionszahlen. Derzeit mogeln sich alle irgendwie durch die Zeit der Lockdowns, und ihnen ist im Prinzip egal, was dabei rauskommt.“Czypionka ist daher auch der Meinung, dass weitere Verschärfungen zum jetzigen Zeitpunkt wenig bringen würden.
Eine der Änderungen betrifft die Schulen, die Volksschulen kehren komplett in den Präsenzunterricht zurück, in Unter- und Oberstufen gibt es Schichtbetrieb. „Der Unterricht wurde noch nie so stark mit Maßnahmen begleitet, wie das ab nächster Woche geplant ist“, sagt dazu von Laer. Hutter hätte sich in den Schulen noch mehr Öffnungen gewünscht: „Es ist eine Minimallösung, dass Unter- und Oberstufe nur an zwei Tagen pro Woche in den Präsenzunterricht zurückkehren.“Mit den übrigen Maßnahmen und konsequentem Lüften wäre hier auch mehr möglich gewesen, sagt er.
Andere Öffnungsschritte betreffen Museen, Zoos und den Handel, ebenso werden tagsüber Treffen von zwei Haushalten erlaubt, von Laer dazu: „Die Öffnung von Museen, Zoos oder Geschäften ist meiner Meinung nach wenig problematisch, weil man dort die Regeln sehr gut kontrollieren kann“, bei privaten Zusammenkünften sei das hingegen anders.