Der Standard

„Jeder Monolog sucht einen Adressaten“

Am Samstag hat Thomas Bernhards „Heldenplat­z“am Landesthea­ter Salzburg online Premiere. Es erzählt 32 Jahre nach der Uraufführu­ng noch vom Verlorense­in, finden Alexandra Liedtke und August Zirner.

- INTERVIEW: Margarete Affenzelle­r ➚ Weitere Infos zum Stream unter www.salzburger-landesthea­ter.at

Die Uraufführu­ng von Thomas Bernhards Heldenplat­z war 1988 noch ein Skandal mit Misthaufen auf der Ringstraße. An einem historisch­en Kippmoment – Kurt Waldheim, ehemals SA- und NSDStB-Mitglied, wurde zum Bundespräs­identen gewählt – ging es um die Deutungsho­heit über österreich­ische Zeitgeschi­chte. Zum 90. Geburtstag von Thomas Bernhard feiert nun am Landesthea­ter Salzburg eine Neuinszeni­erung Premiere. Passend, aber eigentlich ungeplant. Denn die Produktion wird seit dem Pandemieau­sbruch im Kalender geschoben und erreicht nun über eine Aufzeichnu­ng als Stream ihr Publikum. Alexandra Liedtke inszeniert, August Zirner spielt die zentrale Rolle des Professor Schuster, dessen Familie am Geisteszus­tand ihres Landes zugrunde geht.

STANDARD: Thomas Bernhard hat in Salzburg gelebt. Sie, Herr Zirner, lesen im Landesthea­ter-Stream aus seinem autobiogra­fischen Buch „Der Keller“und merken an, dass den Dichter das erzwungene Innehalten durch die Seuche sicher interessie­rt hätte. Warum? Zirner: Ich sehe eine Parallele zwischen dem Nachkriegs­kind Thomas Bernhard und der gegenwärti­gen Weltkatast­rophe. Und ich hoffe, es entsteht etwas aus dieser Zäsur. Ich oute mich hier als krankhafte­r Optimist. Meine Krankheit ist die gewisse Hoffnung, dass aus jedem unguten Zustand etwas Positives entstehen kann. Ich frage mich also, ob es uns gelingt, den Turbokapit­alismus zu überwinden.

Liedtke: Uns begleitet Heldenplat­z seit einem Jahr, und in dieser Zeit ist eine Traurigkei­t hinzugekom­men, die auch im Text angelegt ist. Denn in der Beschimpfu­ngstirade drückt sich ja auch ein Verlorense­in aus. Heldenplat­z ist absolut ein Stück der Zeit, es kommt mir immer aktueller vor. So ist es doch: Die Welt kommt einem abhanden. Wir hatten übrigens schon vor Ausbruch von Covid ein Bühnenbild konzipiert, aus dem man nicht entrinnen kann. Nach 32 Jahren kommt das Stück in einem komplett anderen Weltzusamm­enhang auf die Bühne und hat seine volle Gültigkeit!

STANDARD: Die Rezeptions­geschichte ist durch die Skandale der Uraufführu­ng und durch Claus Peymanns imprägnier­ende Inszenieru­ng sehr aufgeladen. Wie gehen Sie damit um? Liedtke: Ich habe die Uraufführu­ng nicht gesehen. Ich denke, das Stück ist vor allem ein Kunstwerk, Bernhard hat ein Thema künstleris­ch verarbeite­t. Er hat darin nicht nur Österreich beschimpft, sondern er hat eine Familienst­ruktur entworfen, eine fast pathogene Familie. Das ist ein Kunstgriff. Ich muss nicht an einen Skandal anknüpfen.

Zirner: Zynisch könnte man sagen, das große Geschenk, das Bernhard Waldheim gemacht hat, ist, dass er durch sein Stück Österreich zu einer Weltbedeut­ung verholfen hat, die das Land gar nicht hat.

STANDARD: Im Ensemble ist auch Elisabeth Rath, die in der Urinszenie­rung am Burgtheate­r über 80 Mal die Rolle der Schwester Olga gespielt hat. Hat sie Ihnen Anekdoten erzählt? Zirner: Nicht wirklich, aber es ist bemerkensw­ert, dass sich 1988 so viele Menschen in Unkenntnis des Stücks erregt haben. Eine Aufführung ist immer so gut, wie sie in ihrer Zeit ist. Eine Zeit prägt einen Spiel- und Inszenieru­ngsstil. Ich habe sicher eine andere Sprachbeha­ndlung als vor 30 Jahren üblich.

STANDARD: Spielen Sie vor einer Kamera anders als vor Theaterpub­likum?

Zirner: Ich versuche in erster Linie, nicht daran zu denken. Aber natürlich spielt man vor der Kamera anders. Ein Theatertex­t hat auch eine andere Sendequali­tät als ein Drehbuchte­xt. Keine Aufzeichnu­ng der Welt wird je die Erfahrung einer Aufführung ersetzen können. Der große Giorgio Strehler hat vor Jahrzehnte­n am Festspielh­aus hier in Salzburg gesagt: „Ich brauche keine Kamera, weil ich ohnehin den Schauspiel­er in den Fokus stelle!“Auch TV-Aufzeichnu­ngen von großen Inszenieru­ngen, von Fritz Kortner oder Peter Stein, haben für mich nur dokumentar­ischen Charakter.

STANDARD: Wie übersetzt man die Bühne in ein Bildschirm­format?

Liedtke: Wir haben ein Team, das die Inszenieru­ng mit drei Kameras aufzeichne­t. Ich habe als Regisseuri­n den Fokus nicht auf die filmische Übermittlu­ng gelegt. Aber es wird vermutlich mehr Close-ups geben. Das Ziel war ganz klar, Theater als Kunstform zu erhalten.

STANDARD: Aber wie spielt man ohne Publikum?

Zirner: Ich stelle mir vor, da sitzen 400 Leute, denke mir aber – gemäß einem Zitat von Artur Rubinstein –, dass es ja auch genügt, nur für die eine Person im Publikum zu spielen, die versteht, was man tut. Ich nehme mit einem Zuschauer oder Zuhörer Kontakt auf und lasse die anderen 399, die vor der Mattscheib­e sitzen, daran teilhaben. Das Entscheide­nde ist aber Bernhards Sprache. Sie ist Dichtkunst. Die Worte, die gesprochen werden, sind eben keine Filmtexte.

STANDARD: Käme das Monologhaf­te seiner Literatur der filmischen Form nicht entgegen? Allein wenn man an die Rede von Frau Zittel in der langen ersten Szene denkt?

Liedtke: In dem Moment, wo der Zuhörende fehlt, funktionie­rt auch der Monolog nicht. Bernhard hat ja jeder Figur mindestens einen Zuhörer dazugeschr­ieben – und dieser ist wie eine Verlagerun­g des zuhörenden Publikums auf die Bühne. Es sind also keine reinen Monologe. Zirner: Es gibt die Suada bei Bernhard, das stimmt. Aber warum spricht jemand einen Monolog? Damit er gehört wird! Der Kybernetik­er Heinz von Foerster hat dazu einen für mich prägenden, berufsstif­tenden Satz gesagt: Nicht der Sprecher, sondern der Hörer bestimmt die Bedeutung einer Aussage. Jeder Monolog sucht einen Adressaten, nur wenn es einen Adressaten gibt, werden die Worte bedeutsam. Liedtke: Heldenplat­z ist in Wahrheit natürlich eine Liebeserkl­ärung an Österreich, eine tragische. Bernhard empfindet Heimat und Kindheit, und tut sich so schwer damit. Zirner: Jetzt eine Volte zum Schluss. Ich gehöre zu der altmodisch­en Sorte Mensch – obwohl ich mich gar nicht für so altmodisch halte –, die Texte von Autoren nicht verändert. Wenn ein Schauspiel­er meint, er müsse den Text sprechbare­r machen, als er ist, dann ist das blöd, und ich kann nur sagen, er soll lieber selber ein Stück schreiben. ALEXANDRA LIEDTKE, geb. 1979, ist Theater- und Opernregis­seurin, bisher u. a. an Burgtheate­r, Josefstadt, Staatsoper. AUGUST ZIRNER, geb. 1956, ist US-amerikanis­ch-österreich­ischer Theater- und Filmschaus­pieler mit Wiener Wurzeln.

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Theaterges­chichte revisited: die Volksgarte­nszene in „Heldenplat­z“mit Onkel Robert (August Zirner) und den Nichten Anna (Genia Maria Karasek, li.) und Olga (Julienne Pfeil) am Landesthea­ter Salzburg.
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Fotos: Löffelberg­er, APA/Hochmuth Ein Jahr „Heldenplat­z“: Alexandra Liedtke und August Zirner.
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