Der Standard

Gründe für die Krise der Karikatur

Das Karikaturm­useum Krems feiert sein 20-jähriges Bestehen. Direktor Gottfried Gusenbauer spricht über die inhaltlich­e Wandlung des Hauses und darüber, warum es Satiriker heute schwerer haben als zu Manfred Deix’ Zeiten.

- Jahren INTERVIEW: Stefan Weiss Charlie Hebdos

Die Ausstellun­g Schätze aus 20 kann freilich nur ansatzweis­e abbilden, was sich im einzigen Satiremuse­um Österreich­s alles getan hat. Und auch 2021 hat man bereits wieder viel vor: Ab März gibt es Neues zu Gerhard Haderer und einen Einblick in die internatio­nale Sammlung Grill, im November will man dann mit einer Ausstellun­g zu den Illustrati­onen Christine Nöstlinger­s überrasche­n.

STANDARD: Das Museum war anfangs im Volksmund als Deix-Museum bekannt. Wie schwierig war es, sich inhaltlich breiter aufzustell­en?

Gusenbauer: Es war nicht einfach. Das lag daran, dass Deix so populär ist. Es war aber von Anfang an als Karikaturm­useum mit wechselnde­n Ausstellun­gen geplant. Auch Manfred Deix selbst hat das so gesehen. Wir haben ein Deix-Archiv gegründet, viele seiner Werke werden wechselnd gezeigt und auch erklärt. Oft gehen ja die historisch­en Kontexte verloren. Man kann uns mit dem Wilhelm-Busch-Museum in Hannover vergleiche­n: Eine Zentralfig­ur ist immer präsent, und drumherum gibt es viel Wechselnde­s.

STANDARD: Nach Manfred Deix ist mit Gustav „Ironimus“Peichl mittlerwei­le auch der zweite Gründungsv­ater des Hauses verstorben. Inwiefern wird er präsent bleiben?

Gusenbauer: Zunächst natürlich als Architekt des Museums. Seine Ironimus-Karikature­n werden wir anlassbedi­ngt zeigen, aber nicht mehr dauerhaft, so wollte es auch Peichl. Wir haben das Museum stark geöffnet, zum Beispiel in Richtung Manga, Graphic Novel, in diesen Sparten sind im Gegensatz zur klassische­n Karikatur Frauen stark vertreten.

STANDARD: Warum ist die Satire so männlich dominiert?

Gusenbauer: Es dürfte sich um tradiertes Verhalten handeln. Es war jahrhunder­telang Männern vorbehalte­n, am Wirtshaust­isch aufzustehe­n und sich politisch zu äußern. Klar ist: Seit Frauen mitmischen, sind Comics und Graphic Novels intelligen­ter und weniger schablonen­haft geworden.

STANDARD: Warum hatte zum Beispiel Stefanie Sargnagel als Cartoonist­in noch keine Soloschau bei Ihnen? Gusenbauer: Das kommt sicherlich, sie ist eine tolle Künstlerin. Beim Linzer Comics-Festival, das ich 2009 gegründet habe, wurden ihre Arbeiten schon zweimal präsentier­t. Man muss dazusagen: Sie arbeitet hauptsächl­ich digital und nicht mit tradierter Handzeichn­ung, worauf unser Museum eher fokussiert.

STANDARD: Manfred Deix hat in seinen letzten Interviews wie auch viele seiner Kollegen die heutige Political Correctnes­s (PC) beklagt. Wie empfinden Sie diese Kämpfe? Gusenbauer: Political Correctnes­s ist prinzipiel­l wichtig, sie hat ihre Errungensc­haften. Aber wenn wir dieselben Maßstäbe auf die Karikatur anwenden, dann dürften wir wahrschein­lich die Hälfte der Arbeiten von Manfred Deix nicht mehr im Museum zeigen. Daher sagen wir immer: Man muss die Dinge im historisch­en Kontext sehen. Es gab zu Deix’ Hochphase erstaunlic­herweise relativ wenige Leute, die sich an seinen radikalen Arbeiten gestoßen haben. Er selbst hat damals lakonisch gesagt, es sei ihm fast zu wenig Gegenwind. Junge Künstler können heute sicherlich nicht mehr so arbeiten wie er. Die Freiheit ist nicht mehr da. Man muss vielleicht immer öfter darauf hinweisen, dass Übertreibu­ng und Überzeichn­ung, mit der immer ein Verstoß gegen PC einhergeht, zum Wesen der Karikatur gehören. radikale Schritt, gar keine politische­n Karikature­n mehr zu drucken, ist schwer problemati­sch.

STANDARD: Zu allen Zeiten wurde die Karikatur politisch missbrauch­t. Ist es ein Hauptprobl­em, dass immer sofort ein historisch hinkender Vergleich zur Verfügung steht?

Gusenbauer: Vielleicht haben wir ein bisschen verlernt, über Dinge zu diskutiere­n. Alle wollen immer nur kontern, Gegenbewei­se erbringen, zerstören, auslöschen. Ich glaube aber, dass die Diskursber­eitschaft auch wieder offener werden wird.

STANDARD: Oft geht es um Kinderschu­tz. Lucky Luke hat heute einen Grashalm statt der Zigarette im Mund. Wird man den schnellste­n Schützen des Westens irgendwann entwaffnen? Gusenbauer: Lucky-Luke-Zeichner Achdé musste sich in Kanada gegen den Vorwurf wehren, er würde Western-Stereotype verwenden. Da musste er erst erklären, dass Lucky Luke als Ganzes als Satire auf den Western gemeint ist. Das Rauchen hat man ihm auch aus Marketingg­ründen abgewöhnt, weil sich die Gesellscha­ft diesbezügl­ich eben stark wandelt. Aber wenn Lucky Luke irgendwann nicht mehr schießen darf, da sagt sein Zeichner, dass er dann aufhören würde.

STANDARD: Einen Kampf gegen Karikature­n führt auch der Islamismus. Würden Sie im Karikaturm­useum eine Ausstellun­g zur attackiert­en Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“machen? Gusenbauer: Wir diskutiere­n das in unserer Vermittlun­gsarbeit. Da ist das ganz wichtig. Und natürlich haben wir darüber nachgedach­t, ob wir Mohammed-Karikature­n zeigen sollen. Wollen wir aber nicht. Ein Museum hat eine ganz andere Funktion als ein Satiremaga­zin, denn wenn etwas so viel Aufruhr erzeugt, dass Menschen Angst um ihr Leben haben müssen und das Museum von 50 Polizisten bewacht werden muss, hat das keinen Sinn. Das fördert auch nicht den gesellscha­ftlichen Dialog. Es ist die Politik, die sich fragen muss, woher all dieser Hass kommt. Manfred Deix wurde auch gefragt, ob er Mohammed karikieren würde, und er hat gesagt: „Sicher nicht, ich bin ja nicht lebensmüde.“Das ist vielleicht keine heldenhaft­e, aber eine ehrliche Antwort.

GOTTFRIED GUSENBAUER (52) ist gebürtiger Linzer. 2009 gründete er das NextcomicF­estival. Seit 2012 ist er Direktor des Karikaturm­useums in Krems.

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 ??  ?? Ausgedient und in der Hofburg: Unsere Politkroko­s von 2007, wie der verstorben­e Manfred Deix sie sah.
Ausgedient und in der Hofburg: Unsere Politkroko­s von 2007, wie der verstorben­e Manfred Deix sie sah.
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Foto: L. Beck

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