ÖVP will Berichterstattung beschränken
Die Volkspartei will nicht nur die Justiz verändern, sondern auch die Art und Weise, wie Medien über Ermittlungen berichten. Politikberater vermissen hinter diesen Vorschlägen eine sinnvolle Strategie.
Sie wurden zu geflügelten Worten in Österreich: jene verhängnisvollen Sätze, die Politiker und Unternehmer einander in Chats oder per Telefon ausrichteten. Von Walter Maischbergers „Wo woar mei Leistung?“bis hin zu „Kurz scheißt sich an“, wie der jetzige Öbag-Chef Thomas Schmid einer Mitarbeiterin schrieb. Oder zuletzt, breit zitiert: „Tu es für mich“, eine Bitte um den Rückruf bei der Novomatic mit Küsschenemoji, versandt vom heutigen Finanzminister Gernot Blümel an erwähnten Thomas Schmid, damals Kabinettschef im Finanzministerium.
Wenn es nach der ÖVP geht, sollen derartige Nachrichten künftig nicht mehr abgedruckt werden dürfen. Sie fordert ein Verbot, wörtlich aus Akten zu zitieren oder diese zu faksimilieren. Als Vorbild wird Deutschland genannt. Dort dürfen Journalisten zwar über Ermittlungsinhalte berichten, allerdings nur in indirekter Form. Erst wenn es zu einer öffentlichen Verhandlung kommt, fällt dieses Verbot.
Schutz vor Vorverurteilung
Schon mehrfach haben Journalisten versucht, diese Regelung vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht zu kippen, bislang erfolglos. Begründet wird das Zitierverbot mit dem Schutz vor einer Vorverurteilung. Originalzitate erweckten „den Eindruck amtlicher Authentizität“der Vorwürfe, weshalb sie eine besonders starke Wirkung auf Leserinnen und Leser hätten, erklärte das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Jahr 2014.
Genau wegen der Frage der Authentizität sprechen sich viele Journalistinnen und Journalisten allerdings gegen ein Zitierverbot aus. Der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Eisele sprach von einer „rechtspolitisch verfehlten Norm“. Fehlen die
Originaldokumente, in denen die Verdachtsmomente konkret beschrieben werden, lassen sich Anschuldigungen leichter vom Tisch wischen. Die Grünen lehnen diesen Vorstoß, der schon Thema in den Koalitionsverhandlungen war, ab.
Überschießend auswerten
Das Zitierverbot ist aber nur eine der vielen Schrauben, an denen die ÖVP im Bereich Justiz drehen will. Bei den meisten Vorschlägen geht es darum, die Rechte von Beschuldigten statt den Kampf gegen Korruption zu stärken. So soll es ein „Verbot der überschießenden Auswertung von privater und geschäftlicher Kommunikation“von Beschuldigten geben, wie dem Kurier aus der ÖVP zugetragen wurde. Als Beispiel dafür wird der ehemalige Novomatic-Chef Harald Neumann herangezogen, dessen Notizen über Gehaltspläne Eingang in den Ermittlungsakt fanden. Der Kurier schreibt, dass diese „nichts zur Klärung der Vorwürfe beitragen“. Allerdings prüfen Ermittler sehr wohl, ob Neumann zum Beispiel gewisse Ziele erreichen musste, um einen Gehaltsbonus zu erhalten. Das könnte wiederum ein Motiv gewesen sein, Deals mit der Politik abzuschließen – es gilt die Unschuldsvermutung.
Schon bisher gelangen nur verfahrensrelevante Teile in den Ermittlungsakt; durchsucht werden auch nur Chats oder andere Inhalte, die möglicherweise in Zusammenhang mit den Vorwürfen stehen.
So wurden bei mehreren Beschuldigten in der Causa Casinos im Einvernehmen zwischen Anwälten und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) unzählige intime Fotos und Nachrichten gelöscht. Außerdem haben Beschuldigte das Recht, ausgelesene Chatnachrichten oder Telekomüberwachung vor Gericht anzufechten.
Ein Sonderfall sind ausgewertete Informationen, die nicht in den Ermittlungsakt gelangt sind – sogenannte „Rohdaten“. Diese sind für Strafprozesse irrelevant, für U-Ausschüsse hingegen von höchstem Interesse. Bislang haben die Abgeordneten keine einzige Chatnachricht gesehen, die von Kanzler Sebstian Kurz verfasst oder an ihn geschickt worden war. Zuletzt hat der Verfassungsgerichtshof aber die Übermittlung von Rohdaten für zulässig erklärt. Diese sollen bereits von der WKStA zur Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien gewandert sein, die sie vor der Weitergabe an den U-Ausschuss prüft.
Die WKStA hat der OstA schon mehrfach Befangenheit vorgeworfen. So wollte die OStA Wien zum Beispiel den Akt über die sogenannte ÖVP-Schredderaffäre nicht an das Parlament übermitteln – das Justizministerium drehte diese Entscheidung um. Die Opposition hat deshalb nun eine Anfrage über die Aktenweiterleitung gestellt.
Die Opposition erhofft sich, durch die Rohdaten ein Sittenbild zeichnen zu können; während die ÖVP ihre Angriffe auf die Ermittler weiterhin aufrecht halten dürfte.
Für den Politologen Peter Filzmaier bringt das Vorgehen der ÖVP in der Causa Blümel viel mehr Schaden als Nutzen. Ihm sei „nicht ganz klar, welche Strategie hinter einem solchen Vorgehen steckt“, sagt Filzmaier zum STANDARD.
Strategische Fehler
Schon die Tatsache, dass sich der Bundeskanzler hier persönlich so massiv einbringe, sei eine Fehlentscheidung, denn: „Wie kommt er da wieder heraus?“Es sei immer schädlich für Regierungschefs, wenn sie sich auf derartige politische Scharmützel einlassen – zudem wechsle Kurz hier permanent die Rollen, sagt Filzmaier: „Man weiß nicht, ob er hier als Kanzler oder als Parteichef agiert.“Umfragen hätten gezeigt, dass die „Causa Novomatic/Blümel“bisher keine besondere Breitenwirkung habe. Indem Kurz persönlich die Justiz so massiv attackiere, hebe er das Thema auf eine höhere Aufmerksamkeitsebene. Aus der Sicht des Politologen halte er die Attacken auf die Justiz für eine strategische Fehlentscheidung.
In ein ähnliches Horn wie Filzmaier stößt dessen Kollege Thomas Hofer. Ihn habe zwar nicht überrascht, dass die ÖVP in die Offensive ging, sagt Hofer: „Doch ich hätte erwartet, dass es auf einer sachlichen Ebene bleibt.“Der Entwurf für das Informationsfreiheitsgesetz, das Lancieren eines unabhängigen Bundesstaatsanwalts, die Herauslösung der Glücksspiel-Kontrolle aus dem Finanzministerium sowie die Debatte über die Zulassung von abweichenden Meinungen am VfGH – das alles sei nachvollziehbar. Doch die Aggressivität, mit der auch Kurz persönlich die Justiz attackiere, sei zu viel. Hofer dazu: „Das kommt zum Teil auch in den ÖVP-Reihen nicht gut an.“
„Ich hätte erwartet, dass es auf einer sachlichen Ebene bleibt.“Politologe Thomas Hofer über die Angriffe der ÖVP auf die Justiz
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Justiz ermittelt gegen den Finanzminister, einen hochrangigen ÖVP-Politiker. Die Reaktion der ÖVP? Sie will die Justiz umbauen, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zerschlagen und recherchierenden Journalisten einen Maulkorb umhängen – und das alles am Koalitionspartner vorbei, der eigentlich für die Justizagenden verantwortlich ist. Aggressiver geht’s kaum.
Die Art und Weise, wie die Kanzlerpartei, von Sebastian Kurz abwärts, seit Tagen um sich schlägt, ist verstörend. Es wirkt, als hätte eine staatstragende Partei keinerlei Skrupel, den österreichischen Rechtsstaat umzumodeln und zum Teil auch auszuhebeln. Schon der „offene Brief“des Bundeskanzlers, in dem er der WKStA „fehlerhafte Fakten“vorwirft, war eine ebenso offene Einmischung in die Unabhängigkeit der Justiz wie eine politisch motivierte Desavouierung der WKStA. Das sieht der Innsbrucker Oberlandesgerichtspräsident Klaus Schröder so, und er ist nicht der Einzige. Damit nicht genug: Nun lanciert die ÖVP medial einen „Entwurf“, dem die Grünen nie zugestimmt hatten und den sie nach Aussagen von Insidern so nicht einmal kannten. Und in dem steht unverblümt festgeschrieben: „Überschießende Auswertung von privater und geschäftlicher Kommunikation“durch die Staatsanwaltschaft soll künftig verboten sein.
Nebenbei sollen Medien künftig aus Ermittlungsakten nicht mehr im Wortlaut zitieren und über Beschuldigte erst in einem späten Stadium berichten dürfen. So lautet der Plan, nach dem Ministerrat just erklärt von Karoline Edtstadler, Verfassungsministerin, ÖVP.
Was steckt hinter all dem? Will die ÖVP den Interimsjustizminister Werner Kogler von den Grünen so massiv überfahren, dass dieser erst zu spät bemerkt, welchem Tabubruch er hier zugestimmt hat? Will man einen Koalitionsbruch mit den Grünen, mitten in der Pandemie, riskieren? Nichts davon hat wirklich Sinn. Bis auf einen Grundsatz, der aus dem Handbuch für Populismus stammen könnte – und den die ÖVP schon im Wahlkampf 2019, ebenfalls gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft, geübt und eingesetzt hat. Wenn ein Thema politisch ganz unangenehm wird, wie etwa die Causa Novomatic für die ÖVPSpitze, dann tue Folgendes: „Flood the zone with shit.“Frei übersetzt: Sag etwas Ungeheuerliches, brich ein Tabu – und das Eigentliche, Unangenehme, löst sich (hoffentlich) in Luft auf. Die eigene Zielgruppe ist wieder beruhigt – entweder, weil die Staatsanwaltschaft so unter Druck ist, dass sie zu ermitteln aufhört; oder, weil die Medien nicht mehr dazu recherchieren, weil sie mit der Abwehr der Eingriffe in ihre medialen Grundrechte beschäftigt sind.
Beides wird übrigens nicht passieren. Die Frage, ob rund um die Causa
Blümel nur Rauch oder auch Feuer ist, wird Justiz wie Medien weiter beschäftigen.
Trotzdem kann man dieses Ablenkungsmanöver der ÖVP nicht ignorieren. Wer so agiert, riskiert das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz – nach dem Motto: „Ein bisserl was wird schon hängenbleiben.“Das gelang Jörg Haider einst mit seinen permanenten Attacken, das könnte nun wieder passieren, wenn die ÖVP so weitermacht.
Das muss man benennen und auch sagen, was es ist: eine gefährlich falsche Strategie.