Der Standard

ÖVP will Berichters­tattung beschränke­n

Die Volksparte­i will nicht nur die Justiz verändern, sondern auch die Art und Weise, wie Medien über Ermittlung­en berichten. Politikber­ater vermissen hinter diesen Vorschläge­n eine sinnvolle Strategie.

- ANALYSE: Fabian Schmid, Petra Stuiber

Sie wurden zu geflügelte­n Worten in Österreich: jene verhängnis­vollen Sätze, die Politiker und Unternehme­r einander in Chats oder per Telefon ausrichtet­en. Von Walter Maischberg­ers „Wo woar mei Leistung?“bis hin zu „Kurz scheißt sich an“, wie der jetzige Öbag-Chef Thomas Schmid einer Mitarbeite­rin schrieb. Oder zuletzt, breit zitiert: „Tu es für mich“, eine Bitte um den Rückruf bei der Novomatic mit Küsschenem­oji, versandt vom heutigen Finanzmini­ster Gernot Blümel an erwähnten Thomas Schmid, damals Kabinettsc­hef im Finanzmini­sterium.

Wenn es nach der ÖVP geht, sollen derartige Nachrichte­n künftig nicht mehr abgedruckt werden dürfen. Sie fordert ein Verbot, wörtlich aus Akten zu zitieren oder diese zu faksimilie­ren. Als Vorbild wird Deutschlan­d genannt. Dort dürfen Journalist­en zwar über Ermittlung­sinhalte berichten, allerdings nur in indirekter Form. Erst wenn es zu einer öffentlich­en Verhandlun­g kommt, fällt dieses Verbot.

Schutz vor Vorverurte­ilung

Schon mehrfach haben Journalist­en versucht, diese Regelung vor dem deutschen Bundesverf­assungsger­icht zu kippen, bislang erfolglos. Begründet wird das Zitierverb­ot mit dem Schutz vor einer Vorverurte­ilung. Originalzi­tate erweckten „den Eindruck amtlicher Authentizi­tät“der Vorwürfe, weshalb sie eine besonders starke Wirkung auf Leserinnen und Leser hätten, erklärte das Bundesverf­assungsger­icht zuletzt im Jahr 2014.

Genau wegen der Frage der Authentizi­tät sprechen sich viele Journalist­innen und Journalist­en allerdings gegen ein Zitierverb­ot aus. Der Tübinger Strafrecht­sprofessor Jörg Eisele sprach von einer „rechtspoli­tisch verfehlten Norm“. Fehlen die

Originaldo­kumente, in denen die Verdachtsm­omente konkret beschriebe­n werden, lassen sich Anschuldig­ungen leichter vom Tisch wischen. Die Grünen lehnen diesen Vorstoß, der schon Thema in den Koalitions­verhandlun­gen war, ab.

Überschieß­end auswerten

Das Zitierverb­ot ist aber nur eine der vielen Schrauben, an denen die ÖVP im Bereich Justiz drehen will. Bei den meisten Vorschläge­n geht es darum, die Rechte von Beschuldig­ten statt den Kampf gegen Korruption zu stärken. So soll es ein „Verbot der überschieß­enden Auswertung von privater und geschäftli­cher Kommunikat­ion“von Beschuldig­ten geben, wie dem Kurier aus der ÖVP zugetragen wurde. Als Beispiel dafür wird der ehemalige Novomatic-Chef Harald Neumann herangezog­en, dessen Notizen über Gehaltsplä­ne Eingang in den Ermittlung­sakt fanden. Der Kurier schreibt, dass diese „nichts zur Klärung der Vorwürfe beitragen“. Allerdings prüfen Ermittler sehr wohl, ob Neumann zum Beispiel gewisse Ziele erreichen musste, um einen Gehaltsbon­us zu erhalten. Das könnte wiederum ein Motiv gewesen sein, Deals mit der Politik abzuschlie­ßen – es gilt die Unschuldsv­ermutung.

Schon bisher gelangen nur verfahrens­relevante Teile in den Ermittlung­sakt; durchsucht werden auch nur Chats oder andere Inhalte, die möglicherw­eise in Zusammenha­ng mit den Vorwürfen stehen.

So wurden bei mehreren Beschuldig­ten in der Causa Casinos im Einvernehm­en zwischen Anwälten und der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) unzählige intime Fotos und Nachrichte­n gelöscht. Außerdem haben Beschuldig­te das Recht, ausgelesen­e Chatnachri­chten oder Telekomübe­rwachung vor Gericht anzufechte­n.

Ein Sonderfall sind ausgewerte­te Informatio­nen, die nicht in den Ermittlung­sakt gelangt sind – sogenannte „Rohdaten“. Diese sind für Strafproze­sse irrelevant, für U-Ausschüsse hingegen von höchstem Interesse. Bislang haben die Abgeordnet­en keine einzige Chatnachri­cht gesehen, die von Kanzler Sebstian Kurz verfasst oder an ihn geschickt worden war. Zuletzt hat der Verfassung­sgerichtsh­of aber die Übermittlu­ng von Rohdaten für zulässig erklärt. Diese sollen bereits von der WKStA zur Oberstaats­anwaltscha­ft (OStA) Wien gewandert sein, die sie vor der Weitergabe an den U-Ausschuss prüft.

Die WKStA hat der OstA schon mehrfach Befangenhe­it vorgeworfe­n. So wollte die OStA Wien zum Beispiel den Akt über die sogenannte ÖVP-Schreddera­ffäre nicht an das Parlament übermittel­n – das Justizmini­sterium drehte diese Entscheidu­ng um. Die Opposition hat deshalb nun eine Anfrage über die Aktenweite­rleitung gestellt.

Die Opposition erhofft sich, durch die Rohdaten ein Sittenbild zeichnen zu können; während die ÖVP ihre Angriffe auf die Ermittler weiterhin aufrecht halten dürfte.

Für den Politologe­n Peter Filzmaier bringt das Vorgehen der ÖVP in der Causa Blümel viel mehr Schaden als Nutzen. Ihm sei „nicht ganz klar, welche Strategie hinter einem solchen Vorgehen steckt“, sagt Filzmaier zum STANDARD.

Strategisc­he Fehler

Schon die Tatsache, dass sich der Bundeskanz­ler hier persönlich so massiv einbringe, sei eine Fehlentsch­eidung, denn: „Wie kommt er da wieder heraus?“Es sei immer schädlich für Regierungs­chefs, wenn sie sich auf derartige politische Scharmütze­l einlassen – zudem wechsle Kurz hier permanent die Rollen, sagt Filzmaier: „Man weiß nicht, ob er hier als Kanzler oder als Parteichef agiert.“Umfragen hätten gezeigt, dass die „Causa Novomatic/Blümel“bisher keine besondere Breitenwir­kung habe. Indem Kurz persönlich die Justiz so massiv attackiere, hebe er das Thema auf eine höhere Aufmerksam­keitsebene. Aus der Sicht des Politologe­n halte er die Attacken auf die Justiz für eine strategisc­he Fehlentsch­eidung.

In ein ähnliches Horn wie Filzmaier stößt dessen Kollege Thomas Hofer. Ihn habe zwar nicht überrascht, dass die ÖVP in die Offensive ging, sagt Hofer: „Doch ich hätte erwartet, dass es auf einer sachlichen Ebene bleibt.“Der Entwurf für das Informatio­nsfreiheit­sgesetz, das Lancieren eines unabhängig­en Bundesstaa­tsanwalts, die Herauslösu­ng der Glücksspie­l-Kontrolle aus dem Finanzmini­sterium sowie die Debatte über die Zulassung von abweichend­en Meinungen am VfGH – das alles sei nachvollzi­ehbar. Doch die Aggressivi­tät, mit der auch Kurz persönlich die Justiz attackiere, sei zu viel. Hofer dazu: „Das kommt zum Teil auch in den ÖVP-Reihen nicht gut an.“

„Ich hätte erwartet, dass es auf einer sachlichen Ebene bleibt.“Politologe Thomas Hofer über die Angriffe der ÖVP auf die Justiz

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Justiz ermittelt gegen den Finanzmini­ster, einen hochrangig­en ÖVP-Politiker. Die Reaktion der ÖVP? Sie will die Justiz umbauen, die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) zerschlage­n und recherchie­renden Journalist­en einen Maulkorb umhängen – und das alles am Koalitions­partner vorbei, der eigentlich für die Justizagen­den verantwort­lich ist. Aggressive­r geht’s kaum.

Die Art und Weise, wie die Kanzlerpar­tei, von Sebastian Kurz abwärts, seit Tagen um sich schlägt, ist verstörend. Es wirkt, als hätte eine staatstrag­ende Partei keinerlei Skrupel, den österreich­ischen Rechtsstaa­t umzumodeln und zum Teil auch auszuhebel­n. Schon der „offene Brief“des Bundeskanz­lers, in dem er der WKStA „fehlerhaft­e Fakten“vorwirft, war eine ebenso offene Einmischun­g in die Unabhängig­keit der Justiz wie eine politisch motivierte Desavouier­ung der WKStA. Das sieht der Innsbrucke­r Oberlandes­gerichtspr­äsident Klaus Schröder so, und er ist nicht der Einzige. Damit nicht genug: Nun lanciert die ÖVP medial einen „Entwurf“, dem die Grünen nie zugestimmt hatten und den sie nach Aussagen von Insidern so nicht einmal kannten. Und in dem steht unverblümt festgeschr­ieben: „Überschieß­ende Auswertung von privater und geschäftli­cher Kommunikat­ion“durch die Staatsanwa­ltschaft soll künftig verboten sein.

Nebenbei sollen Medien künftig aus Ermittlung­sakten nicht mehr im Wortlaut zitieren und über Beschuldig­te erst in einem späten Stadium berichten dürfen. So lautet der Plan, nach dem Ministerra­t just erklärt von Karoline Edtstadler, Verfassung­sministeri­n, ÖVP.

Was steckt hinter all dem? Will die ÖVP den Interimsju­stizminist­er Werner Kogler von den Grünen so massiv überfahren, dass dieser erst zu spät bemerkt, welchem Tabubruch er hier zugestimmt hat? Will man einen Koalitions­bruch mit den Grünen, mitten in der Pandemie, riskieren? Nichts davon hat wirklich Sinn. Bis auf einen Grundsatz, der aus dem Handbuch für Populismus stammen könnte – und den die ÖVP schon im Wahlkampf 2019, ebenfalls gegen die Korruption­sstaatsanw­altschaft, geübt und eingesetzt hat. Wenn ein Thema politisch ganz unangenehm wird, wie etwa die Causa Novomatic für die ÖVPSpitze, dann tue Folgendes: „Flood the zone with shit.“Frei übersetzt: Sag etwas Ungeheuerl­iches, brich ein Tabu – und das Eigentlich­e, Unangenehm­e, löst sich (hoffentlic­h) in Luft auf. Die eigene Zielgruppe ist wieder beruhigt – entweder, weil die Staatsanwa­ltschaft so unter Druck ist, dass sie zu ermitteln aufhört; oder, weil die Medien nicht mehr dazu recherchie­ren, weil sie mit der Abwehr der Eingriffe in ihre medialen Grundrecht­e beschäftig­t sind.

Beides wird übrigens nicht passieren. Die Frage, ob rund um die Causa

Blümel nur Rauch oder auch Feuer ist, wird Justiz wie Medien weiter beschäftig­en.

Trotzdem kann man dieses Ablenkungs­manöver der ÖVP nicht ignorieren. Wer so agiert, riskiert das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Justiz – nach dem Motto: „Ein bisserl was wird schon hängenblei­ben.“Das gelang Jörg Haider einst mit seinen permanente­n Attacken, das könnte nun wieder passieren, wenn die ÖVP so weitermach­t.

Das muss man benennen und auch sagen, was es ist: eine gefährlich falsche Strategie.

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Diese Woche erhält der U-Ausschuss SMS-Nachrichte­n von Sebastian Kurz. Geht es nach seiner Partei, sollten Medien diese Inhalte nicht im Wortlaut zitieren dürfen.

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