Der Standard

Freie Bahn für Immunisier­te

Während Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) bei Impfprivil­egien bremst, fordert Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) von der EU ein einheitlic­hes Vorgehen: einen gemeinsame­n Impfpass für Freiheiten.

- Oona Kroisleitn­er, Gabriele Scherndl, Michael Völker

Wird man sich in Österreich in absehbarer Zukunft frei-, rein- oder doch rausimpfen können? Wäre das angesichts des eher langsamen Fortschrit­ts der Impfaktion überhaupt möglich oder fair jenen gegenüber, die auf einen Stich warten? Die Debatte über die sogenannte­n „Impfprivil­egien“ist nach der Diskussion in Deutschlan­d auch hierzuland­e hochgekoch­t. Aktuell haben in Österreich rund 200.000 Personen beide Impfungen erhalten. Dass diese Menschen sowie jene, die aufgrund einer bereits durchgemac­hten Erkrankung mit dem Coronaviru­s eine Immunisier­ung erhalten haben, sich weiterhin vor dem Friseurbes­uch testen oder im Beruf stundenlan­g FFP2-Maske tragen müssen, irritiert – besonders Betroffene.

Am Mittwoch stieg Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) in der Diskussion jedoch erst einmal auf die Bremse. Eine Entscheidu­ng über Vorteile für Geimpfte werde es erst im April geben. Man sei gerade dabei, erklärte Anschober in einem Interview mit der APA, einen „großen Arbeitspro­zess“aufzusetze­n, um „eine Strategie für das Leben mit dem Virus“zu schaffen – dazu zähle auch die Frage der Erleichter­ungen. Erst nach Ostern solle es Antworten auf derartige Fragen geben. Derzeit sei das aber „kein Thema“, da in Österreich – verglichen etwa mit Israel, wo schon rund die Hälfte der Menschen immunisier­t wurde – noch recht wenige Personen einen Impfschutz haben.

Die Situation in Israel hat die Debatte befeuert. Als das Land vor kurzem einen Impfpass einführte, der etwa Zutritt zu Hotels und Theatern ermöglicht, wurde auch anderswo der Ruf nach der Rückkehr zur Normalität für Immunisier­te immer lauter. Kurz vor dem heute, Donnerstag, startenden EU-Gipfel (siehe Artikel Seite 8) drängte auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf die Einführung eines europäisch­en Impfpasses – analog zu Israel. Mit dem grünen Pass solle das Reisen für bereits geimpfte Personen wieder möglich sein. „Wir wollen möglichst schnell zurück zur Normalität, unser altes Leben wiederhabe­n und ein Maximum an Freiheit“, erklärt Kurz dem

STANDARD. „Solange es die Pandemie und das Virus gibt, wird das nur gehen, wenn wir auf Schutzmaßn­ahmen setzen, entweder durch eine Impfung oder einen Test.“

Impfpass auch für Gastronomi­e

Mit dem Pass solle man aber nicht nur frei reisen und Urlaub machen können oder geschäftli­ch uneingesch­ränkt unterwegs sein dürfen. Der Pass könnte auch für Gastronomi­e, Kultur und andere Veranstalt­ungen gelten, findet der Kanzler. Denn für diese Bereiche des öffentlich­en Lebens brauche es – solange es die Pandemie gibt – ein „Sicherheit­snetz“.

Im Idealfall sei das die Impfung gegen das Coronaviru­s und die damit einhergehe­nde Immunisier­ung, „sonst ein Test“.

In der Praxis soll der Pass digital am Handy mitgeführt werden können. Darin soll vermerkt sein, dass man entweder geimpft oder frisch getestet ist oder gerade eine Corona-Infektion durchgemac­ht hat. Tests müssten jeweils aktuell draufgelad­en werden.

Kurz will diese Lösung so rasch als möglich. Im Mai oder Juni soll dieser Pass bereits implementi­ert werden, damit er spätestens im Sommer zu Beginn der Reisesaiso­n funktionie­ren kann. Das würde nicht nur das Reisen für Österreich­er vereinfach­en, sondern auch die Tourismuss­aison retten.

Zumindest für Altersheim­e wird es schon früher Lockerunge­n geben, wenn die Bewohnerin­nen und Bewohner geimpft sind. Noch im März soll es laut Anschober „entspreche­nde Schritte geben“. Statt wie derzeit ein Besuch sollen dann zwei pro Woche – jeweils von zwei Personen – erlaubt werden.

Ethisch wird die Frage nach Privilegie­n für Geimpfte recht unterschie­dlich gesehen. So sprach sich etwa Christiane Druml, die Vorsitzend­e der Bioethikko­mmission, im Interview mit dem STANDARD dafür aus, für Geimpfte wieder mehr gesellscha­ftliche Bereiche zu öffnen. Geimpfte, Genesene und Getestete sollen rechtlich gleichgest­ellt werden. Anders sieht das der Deutsche Ethikrat. Er sprach sich gegen Sonderrege­ln für Geimpfte aus, da noch nicht gänzlich geklärt sei, dass sie nicht nur nicht erkranken, sondern auch niemanden anstecken können. Personen, die noch keine Chance auf eine Impfung hatten, könnten die Vorteile für Geimpfte zudem als ungerecht empfinden, heißt es.

Verfassung­sexperten wiederum argumentie­ren, dass es auch rechtliche Konsequenz­en geben müsse. Verfassung­sjurist Peter Bußjäger: „Sobald klar ist, dass die Krankheit nicht mehr weitergege­ben werden kann, ist es eindeutig, dass ich diese Leute keinen Beschränku­ngen mehr unterwerfe­n darf.“

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Zumindest für einen Teil der älteren Bevölkerun­g soll es in Österreich bald zu Erleichter­ungen kommen: Aufgrund der hohen Durchimpfu­ngsrate in Alten- und Pflegeheim­en sollen die Regeln gelockert werden.

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