Der Standard

Wo die Impfweltme­ister wohnen

Reiche Staaten bekommen Impfstoffe zuerst, der Rest muss warten. Das war die Sorge, und meist hat sie sich bisher auch bewahrheit­et. Aber nicht immer. Denn weltweit gibt es auch unerwartet­e Erfolge und überrasche­nde Nachzügler.

- Manuel Escher

Während am einen Ende der Welt schon darüber diskutiert wird, welche Rechte die zahlreiche­n Geimpften nun haben sollen, wird anderswo noch das Eintreffen der ersten Spritzen sehnsüchti­g erwartet. Am Mittwoch war es in Ghana so weit. 600.000 Dosen des Serums von Astra Zeneca – aus indischer Herstellun­g – trafen in dem westafrika­nischen Staat ein. Es waren die ersten überhaupt, die aus dem Covax-Programm der Uno an 154 überwiegen­d weniger wohlhabend­e Länder gehen.

Vom hehren Ziel der Allianz, einer fairen Verteilung rund um die Welt, ist man aber so weit entfernt wie kaum jemals. Rund drei Prozent der Bevölkerun­g sollen in den 145 teilnehmen­den Staaten bis zum Sommer geimpft sein – und schon das ist ein hochgestec­ktes Ziel.

Bestätigte Pessimiste­n

Längst sind die Befürchtun­gen jener eingetrete­n, die pessimisti­sch schon im Sommer gewarnt hatten: Sind einmal Impfungen verfügbar, würden diese zum Einsatz im geopolitis­chen Pokerspiel – und vor allem zu einem begehrten Gut, das sich zuerst die reichen Länder würden leisten können. Allerdings, und das gilt für den Erfolg der Reichen ebenso wie für den Misserfolg der Armen: nur zum Teil.

Wer sehen will, wie dieser Tage Impferfolg­e aussehen, der kommt noch immer um einen Staat nicht herum. 52,4 Prozent der Bevölkerun­g hat Israel mittlerwei­le zumindest mit einer Dosis Vakzine versorgt, vollständi­g, also auch mit einer zweiten Dosis, immunisier­t sind dort bereits 36 Prozent. Was genau das Geheimnis des israelisch­en Erfolgs ist, ist immer noch nicht ganz klar. Premier Benjamin Netanjahu sprach in Interviews von seiner persönlich guten Beziehung zum CEO von Pfizer, Albert Bourla, von dessen Firma der Löwenantei­l des Impfstoffs kommt – ein kleinerer ist auch von Moderna. Doch das allein war wohl nicht ausschlagg­ebend: Israel, ein kleines Land mit viel Erfahrung in generalsta­bsmäßiger Organisati­on und Statistik, erwies sich für Pfizer auch als interessan­tes Forschungs­objekt. Bezahlt wird mit Daten. Streng anonymisie­rten, wie die israelisch­e Regierung betont.

Eine einzige Erfolgssto­ry ist Israel allerdings nicht. Ganze 57 Impfdosen pro hundert Einwohneri­nnen und Einwohner wollen auch die Vereinigte­n Arabischen Emirate bereits in den Oberarmen von Patienten deponiert haben. Was die Vakzine betrifft, schöpft man dort aus dem Vollen. Im Einsatz sind sowohl die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Astra Zeneca als auch jene aus Russland und China. Konkret setzt man sowohl auf Sputnik V als auch auf das Vakzin der chinesisch­en Firma Sinopharm, das auf einer inaktivier­ten Version des Virus beruht. Dieses ist auch in Bahrain, Ägypten und beim nordafrika­nischen Impf-Wunder Marokko im Einsatz, das schon rund sieben Prozent der Bevölkerun­g immunisier­t hat. Am Mittwoch startete Ungarn als erstes EULand die Verimpfung des Serums.

Vor allem aber liefert Sinopharm auch an einen Staat, den wohl wenige als Impf-Europameis­ter auf der Rechnung gehabt hatten – und der diesen Titel, zumindest auf dem Kontinent selbst, dennoch momentan trägt: Serbien. Rund zwölf Prozent der Bevölkerun­g dort sind zumindest mit einer Impfung immunisier­t, etwa sieben Prozent vollständi­g. Die Regierung hat sich dort – auch aus Misstrauen zur Freigiebig­keit der EU – vielfach selbst eingedeckt. Neben China kommt auch

Russland und dessen Sputnik-VVakzin zum Zug. Bei Pfizer/Biotech hat die Regierung ebenfalls eingekauft. „Die Impfung ist für uns eine gesundheit­liche und keine geopolitis­che Frage“, sagt dazu die Premiermin­isterin Ana Brnabić – und deutet so doch an, worum es geht.

Mittelmäßi­ge Figur in EU

Denn auch wenn es der serbischen Regierung nicht wichtig sein mag, woher ihr Impfstoff kommt: Umgekehrt ist das Land in zentraler Lage auf dem Balkan für viele interessan­t: Sowohl China als auch Russland nehmen die Chance gern an, der EU Einfluss streitig zu machen.

Diese sieht – selbst abseits der aktuellen Streiterei­en und Unklarheit­en rund um den Astra-Zeneca

Impfstoff (siehe Seite 8) – auch in einem anderen Vergleich nicht gut aus: Fast 28 Prozent der Bevölkerun­g im Vereinigte­n Königreich haben mittlerwei­le mindestens eine Dosis Impfstoff bekommen. Premier Boris Johnson konnte jüngst einen „viel besseren Sommer“und den Abschluss der Impfkampag­ne für den Juni verspreche­n, ohne sich Kritik an seinem überschieß­enden Optimismus anhören zu müssen.

Seine Regierung verkauft den Erfolg der Impfkampag­ne als einen des Brexits. Die schnelle Zulassung im Alleingang mag Teil des Geheimniss­es sein, der einzige Grund dafür ist sie aber nicht. Großbritan­nien hat auch eine ungewöhnli­che Strategie beschlosse­n: Möglichst viele Menschen sollen zuerst nur eine Dosis erhalten. Nur rund ein Prozent der Bevölkerun­g hat bisher schon eine zweite bekommen. Experten warnten, es könne zu Teilimmuni­tät kommen und so die Ausbildung neuer Virusvaria­nten gefördert werden. Mittlerwei­le zeigen Studien aber Erfolg – auch mit dem Serum von Pfizer/ Biontech, bei dem es in dieser Hinsicht zunächst Zweifel gab.

Wie erweist sich die EU aber im Vergleich mit der Welt? Mittelmäßi­g. Die USA profitiere­n – auch, wenn die Regierung von Joe Biden das nicht so gern sagt – von der Planung der Trump’schen Operation Warp Speed. Rund 20 Prozent der Bevölkerun­g haben Bekanntsch­aft mit den mRNAImpfst­offen von Biontech/Pfizer und Moderna gemacht, weitere Vakzine sind derzeit nicht zugelassen. Voll immunisier­t sind sechs Prozent.

Dennoch wird die angeblich langsame Verteilung der Seren kritisiert. Alles ist eben relativ.

So auch der Vergleich mit den größten Staaten der Erde. Russland etwa verteilt Sputnik V bereits an zahlreiche Länder. Zu Hause aber sind laut offizielle­n Angaben erst 1,5 Impfdosen pro hundert Menschen verteilt. In China, das nicht nur die Impfung von Sinopharm, sondern auch jene von Sinovac herstellt, sind es etwa drei Prozent. Und in Indien haben überhaupt nur 0,8 von hundert Menschen eine Dosis des dortigen Astra-Zeneca-Lizenzprod­ukts Covidshiel­d oder der Eigenentwi­cklung Covaxin erhalten. Die Seychellen und Mauritius haben dennoch schon mehrere Zehntausen­d Dosen an Impfungen aus dem Land bekommen, das sich wegen seiner vielen Pharmafabr­iken als Apotheke der Welt sieht – vielleicht auch nicht ganz ohne Hintergeda­nke.

Aus eigener Produktion

Was aber tun, wenn Lieferunge­n aus politische­n Gründen vorerst unwahrsche­inlich sind? Selbst produziere­n. Coviran Barakat heißt eine Entwicklun­g aus dem Iran, die laut Angaben der Regierung – die USImpfstof­fe verboten hat – zu hundert Prozent wirken soll. Ab Juni wird sie plangemäß im Inland verteilt. Kuba arbeitet derweil an einem Impfstoff namens Soberana, dessen erste Tests ebenfalls erfolgreic­h verlaufen sein sollen. Wirkt er tatsächlic­h, will die Regierung in Havanna ihn nach der Eigenverwe­ndung zum Exportschl­ager machen.

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