Der Präsident der Wiener Polizei, Gerhard Pürstl, über Corona-Demos und Maßnahmen gegen Terrorismus
Wiens Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl verteidigt die Vorgangsweise bei Corona-Demos. Ob es kausale Zusammenhänge zwischen Behördenversagen und Terroranschlag gibt, sei „nicht sicher.“
Die Zeiten waren schon ruhiger für die Wiener Polizei. Kurz nach dem Gespräch wurde in Favoriten eine Frau ermordet. Zeit für nachträgliche Fragen blieb Polizeipräsident Gerhard Pürstl nicht.
STANDARD: Nächste Woche steht die nächste Großdemonstration gegen Corona-Maßnahmen an. Trotz Untersagung marschierten jüngst tausende Teilnehmer mit wenig Abstand. Ist die Wiener Polizei mit derartigen Versammlungen überfordert?
Pürstl: Wenn davon auszugehen ist, dass Versammlungen dem öffentlichen Wohl zuwiderlaufen, dann müssen wir diese als Behörde untersagen. Das richtet sich an den Anzeiger der Versammlung, die nehmen das in der Regel auch zur Kenntnis.
STANDARD: Das heißt, eine Untersagung hat in diesen Fällen in der Praxis keine Konsequenzen?
Pürstl: Nur gegenüber demjenigen, der Anzeiger ist. Für alle anderen ist es ein Signal, dass man vor Ort mit einer Auflösung rechnen muss. Im Gegensatz zu früher wird trotz Untersagung weiter in sozialen Netzwerken mobilisiert, und unzählige Personen versammeln sich trotzdem in der Stadt. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass die Auflösung mit Zwang durchgesetzt wird. Wir sind da natürlich an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden. Man könnte daran denken, die Gesetzeslage zu ändern. Etwa, dass man Platzverbote aussprechen kann, auch wenn nicht zu befürchten ist, dass es zu größeren gerichtlich strafbaren Handlungen kommen wird. Ob Änderungen notwendig sind, sollte man aber in Ruhe und erst nach Ende der derzeitigen Demo-Erscheinungen diskutieren.
STANDARD:
Pürstl: Aber solche Demos kannten wir bisher nicht, mit derartigen Aufrufen in sozialen Netzwerken. Es hat nicht immer gleich die Politik oder die Verwaltung etwas verschlafen, wenn es neue Erscheinungsformen gibt. Es ist ja auch nicht so, als wäre das so brandgefährlich, dass Feuer am Dach wäre. Ich denke, wir haben gezeigt, dass wir mit der Situation ganz gut umgehen können.
STANDARD: Apropos gefährlich: In einschlägigen Chatgruppen wurde im Vorfeld von Demos zu Stürmung des Parlaments aufgerufen. Gibt es hier spezielle Sicherheitsvorkehrungen? Pürstl: Solche Ankündigungen werden staatspolizeilich entsprechend bewertet und daraus Schlüsse gezogen und Maßnahmen gesetzt.
STANDARD: Aber gibt es spezielle Vorkehrungen, die getroffen werden? Pürstl: Wir haben natürlich Sicherheitsvorkehrungen im Regierungsviertel. Der Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen ist ein Kernbereich der Polizeiaufgaben. Den gibt es aber immer.
STANDARD: Ist die angekündigte Überprüfung eines Einsatzleiters, der ein freundschaftliches Verhältnis mit Demo-Organisatoren zu pflegen scheint, schon abgeschlossen?
Pürstl: Tatsache ist, dass Dialog zu pflegen, auch bei Versammlungen gerade mit den Verantwortlichen, zum polizeilichen Alltag gehört. Es gibt Fotos, auf denen es so aussieht, als würde ein freundschaftliches Verhältnis gepflogen. In dem Fall ist das aber nicht so. Eine Überprüfung der Vorwürfe ergab keinen Grund für Beanstandung.
STANDARD: Ein Naheverhältnis zur Szene dürfte es aber schon geben. Es gibt ja mehrere Fotos und entspre
Pürstl: Man darf Likes nicht automatisch damit in Einklang bringen, dass ein Beamter seinen Dienst danach ausrichten würde. Man kann auch Beamten nicht verbieten, auf sozialen Plattformen ihre Meinung zu äußern.
STANDARD: Angehörige eines Terror opfers haben eine Amts haftungs klage eingebracht, viele andere stehen im Raum. Es gibt den Vorwurf, dass derAtten täter die Tat nur aufgrundunt erlassener und falscher Handlungen von Bundes- und Landes verfassungs schützern (BVT und LVT) begehen konnte. Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Pürstl: Wenn ich eine Forderung durchsetzen will, dann behaupte ich grundsätzlich alles, was mir dazu hilft, zu diesem Anspruch zu kommen. Das ist legitim.
STANDARD: Das ist keine einfache Behauptung, damit wird auf den Bericht der Terror-Untersuchungskommission Bezug genommen.
Pürstl: Wenn es Versäumnisse gibt, wenn Dinge vielleicht länger oder langsamer behandelt worden sind, als man sie hätte behandeln können, dann heißt das nicht, dass sie kausal für den Anschlag waren. Bloß weil ein Versäumnis festgehalten wird, führt das nicht zwingend auch zu einem Anspruch auf Schadenersatz.
Auch die U-Kommission sagt in ihrem Bericht, dass keine einzelne Handlung auch nur annähernd kausal für den Anschlag war.
STANDARD: Nachdem der Angreifer aus der Haft entlassen wurde, dauerte es ein Dreivierteljahr, bis eine erste Risikoeinschätzung vorlag. Funktioniert das Instrument nicht, oder war Ihre Behörde im Verzug?
Pürstl: Die Kommission hat aufgezeigt, dass es Umstände gegeben hat, warum man länger gebraucht hat: Die Menge der Menschen, die überprüft werden mussten, das System, mit dem beurteilt werden muss; überdies war die Covid-Zeit, für so eine Einschätzung muss man sich in Fallkonferenzen zusammensetzen können, um ein einheitliches Bild zu bekommen.
STANDARD: Sie sind der Polizeipräsident, hätten Sie nicht schon längst sagen müssen: „Wir haben nicht genug Leute, um mit dieser Menge an Gefährdungseinschätzungen umzugehen“? Pürstl: Das ist so nicht richtig ausgedrückt. Sie werden bei jedem Fall, wenn Sie ihn im Nachhinein betrachten, draufkommen, dass man in Einzelheiten anders, schneller hätte vorgehen können. Und Sie werden Fälle haben, wo es exzellent gelaufen ist.
STANDARD: Wenn es eine Meldung an die Staatsanwaltschaft gegeben hätte, wäre der Täter vermutlich in U-Haft genommen worden.
Pürstl: Aber es kommt darauf an: Wäre durch die Verständigung eine Situation geschaffen worden, die den Anschlag verhindert? Da bin ich mir nicht sicher; vor allem auch in Hinblick auf das sehr enge Zeitfenster möglichen Handelns durch die Justiz. Aber man wird sehen, was rauskommt.
STANDARD: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen LVT-Beamte im Zusammenhang mit der Terrornacht. Können Sie bestätigen, dass die Anzeige aus dem Innenministerium selbst kam? Pürstl: Ja. Das Ziel ist die Überprüfung, ob Beamte sich strafrechtlicher Handlungen schuldig gemacht haben.
STANDARD: Also: Das BMI zeigt LVTBeamte an. Die Kommissionsleiterin bezeichnete die Zusammenarbeit zwischen BVT und LVT als „defizitär“. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zum Innenminister beschreiben?
Pürstl: Wir haben ein ausgezeichnetes Verhältnis. Wenn er als die oberste Sicherheitsbehörde zur Auffassung kommt, es sollte das Verhalten aller beteiligten Beamten untersucht werden, wird das an die Staatsanwaltschaft geschickt. Das würden wir umgekehrt genauso machen, wenn wir glauben, es stehe strafgesetzwidriges Verhalten im Raum.
(Jahrgang 1962) trat 1988 seinen Dienst bei der Wiener Polizei an. Seit Anfang 2008 ist der Jurist Landespolizeipräsident.