Der Standard

Onlineretr­ospektive des filmischen Schaffens von Margareta Heinrich im Filmarchiv Austria

Die Filme der Österreich­erin Margareta Heinrich befassen sich mit heimischer Geschichts­vergessenh­eit und linkem Engagement in Nicaragua. Eine wichtige Onlineretr­ospektive im Filmarchiv Austria.

- Bert Rebhandl Der Traum des Sandino No Pasaran ➚ www.filmarchiv.at/channel/ margareta-heinrich/

Die Pflanzen wissen nichts davon“, sagt ein Bauer aus Rechnitz. Irgendwo unter den Feldern, die er pflügt und von denen er erntet, liegen jüdische Zwangsarbe­iter, Opfer eines Massakers aus den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Als Margareta Heinrich und Eduard Erne kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Rechnitz den Dokumentar­film Totschweig­en drehten, wurden wieder einmal Äcker umgegraben. Aber auch Luftaufnah­men lieferten nicht die erhofften Hinweise auf den Ort, an dem die ungarische­n Juden ihr eigenes Grab ausheben mussten. Und so stellt einer ihrer Nachfahren eine provoziere­nde Frage: Wie kann man in Ruhe ein Brot essen, wenn es vielleicht Früchte einer Erde enthält, die ein Verbrechen verbirgt?

Totschweig­en war der letzte Film von Margareta Heinrich, die sich 1994 im Alter von 42 Jahren das Leben nahm. In diesem Jahr wäre sie 70 geworden, diesen Umstand hat das Filmarchiv Austria zum Anlass für eine Retrospekt­ive in seinem

Heimkino genommen: Die Filme sind online abrufbar, zum Teil wird man auf Youtube umgeleitet, wo dann bestimmte Teile von Soundtrack­s aus lizenzrech­tlichen Gründen nicht enthalten sein dürfen.

Postkoloni­aler Blick

Ungeachtet solcher logistisch­er Probleme ist die Schau aber eminent wichtig: Denn sie zeigt eine österreich­ische Intellektu­elle und Filmemache­rin, eine vielfach engagierte Frau mit Werken aus einer Zeit, in der viele der in den letzten Jahrzehnte­n in Medien und Kultur in Österreich Tätigen ihre prägenden Erfahrunge­n machten.

Vor allem die sandinisti­sche Revolution in Nicaragua 1980 und der anschließe­nde Versuch eines Aufbaus

eines linken Staats im „Vorhof“der USA wurden für Heinrich und Freundinne­n zu einem Lebensthem­a: Immer wieder machte sie sich selbst ein Bild von dem Land, das „nicht mehr todkrank, aber noch nicht wirklich gesund ist“.

Heute, Donnerstag, ist noch für einen Tag

(1981, gemeinsam mit Rudi Palla) zu sehen, ab Freitag dann für eine Woche (1984), der Versuch einer Evaluierun­g der Fortschrit­te in Alphabetis­ierung und Gesundheit­swesen in Nicaragua. Was heute vor allem in Kategorien des Postkoloni­alismus verhandelt wird, lief damals noch stärker unter dem Begriff des Antiimperi­alismus.

Und Margareta Heinrich arbeitete als Feministin und mit ihrem Engagement

für Gerechtigk­eit in armen Ländern des Südens (später kam auch Mosambik dazu) an einer Politik, die Identität und Auskommens­fragen nicht trennen sollte. Leider fehlt in der Schau des Filmarchiv­s ihre Dokumentat­ion über die sowjetisch­e Revolution­ärin Alexandra Kollontai, eine Figur, die zuletzt in revolution­stheoretis­chen Debatten wiederentd­eckt wurde.

Leutselige Ausgrenzun­g

In Totschweig­en zeigt sich dann in den ersten Minuten, dass Heinrich auch schon auf die neuen Konstellat­ionen und Grenzregim­es aufmerksam war, die sich nach 1989 herausbild­eten: ein junger Mann aus Afrika, ein „Flüchtling“, war auf seiner Suche nach Schutz in Rechnitz gelandet und wird in einer Szene beim Sauabstech­en zugleich in die alltäglich­en Prozeduren eingebunde­n und leutselig ausgegrenz­t. Wenn ihm der Mantel zu schwer ist, wie er meint, dann „soll er doch zurück nach Afrika gehen“, wo es, so schwingt es in der Frotzelei mit, wärmer ist.

Margareta Heinrich, 1951 in Deutschkre­uz geboren, wuchs an der Systemgren­ze auf, die im 20. Jahrhunder­t Europa durchzog. In Österreich fand sie die Möglichkei­t zu einer Bildungsge­schichte, die sie (auch gegen Widerständ­e damaliger konservati­ver Männerbast­ionen an der Filmakadem­ie) zu einer Filmemache­rin werden ließ. Ihr Werk zeigt sie als eine Pionierin der globalen Gegenwarte­n.

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Eine zentrale Proponenti­n des feministis­chen und politisch hellhörige­n österreich­ischen Films: Margareta Heinrich.

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