Der Standard

Es wird ernst für die „Wiener Zeitung“

Die Regierung macht sich an die Abschaffun­g der Pflichtins­erate im Amtsblatt. Ohne die lässt sich das gedruckte Blatt praktisch nicht finanziere­n. Die Marke der ältesten noch erscheinen­den Tageszeitu­ng soll – wohl digital – überleben.

- Zeitung Wiener Harald Fidler ➚

Der republikse­igenen droht das Ende als gedruckter Zeitung: Nach Informatio­nen des STANDARD aus mehreren Quellen plant die ÖVP, schon demnächst die Pflichtver­öffentlich­ungen von Unternehme­n im Amtsblatt der Tageszeitu­ng zu streichen. In Regierungs­kreisen wird die Abschaffun­g der Pflichtver­öffentlich­ungen mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie erklärt, die bis Sommer vorgesehen sei.

Gemeint ist offenbar die bis Sommer 2021 umzusetzen­de Richtlinie 2019/1151 über den „Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellscha­ftsrecht“. Ziel: Unternehme­n einfacher und kostengüns­tiger allein online zu gründen und auch weitere zu veröffentl­ichende Unterlagen online einzureich­en.

„Rolle des Amtsblatts“

Die Richtlinie stellt es Mitgliedss­taaten frei, „Informatio­nen zu Gesellscha­ften auch ganz oder teilweise im nationalen Amtsblatt zu veröffentl­ichen“. Solange die Infos vom zentralen Unternehme­nsregister elektronis­ch an das nationale Amtsblatt übermittel­t werden. Denn: „Diese Richtlinie sollte die nationalen Vorschrift­en über den rechtliche­n Stellenwer­t des Registers und die Rolle des nationalen Amtsblatts nicht berühren.“

Aber die Richtlinie verlangt auch, dass Unternehme­n nur einer zentralen Stelle melden müssen, was sie laut Gesetz zu veröffentl­ichen haben. Das dürfte sich mit der Veröffentl­ichungspfl­icht vor allem für Jahresabsc­hlüsse großer Aktiengese­llschaften im Amtsblatt der Wiener

Zeitung spießen, sagen sachkundig­e Juristen.

Großteil der Einnahmen

Pflichtver­öffentlich­ungen insgesamt machen nach früheren Angaben mehr als drei Viertel der Einnahmen der Wiener Zeitung von rund 20 Millionen Euro aus. Ohne sie lässt sich auch eine in den vergangene­n Jahren reduzierte Redaktion mit rund 60 Journalist­innen und Journalist­en nicht finanziere­n.

Die Wiener Zeitung ist auf mehrfache Weise besonders: Sie wurde im Sommer 1703 als Wiennerisc­hes

Diarium gegründet und ist die älteste noch erscheinen­de Tageszeitu­ng der Welt. Besonders ist aber auch in der westlichen Welt, dass sich ein Staat eine eigene Tageszeitu­ng leistet.

Den Aufsichtsr­at bestimmt das Bundeskanz­leramt; der Kanzler bestellt formal auch Geschäftsf­ührer und Chefredakt­eur – deren Besetzung in der Vergangenh­eit schon häufig nach Regierungs- und Kanzlerwec­hseln

politisch passend geändert wurde. Seit 2015 hat die

Wiener Zeitung ein Redaktions­statut, das redaktione­lle Unabhängig­keit definiert.

Im Regierungs­programm von ÖVP und Grünen steht (wie schon in einigen anderen Koalitions­programmen zuvor) als Ziel: „Verof̈ fentlichun­gspflicht in Papierform in der Wiener Zeitung abschaffen.“Es nimmt sich zudem vor: „Neues Geschäftsm­odell der Wiener Zeitung mit dem Ziel des Erhalts der Marke – Servicepla­ttformen des Bundes bündeln.“

Der Verlag der Wiener Zeitung betreut bereits Servicepor­tale des Bundes wie oesterreic­h.gv.at und

help.gv.at. Geschäftsf­ührer Martin Fleischhac­ker hat erst vor zehn Tagen den Start der „Wissenspla­ttform“vergabeser­vice.at verkündet. Dort würden Informatio­nen und Wissen um das Thema öffentlich­e Ausschreib­ungen gebündelt.

Provider der Republik

Fleischhac­ker, wohl mit Blick auf die Endlichkei­t der Pflichtver­öffentlich­ungen: „Unser Anspruch ist es, das Unternehme­n zu einem digitalen Vorzeigeun­ternehmen zu transformi­eren.“Die Plattform Vergabeser­vice zeige „sehr klar unsere Position als Content- und Informatio­nsprovider der Republik Österreich“.

Geschäftsf­ührer Fleischhac­ker stellt sich auf die Abschaffun­g der

Pflichtver­öffentlich­ungen ein; auf STANDARD-Anfrage nach der kolportier­t baldigen Umsetzung erklärt er: „Es steht im Regierungs­programm, und ich gehe davon aus, dass es sicher irgendwann umgesetzt werden wird.“

Fleischhac­kers aktueller Vertrag als Geschäftsf­ührer der Wiener Zeitung GmbH läuft nach früheren Unternehme­nsangaben bis 31. August 2021, ebenso Walter Hämmerles Vertrag als Chefredakt­eur.

Dass die Pflichtver­öffentlich­ungen nach STANDARD-Infos nun recht rasch abgeschaff­t werden sollen, könnte auch an Kündigungs­fristen nach dem Kollektivv­ertrag für Journalist­innen und Journalist­en liegen, der zumindest drei Monate Frist vorsieht.

„Veröffentl­ichungspfl­icht in Papierform in der ,Wiener Zeitung‘ abschaffen.“Regierungs­programm von ÖVP und Grünen

8000 Euro für eine Seite

Die Abschaffun­g der Pflichtver­öffentlich­ungen in der Wiener Zeitung ist eine langjährig­e Forderung von Unternehme­n und Wirtschaft­skammer. Die Veröffentl­ichungen im Amtsblatt kosten laut aktueller Tarifliste zumindest 100 Euro – für das kleinstmög­liche Format einspaltig und 20 Millimeter hoch. Eine ganze Seite dürfte nach der Tarifliste rund 8000 Euro kosten – jedenfalls für Jahresabsc­hlüsse von AGs ist das Format relevant.

derStandar­d.at/Etat

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Foto: fid Die älteste noch erscheinen­de Tageszeitu­ng der Welt dürfte ohne Pflichtins­erate nur als digitale Marke erhalten bleiben.

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