Der Standard

Drohnen, die Schlachten entscheide­n

Immer mehr Staaten rüsten ihr Arsenal bewaffnete­r Kriegsdroh­nen auf. Deren verheerend­es Potenzial zeigte sich etwa beim Konflikt in Bergkaraba­ch. Künftig sollen KI-gesteuerte Luftfahrze­uge Schlachten bestimmen.

- Muzayen Al-Youssef, Manuel Escher

Zwischen 64 und 116 tote Zivilistin­nen und Zivilisten, 2372 bis 2581 hingericht­ete Mitglieder von Terrorgrup­pen. Die Spanne ist groß, und die Zahlen sind laut mehreren Beobachter­gruppen wohl deutlich untertrieb­en. Aber immerhin: Es sind offizielle Zahlen. Sie geben an, wie viele Menschen laut US-Regierung außerhalb von Kriegsgebi­eten unter Präsident Barack Obama bei Drohnensch­lägen getötet wurden.

Derartige Angaben gab es nur einmal: 2016. Denn seit dem Ausscheide­n Obamas aus dem Amt Anfang 2017 ist es schon wieder vorbei mit der relativen Offenheit. Sein Nachfolger, Donald Trump, ließ die Berichtspf­lichten streichen – und, so geht zumindest aus inoffiziel­le Zählungen hervor, die Zahl der Drohnenang­riffe selbst massiv steigern. Schon nach zwei Jahren im Amt sollen es mindestens 2243 gewesen sein, schätzt das Bureau of Investigat­ive Journalism. Das wären mehr als in den acht Jahren der Amtszeit Obamas.

Jedem eine Drohne

Dass Trump sich trotzdem als jener Präsident inszeniere­n konnte, der die USA aus den „ewigen Kriegen“im Nahen Osten und am Horn von Afrika abziehen wollte, liegt an der speziellen Art des Tötens, die Drohnen ermögliche­n: in undeklarie­rten Kriegen, außerhalb des Lichtes der Öffentlich­keit. Und natürlich: plötzlich und wie aus dem Nichts. Trumps Nachfolger Joe Biden lässt die Regeln für den Einsatz nun wieder prüfen. Doch wie sich die Sache in Zukunft entwickelt, liegt längst nicht mehr allein in den Händen der USA.

Russland, China, der Iran, Israel, die Türkei und viele andere: Sie alle stellen mittlerwei­le selbst Drohnen her. Und nicht nur sie selbst können sie einsetzen, denn die Fluggeräte werden auch an andere Staaten verkauft. Das ändert schon jetzt den Verlauf der Kriege. Nicht mehr schweres Gerät entscheide­t, nicht mehr herkömmlic­he Luftüberle­genheit, gute Organisati­on der Armee oder Personalst­ärke. Wichtig ist es nun, jederzeit einsatzber­eit zu sein, stets unerwartet und zielgerich­tet zuschlagen zu können.

Der rote Knopf ist weit weg

Deswegen werden militärisc­he Drohnen laufend weiterentw­ickelt. Sie sind nicht nur in bewaffnete­r Form im Einsatz: So erlauben unterschie­dlichste Sensoren, beispielsw­eise Wärmebildk­ameras, eine viel feinere Überwachun­g eines Kriegsgebi­ets. Gesteuert werden die unbemannte­n Luftfahrze­uge von Piloten, häufig von weit entfernten Militärstü­tzpunkten aus. Sie arbeiten gemeinsam mit einem Netzwerk an Analysten, das weitere Entscheidu­ngen trifft. Um eine Steuerung in Echtzeit zu gewährleis­ten, wird auf unterschie­dlichste elektronis­che Kommunikat­ionsmittel wie Satelliten oder Glasfaser zugegriffe­n.

Ein Beispiel dafür, das im vergangene­n Herbst viele Experten aufschreck­te, ist der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidsc­han um die Region Bergkaraba­ch. Armenien hatte um das Gebiet, das mehrheitli­ch von ethnischen Armeniern bewohnt ist, aber völkerrech­tlich zu Aserbaidsc­han zählt, in den 1990er-Jahren mehrere Auseinande­rsetzungen siegreich beendet. Diesmal war das anders. Eigentlich ist die Region an der Frontlinie von Schützengr­äben umgeben, weswegen sie als schwer einzunehme­n galt. Doch Aserbaidsc­han profitiert­e von seiner Partnersch­aft mit der Türkei: Die Streitkräf­te in Bergkaraba­ch waren den Kampfdrohn­en der Aserbaidsc­haner hoffnungsl­os unterlegen.

Vor diesem Hintergrun­d diskutiere­n auch viele weitere Staaten über eine Anschaffun­g

von Kampfdrohn­en. Nicht zuletzt in Deutschlan­d ist nach dem Krieg um Bergkaraba­ch eine neue Diskussion darüber entbrannt, die auch die Regierungs­partei SPD entzweite. Auch einen Österreich-Bezug gibt es übrigens: Eine Firma aus Oberösterr­eich belieferte – nicht nur, aber auch – die türkische Armee mit Motoren für deren Kampfdrohn­en des Typs TB2. Erst nach Bekanntwer­den des Geschäfts, etwa über einen Bericht des STANDARD, stellte sie Ende Oktober des vergangene­n Jahres die Lieferunge­n ein. Länder „mit unklarer Nutzung“würden als Zielstaate­n für die Motoren ausfallen, hieß es damals in einer Reaktion.

Bei den bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen in Bergkaraba­ch flogen die türkischen

Drohnen auch in Formatione­n, die einem Schwarm ähnelten. Das ließ Beobachter aufschreck­en: Die Rüstungsin­dustrie forscht seit Jahren an autonomen Drohnengru­ppierungen. Die Befürchtun­g, dass sie erstmals auf dem Schlachtfe­ld erprobt würden, bewahrheit­ete sich aber – noch – nicht. Doch in Zukunft soll es jedenfalls so weit kommen.

Automatisc­h in den Krieg

Der nächste Schritt ist, auch Kampfdrohn­en – und nicht nur Aufklärung­sdrohnen – vollautono­m zu entwickeln. Möglich sein soll das anhand von künstliche­r Intelligen­z (KI). Die Drohnen sollen mithilfe von MachineLea­rning-Systemen ihre Ziele eigenständ­ig erkennen. Bei einem Angriff würden sie als gemeinsame­r Schwarm „denken“und zusammenar­beiten, um den Auftrag zu erfüllen.

Ein solches System könnte aus dutzenden oder gar tausenden Drohnen bestehen, die automatisi­ert agieren. Dabei soll die künstliche Schwarmint­elligenz der Geräte entscheide­nd sein. Werden einige der Luftfahrze­uge zerstört, können andere einspringe­n. Gleichzeit­ig wird die KI laufend für Kämpfe optimiert und soll beispielsw­eise feindliche Objekte – etwa Panzer – ohne menschlich­e Hilfe erkennen. Anders als bisher würden menschlich­e Bediener allgemeine­re strategisc­he Entscheidu­ngen treffen und im Einzelfall eingreifen, während die Schwarmint­elligenz die idealen Methoden errechnet, um feindliche Streitkräf­te koordinier­t zu töten.

Sieg gegen menschlich­en Piloten

Drohnensch­wärme sind schon seit Jahren in Diskussion, Feldversuc­he werden immer konkreter – ein wirklich funktional­es System wird es aber zumindest in naher Zukunft noch nicht geben. Eine große Rolle spielt dabei der Stand der Technik: Um die Systeme wirklich aus der Entfernung in Echtzeit unter Kontrolle zu haben, brauchte es weitaus höhere Bandbreite­n. Dazu kommt, dass immer die Gefahr bestünde, dass es zu Verzögerun­gen in der Verbindung kommt. In dieser Zeit würden die Schwärme unbeaufsic­htigt kämpfen.

Mehr als Zukunftsmu­sik sind aber einzeln agierende, autonome Kampfdrohn­en: Bei einem Test der Forschungs­behörde des USVerteidi­gungsminis­teriums (DARPA) etwa besiegte im vergangene­n Jahr eine künstliche Intelligen­z einen menschlich­en Piloten der Luftstreit­kräfte. Das System stammt von einem privaten Zulieferer. Künftig könnten die Luftfahrze­uge also eigenständ­ig kämpfen – mit der Option, dass menschlich­e Bediener eingreifen. Nebst derartigen Kampfdrohn­en forschen Staaten immer mehr an unscheinba­ren Luftfahrze­ugen, die in etwa so groß sein sollen wie Insekten. Die mit Kameras und anderen Sensoren ausgestatt­eten Drohnen würden heimliche Überwachun­g ermögliche­n.

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Künftig sollen Kampfdrohn­en ihre Ziele in Schwärmen attackiere­n. Noch ist es nicht so weit. Im Bild zu sehen ist eine „Reaper“, ein unbemannte­s Luftfahrze­ug, das viele Jahre lang von USStreitkr­äften genutzt wurde. Heute ist eine Weiterentw­icklung der Drohne, die MQ-9B, im Einsatz.
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