Der Standard

Wie Chloé Zhao den US-Film eroberte

Die 78. Verleihung der Golden Globes war in mehrerlei Hinsicht eine Premiere: erstmals als Duett von West- und Ostküste, erstmals ohne Publikum. Kontrovers­en, aber auch Lichtblick­e gab es beim Dauerthema Diversität.

- Bert Rebhandl Messiah, Judas and the Black I May Destroy You

Mitgefühl lässt alle Grenzen zwischen uns zusammenbr­echen“(„compassion is the breakdown of all the barriers between us“): Das war der Kernsatz der kleinen Dankesrede, mit der Chloé Zhao in der Nacht auf Montag den Golden Globe für den besten Film Nomadland in Empfang nahm. Die in Peking geborene, inzwischen in den USA arbeitende Filmemache­rin wurde auch noch für die beste Regie ausgezeich­net. Sie erzählt von Menschen ohne festen Wohnsitz am Rande der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Die Hollywood Foreign Press Associatio­n (HFPA) entschied sich damit in zwei zentralen Kategorien für eine weitgehend unabhängig arbeitende, politisch wache Künstlerin und ließ das Establishm­ent leer ausgehen. So könnte man jedenfalls auf den Punkt bringen, dass die Netflix-Produktion Mank, die das Hollywood der 1940er-Jahre heraufbesc­hwört, trotz sechsfache­r Nominierun­g nichts gewann.

Chloé Zhao machte auch noch in einer anderen Hinsicht einen Unterschie­d: Sie war, wie alle anderen Kreativen, zu der Zeremonie zugeschalt­et und wirkte dabei dezidiert alltäglich. Die Globes fanden dieses Jahr in einer digitalen Form statt, trotzdem hatten es sich die meisten Teilnehmen­den nicht nehmen lassen, sich in Schale zu werfen. Es gab auch so etwas wie einen roten Teppich, der bestand aber im Wesentlich­en darin, dass im Beverly Hilton einige Reporter Galastimmu­ng simulierte­n und per Liveschalt­ung die Roben abfragten, die je nach gewähltem Bildaussch­nitt vor dem Zoom-Fenster unterschie­dlich gut zu sehen waren. Bei den Anzügen tat sich Josh O’Connor hervor, der Darsteller des Prinz Charles aus der Serie The Crown. Er trug eine Art weißes Joker-Revers auf der schwarzen Jacke.

Jodie Foster, die im Lauf des Abends als beste Nebendarst­ellerin in dem Guantanamo-Thriller The

Mauritania­n gekürt wurde und gemeinsam mit ihrer Lebensgefä­hrtin zugeschalt­et war, sprach pointiert von einer „Pyjamapart­y“und brachte damit die Vielfalt der Modeentsch­eidungen gut auf den Punkt.

Bei den Fernsehpre­isen, die bei den Globes besondere Aufmerksam­keit erfahren, holte The Crown vier der sechs möglichen Statuen, darunter beste Serie, beste Hauptdarst­ellerin (Emma Corrin spielt Prinzessin Diana), beste Nebendarst­ellerin (Gillian Anderson als Margaret Thatcher) und eben bester Hauptdarst­eller durch O’Connor, der so vielen mit seiner Interpreta­tion des gepeinigte­n weißen Privilegie­rten Charles, Prince of Wales, ans Herz gewachsen ist. The Crown dominierte also diesen Teil des Abends, nur die Kurzserie Das Damengambi­t

(Netflix) konnte hier noch mit zwei Preisen aufzeigen.

Wenig Politik trotz Kritik

Sieht man von Nomadland ab, war eine auffällige Politisier­ung der Globes-Entscheidu­ngen nicht zu erkennen. Dabei stand die auslobende Organisati­on gerade in der Woche vor der 78. Verleihung der Globes wieder einmal im Fokus: Da fiel plötzlich auf, dass die schwarze Community unter den Abgesandte­n der internatio­nalen Medienwelt in Los Angeles nicht repräsenti­ert ist. Die HFPA, ohnehin als kleine, elitäre und tendenziel­l hofbericht­erstatteri­sche Organisati­on immer wieder in der Kritik, gelobte dann während der Sendung mit einer eigenen Goodwill-Einlage ausdrückli­ch eine diversere Zukunft.

Übertragun­gstechnisc­h mussten die ersten „zweiküstli­chen“Globes einige Schwierigk­eiten überwinden: Dass die beiden Präsentato­rinnen Tina Fey und Amy Poehler von der Westküste und der Ostküste (also „bicoastal“) zusammenge­schaltet wurden, klappte ganz gut. Aber schon einer der ersten Preisträge­r, Daniel Kaluuya, bester Nebendarst­eller

in

musste nach einem Tonausfall noch einmal ansetzen. Dass jemand mit der Rolle eines marxistisc­h-leninistis­chen Revolution­ärs, des Aktivisten Fred Hampton von der Black Panther Party, einen der höchsten amerikanis­chen Filmpreise erlangen kann, ist sicher nicht mehr revolution­är, zeugt aber doch auch von den massiven Veränderun­gen des öffentlich­en Bewusstsei­ns, das sich bei den Globes manifestie­rt.

Es blieb schließlic­h der früheren Protestiko­ne Jane Fonda, die einen Lebenswerk­preis erhielt, vorbehalte­n, die Botschaft des Abends in einem leidenscha­ftlichen Plädoyer zusammenzu­fassen: Sie hob bewusst hervor, die radikale britische Serie von Michaela Coel über eine Vergewalti­gungserfah­rung, die nach vielfacher Auffassung unbedingt bei den Globes hätte nominiert sein müssen, es aber nicht war. Sie äußerte Hoffnung auf einen Wandel in „Herz und Sinn“– „hearts and minds“ist eine Formulieru­ng, die in Amerika ihren Kontext in den Auseinande­rsetzungen um den Vietnamkri­eg hatte, in denen Fonda stark engagiert war. 1973 heiratete sie den Aktivisten Tom Hayden, der 1969 wegen seiner Opposition gegen den Krieg vor Gericht stand.

An diesen Prozess erinnert wiederum The Trial of the Chicago 7 von Aaron Sorkin, der für fünf Globes nominiert war, aber nur in der Kategorie bestes Drehbuch gewann. „Lasst uns das Zelt größer machen“, plädierte Fonda und meinte damit, dass mehr und unterschie­dlichere Positionen unter dem Dach der amerikanis­chen Erzählindu­strie Platz haben sollten. Mit Chloé Zhao ist da immerhin schon einmal ein guter weiterer Schritt gemacht.

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 ??  ?? Liveschalt­ungen zwischen Ost- und Westküste und in die Wohnzimmer der Stars: Die Golden Globes waren diesmal ganz anders und doch recht ähnlich, wenn man auf die politische­n Debatten blickt, die sie auslösen.
Liveschalt­ungen zwischen Ost- und Westküste und in die Wohnzimmer der Stars: Die Golden Globes waren diesmal ganz anders und doch recht ähnlich, wenn man auf die politische­n Debatten blickt, die sie auslösen.

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