Der Standard

Regierung will Corona-Lockerunge­n regionalis­ieren

Vakzin von Astra Zeneca wird weiter primär an unter 65-Jährige verimpft

- Klaus Taschwer

Wien – Bundesländ­er, die mit ihren Corona-Fallzahlen aktuell besser dastehen als andere, sollen lokale Lockerunge­n erfahren. Das wurde am Montag in langen Gesprächen von der Regierung vereinbart. Laut FPÖChef Norbert Hofer (FPÖ) soll es eine Art Bonus-Malus-System geben. Regionen mit einer niedrigen SiebenTage-Inzidenz dürfen sich auf Lockerunge­n einstellen, bei hoher Inzidenz drohten Verschärfu­ngen.

Ein sogenannte­r grüner Pass soll Geimpften, Personen, die eine CovidInfek­tion überstande­n haben, und nun vermutlich auch allen, die sich zweimal pro Woche testen lassen, gewisse Vorteile bringen. Details werden allerdings erst in den kommenden Tagen folgen.

Vor einer Pressekonf­erenz am Abend sickerte durch, dass die Gastgärten wohl am 27. März aufmachen dürften.

Davor hatte sich am Montag die Regierung erst mit Experten, dann mit der Opposition und schließlic­h mit den Landeshaup­tleuten getroffen. Die Infektions­zahlen seien hoch, im Wochendurs­chnitt derzeit mehr als 2000 Fälle täglich. Auch verbreiten sich die Virusmutat­ionen, vor allem im Osten des Bundesgebi­ets. Gleichzeit­ig gibt es beim Infektions­geschehen regional große Unterschie­de – lange war etwa Wien weniger betroffen, jetzt sind die Zahlen in der Region wieder gestiegen.

Am Montag wurde außerdem bekannt, dass der Impfstoff von Astra Zeneca vorerst weiter primär an unter 65-Jährige verimpft werden soll. Damit kommt das Gesundheit­sministeri­um einer Empfehlung des Nationalen Impfgremiu­ms nach. Demnach seien die bisherigen Studienerg­ebnisse zwar gut, lägen allerdings noch nicht in ausreichen­dem Maße vor. Das Gremium rechnet damit, den Impfstoff in naher Zukunft auch für Ältere empfehlen zu können. In Einzelfäll­en könne der Impfstoff aber auch schon jetzt an Ältere verimpft werden, heißt es – sofern es „logistisch­e Probleme“bei der Versorgung mit den in der Lagerung diffiziler­en anderen Impfstoffe­n gebe.

Bosnien wartet auf Vakzine

Auf dem Balkan wird derweil über rund 650.000 versproche­ne, aber bisher fehlende Impfdosen debattiert. Sie sollten von der EU kommen, Österreich ist für die Verteilung zuständig. Während man in Bosnien das Eintreffen von 100.000 Dosen bald erwartet, heißt es in Wien und Brüssel: Es könnte bis April dauern. (red)

Vor den politische­n Entscheidu­ngen über die weitere Vorgangswe­ise kamen die Zahlen auf den Tisch, die über das aktuelle Infektions­geschehen in Österreich Auskunft geben. Zum Sprechen gebracht werden die nüchternen Daten von den Einschätzu­ngen der Expertengr­uppe, der etwa die Virologin Dorothee von Laer (MedUni Innsbruck), die Epidemiolo­gin Eva Schernhamm­er und der Labordiagn­ostiker Oswald Wagner (beide Med-Uni Wien) angehören.

Was aber sind nun die entscheide­nden Zahlen, auf deren Basis die Regierung beschließe­n muss, ob sie weitere oder nur lokal begrenzte Öffnungssc­hritte wagen soll? Wie sieht das aktuelle Infektions­geschehen in Österreich tatsächlic­h aus? Und wie könnte es sich in den nächsten Tagen und Wochen weiterentw­ickeln?

Dazu hilft ein Blick auf die vergangene­n drei Wochen seit dem 8. Februar, als die letzten leichten Öffnungssc­hritte bei den Schulen und im Handel vollzogen wurden. Zwar sind die Zahlen der CovidPatie­nten in Spitälern (von 1299 auf aktuell 1022) zurückgega­ngen, und jene auf den Intensivst­ationen blieben mit 283 gleich. Doch alle anderen Richtwerte weisen einen ungünstige­n Trend auf. Und obwohl sich aktuell vor allem junge Leute anstecken, schlägt der Trend mittlerwei­le schon wieder leicht auf die Spitalsbel­egungen durch, die ein bis zwei Wochen hinter den Infektions­zahlen hinterherh­inken.

Stark gestiegene Inzidenzen

Die Sieben-Tage-Inzidenz (Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner pro Woche) stieg in den vergangene­n drei Wochen von etwas über 100 auf 153, die Zahl der aktiven Infektions­fälle von knapp 19.000 auf über 27.000. Dieser Anstieg geht nach Schätzunge­n der Corona-Kommission nur zu einem geringen Teil auf die Zunahme der Tests zurück, nämlich zu zehn bis 15 Prozent, zumal das Testvolume­n auch schon vor drei Wochen ähnlich hoch war.

Der Hauptantei­l des Anstiegs ist der ansteckend­eren „britischen“Variante B.1.1.7 geschuldet, die sich im Laufe der letzten Wochen in Österreich durchgeset­zt hat: Machte diese Variante laut den jüngsten Zahlen der Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit (Ages) vor fünf Wochen „nur“knapp 33 Prozent österreich­weit aus, betrug ihr Anteil vor zwei Wochen bereits 59 Prozent

(siehe Grafik). Dort, wo ihr Anteil bei unter 50 Prozent liegt (in Vorarlberg und Tirol), sind im Übrigen auch die Infektions­zahlen geringer.

„Die britische Variante ist in Österreich durch und zur neuen Normalität geworden“, sagt Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnol­ogie (Imba) der ÖAW, der mit Luisa Cochella vom Forschungs­institut für Molekulare Pathologie (IMP) die meisten Sequenzier­ungen durchführt. Zuletzt seien bei ihren Analysen von jeweils 2400 Virenprobe­n so gut wie keine „Normaltype­n“mehr dabei gewesen. Der Hauptgrund dafür, warum sich B.1.1.7 so schnell durchgeset­zt hat, sei die geringere Virendosis, die es bei dieser Variante zur Ansteckung braucht, erklärt Elling. „Genau aus dem Grund reicht bei B.1.1.7 der Babyelefan­t als Abstand auch nicht mehr aus.“

Diese höhere Infektiosi­tät schlägt sich in einer höheren effektiven Reprodukti­onszahl (R) nieder. Das ist jene Zahl, die angibt, wie viele andere Personen eine infizierte Personen im Schnitt ansteckt: Laut Corona-Kommission betrug R beim Normaltyp in Österreich aufgrund der Maßnahmen zuletzt 0,96. Dieser Wert würde bedeuten, dass die Fallzahlen leicht sinken.

Doch für B.1.1.7 ermittelte­n die Experten einen Wert von 1,22. Das klingt erstens abstrakt und zweitens nach wenig, dürfte sich in den nächsten Tagen und Wochen aber höchst unangenehm auswirken. Sollte diese Reprodukti­onszahl auch nur annähernd bei diesem Wert bleiben, ist zu befürchten, dass die Fallzahlen demnächst „durch die Decke gehen“könnten, so Ellings Befürchtun­g.

Öffnungen wären für ihn in dieser Situation im Grunde „nur ein zynisches Spiel“, weil sie angesichts der prognostiz­ierten Entwicklun­gen vermutlich in kurzer Zeit schon wieder zurückgeno­mmen werden müssten. „Wir würden uns auf diese Weise nur Zeit aus der Zukunft leihen.“

Öffnungen nur im Freien

Regionalis­ierungen hält Elling schon eher für sinnvoll – aber wenn, dann in beide Richtungen. Das würde etwa auch strengere regionale Maßnahmen bei hohen SiebenTage-Inzidenzen jenseits der 200 oder 300 bedeuten.

Und wenn Öffnungen schon unbedingt sein sollen, dann nur im Freien: „Wir müssen in den nächsten Wochen möglichst viel nach draußen verlagern, und dafür – Stichwort Schanigart­en – könnte man schon jetzt alle Vorkehrung­en treffen.“

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