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ZITAT DES TAGES

Das Interesse an Wurmkisten für den Biomüll ist seit Corona gestiegen. Was tausende Würmer in der Küche bringen.

- Franziska Zoidl

„Wenn man den Kopf zur Kiste hält, hört man die Würmer schmatzen.“

Der Gründer des Unternehme­ns Wormsystem­s, David Witzeneder, über den neuen Trend des Kompostier­ens

Der Hocker aus Naturholz steht auf Rollen und hat einen braunen Polster als Deckel. Spektakulä­res Design schaut anders aus. Doch wie so oft geht es auch hier um die inneren Werte. In dem unscheinba­ren Hocker, der in der Küche Platz hat und auf dem man auch sitzen kann, leben mehrere Tausend Würmer. Die wuseln unter dem Allerwerte­sten des Besitzers herum und tun ihr gutes Werk.

Die Kompostwür­mer verwerten nämlich all das, was an Biomüll zu Hause anfällt: Erdäpfel-, Karotten-, Eierschale­n oder Kaffeesatz landen im Hocker. Das Möbelstück ist ungewöhnli­ch, doch das Prinzip des Wurmkompos­ters ist altbewährt: Die kleineren, rötlichen Verwandten der Regenwürme­r ernähren sich von Mikroorgan­ismen, die die Gemüserest­e

fressen. Aus ihren Ausscheidu­ngen wird Wurmhumus, der als Pflanzendü­nger Hobbygärtn­ern Freudenträ­nen in die Augen treibt. Motivation ist für viele aber auch die Müllvermei­dung. Bioabfall, der im Restmüll landet, lässt den Müllberg wachsen. Je mehr Müll Haushalte produziere­n, umso öfter muss die Müllabfuhr anrücken und umso mehr Müll wird verbrannt.

Keine Sorge – Wurmkisten sind geruchslos. Allerdings nicht ganz geräuschlo­s: „Wenn man den Kopf zur Kiste hält, hört man die Würmer schmatzen“, erzählt David Witzeneder. Er ist der Gründer des Unternehme­ns Wormsystem­s mit Sitz im oberösterr­eichischen Andorf. Von dort aus werden Wurmkisten oder Wurmhocker verschickt. Auch die Würmer kommen mit der Post, wenn es draußen nicht gerade kalt ist. Im Winter wird der Versand immer wieder eingestell­t, damit die Wurm-Ware nicht erfriert.

Es gibt sogar Seminare für Interessie­rte, die sich selbst eine solche Kiste bauen wollen. Die Düsseldorf­erin Ulrike Buchholz bietet derlei an. Buchholz ist ehrenamtli­che Kompostber­aterin beim Düsseldorf­er Abfallunte­rnehmen Awista und Gründerin der Facebook-Gruppe „Wurmkisten­freunde“, in der sich auch viele Interessie­rte aus Österreich tummeln.

Mehr Zeit für die Würmer

„Viele hatten im letzten Jahr mehr Zeit, sich mit solchen Themen zu beschäftig­en“, sagt Buchholz, die im Brotberuf Industriek­auffrau ist, die Wurmkisten aber als „private Berufung“sieht.

In der Facebook-Gruppe melden sich die Leute oft dann, wenn es mit den Würmern gerade nicht gut läuft. Etwa wenn sich Fruchtflie­gen oder Dungmücken – ein Klassiker – in der Kiste breitgemac­ht haben oder Milben gesichtet wurden. Im Worst Case hilft nur ein vorübergeh­ender Fütterungs­stopp für die Würmer. Manchmal wird man in der Community von anderen Wurmbesitz­ern aber auch beruhigt: Die Sichtung von Springschw­änzen – kleinen Tierchen mit sechs Beinen – ist zum Beispiel kein Grund zur Sorge, sondern sogar ein Zeichen dafür, dass die Bedingunge­n in der Kiste ideal sind.

Auch Wurmkisten­bauer David Witzeneder bemerkt seit Beginn der Corona-Krise steigendes Interesse an seinem Produkt. Schon im ersten Lockdown hätten viele das Garteln für sich entdeckt. „Und früher oder später fragt man sich da, woher die Erde eigentlich kommt“, sagt Witzeneder. Da kommt bei Städterinn­en und Städtern – den Hauptabneh­mern des Produkts – ein Wurmkompos­ter ins Spiel, weil der Garten für den Komposthau­fen fehlt.

Würmer lieben lernen

Manche gruselt es aber allein bei dem Gedanken, sich tausende Würmer in die Wohnung zu holen – auch wenn diese, wie die Experten betonen, nicht aus der Wurmkiste herauskrie­chen. „Man sollte schon in der Lage sein, die Würmer ohne Ekel anzufassen“, sagt Ulrike Buchholz. Sie betont aber auch: „Man kann Würmer lieben lernen.“Häufig sei in Partnersch­aften eine Person die treibende Kraft bei der Anschaffun­g der Wurmkiste, die andere eher skeptisch. Aber manchmal nur anfangs: „Bei einer Freundin begann der ursprüngli­ch skeptische Ehemann, die Bananensch­alen aus dem Büro für die Würmer mit nach Hause zu bringen.“Letztendli­ch baute er eine Rampe, damit die Wurmkiste an schönen Tagen auf den Balkon geschoben werden kann und die Würmer Abwechslun­g haben.

Noch wichtiger ist den Tieren aber die richtige Nahrung: Fleisch und Milchprodu­kte sind tabu. Gemüserest­e müssen kleingesch­nitten werden. Dafür sind die Würmer treue Medienkons­umenten. Sie müssen mit Zeitungen gefüttert werden, um auf ihre Ballaststo­ffe zu kommen: „Tageszeitu­ngen eignen sich besonders gut“, sagt Witzenende­r. Hochglanzm­agazine sind gutes Lese-, aber kein Wurmfutter.

Ein wenig Geduld brauchen Wurmkisten­besitzer anfangs dennoch: Etwa ein halbes Jahr liegt zwischen der Ankunft der Würmer und dem ersten Wurmhumus, der für Pflanzen verwendet werden kann. Früher kann der erste „Wurmtee“abgezapft werden. Mit Tee hat das nichts gemein (auch wenn man den Würmern sogar Teebeutel füttern kann). Bei Wurmtee handelt es sich um Wurmkompos­textrakt, der ganz unten in der Wurmkiste gesammelt wird – und mit dem man Pflanzen düngen kann. Das sei „wie der Zaubertran­k bei Asterix und Obelix“, schwärmt David Witzeneder.

Tausende Haustiere

Auf seine Würmer hält er überhaupt große Stücke. Er erzählt von Projekten, bei denen Würmer sogar Fäkalien in Kompost verwandeln. „Wir werden künftig noch viel von Würmern hören“, ist er überzeugt. Auch Ulrike Buchholz betont, wie nützlich Würmer sind. Etwa weil sie Erdreich umgraben, in dem Starkregen versickert, anstatt für Überschwem­mungen zu sorgen. „Würmer tun eine ganze Menge für uns“, sagt sie. Das bleibe aber oft unbemerkt. Nicht zuletzt hat, wer sich eine Wurmkiste anschafft, mit einem Schlag ein paar Tausend Haustiere. Haustiere, die weder haaren noch Lärm machen – vom Schmatzen abgesehen. So ein Kompostwur­m hat das Herz am richtigen Fleck. Was nicht schwer ist: Würmer haben fünf Herzen.

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Kompostwür­mer sind rötliche Verwandte der Regenwürme­r. Wem vor ihnen ekelt, der sei beruhigt: Man kann die Tiere lieben lernen – sofern man das möchte ...
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Wurmkisten kann man sich selbst bauen, zu kaufen gibt es sie aus Plastik oder Holz – und sogar als Sitzmöbel.

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