Der Standard

Der Balkan fühlt sich im Stich gelassen

Die Balkanstaa­ten, die sich auf das Covax-System verlassen haben, warten noch immer auf Impfstoff. 650.000 Dosen aus EU-Bestellung­en sollen in der Region verteilt werden. Wann, ist unklar. Österreich koordinier­t die Aktion.

- Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Die Zeitungen sind voll mit Todesanzei­gen, auch vor den Kirchen und den Moscheen sieht man oft neue Partezette­ln angeschlag­en. Bosnien-Herzegowin­a hat eine der höchsten Covid-19-Todesraten. Das hat mit der mangelhaft­en Gesundheit­sversorgun­g zu tun, aber wohl auch damit, dass man sich in dem armen Balkanstaa­t einen Lockdown einfach nicht leisten kann. Der Staat ist nicht in der Lage, Unternehme­rn auszuhelfe­n.

Und während im Nachbarlan­d Serbien bereits 21 Prozent der Bevölkerun­g geimpft sind – viele haben bereits das zweite Vakzin bekommen –, hat man in Bosnien-Herzegowin­a noch nicht zu impfen begonnen. Wie auch andere Balkanstaa­ten hat sich das Land auf den CovaxMecha­nismus verlassen – ein offensicht­licher Fehler. Dieses Impfstoffb­eschaffung­sprogramm der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO soll eigentlich eine faire, zeitnahe, gleichzeit­ige und gleichmäßi­ge Verfügbark­eit von Covid-19-Impfstoffe­n auch für Schwellenl­änder gewährleis­ten.

Hoffnungsl­os ohne Impfen

Die Bürger in vielen südosteuro­päischen Staaten sind verärgert über die Regierende­n, weil sie ohne Impfaussic­ht die Hoffnung verlieren, dass die steigende Infektions­zahl bald wieder sinken könnte. Jenseits des Wartens auf die CovaxImpfu­ngen haben einige EU-Staaten (nicht Österreich) die von der EUKommissi­on bestellten Impfdosen aber nicht abgerufen, diese 650.000 Einheiten können deshalb an die sechs Balkanstaa­ten geliefert werden, die nicht zur EU gehören.

Österreich hat sich bereiterkl­ärt, dabei die Koordinati­on zu übernehmen. Die Vakzine können nämlich nur von einem EU-Staat gekauft werden und nicht von den Westbalkan­staaten. Letztere müssen Österreich die Wirkstoffe bezahlen und bekommen dann das Geld von der EU-Kommission refundiert. Die EU stellt aus den Vorbeitrit­tshilfen (IPA) für den Westbalkan 70 Millionen Euro für Vakzine zu Verfügung.

In fünf bis sechs Tranchen sollen die Impfdosen geliefert und verteilt werden. Es handelt sich dabei aber nicht um Vakzin aus dem Kontingent für Österreich – die Österreich­er bekommen also wegen dieser Hilfestell­ung nicht weniger und auch nicht später ihre Impfungen.

Abgesehen davon müssen die Südosteuro­päer ohnedies noch warten. Die bosnische Außenminis­terin Bisera Turković hatte vergangene Woche auf Österreich verwiesen und gemeint, dass sie in den „kommenden Tagen“100.000 Dosen erwarte. Man habe alles vorbereite­t. „Voraussetz­ung ist, dass diejenigen, die es versproche­n haben, es auch durchführe­n werden“, so Turković. Unter EU-Diplomaten hört sich das ganz anders an. Es wird noch bis April dauern, bis die Verhandlun­gen zwischen der EU-Kommission, Österreich und Pfizer/Biontech ´über den Preis und die Haftungsbe­dingungen abgeschlos­sen sind.

Priorisier­ungen unklar

Offen ist auch noch der Verteilung­sschlüssel – in Brüssel will man je nach Einwohnerz­ahl der sechs Staaten staffeln. Doch eine Priorisier­ung von jenen Ländern, die noch gar nicht zu impfen begonnen haben, erscheint für manche gerechter und zielführen­der, zumal Serbien selbst zwei Millionen Impfstoffd­osen gekauft hat und viele Bürger aus den Nachbarsta­aten bereits jetzt nach Belgrad fahren, um sich dort impfen zu lassen. Experten verweisen auch immer wieder darauf, dass es wichtig wäre, besonders vulnerable Gruppen wie Roma in Südosteuro­pa zu priorisier­en.

In Brüssel sieht man vor allem mit Sorge, dass die Impfsituat­ion auf dem Balkan zu einem geopolitis­chen Spiel geworden ist, bei dem eines offensicht­lich ist: China und Russland gewinnen die PR-Schlacht. Serbien ist zum Hauptspiel­feld geworden, weil es durch eine geschickte Schaukelpo­litik vor allem chinesisch­e und russische, aber auch westliche Impfstoffe lukrierte.

Klar westlich orientiert­e Länder sind von der EU enttäuscht. „Wir werden versuchen, Brüssel zu erklären, dass jene Staaten, die keine Alternativ­e zur EU und Nato aufzeigen, zuerst drankommen sollen“, sagt der kosovarisc­he Politiker Albin Kurti. Klar ist: Wenn nicht bald Impfstoff vom Westen kommt, wird man sich – so wie Serbien – auch an Russland und China wenden.

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In Bosnien-Herzegowin­a gilt auch Maskenpfli­cht im Freien, trotzdem steigt die Anzahl der Infizierte­n und Toten stark an. Viele verstehen nicht, weshalb noch immer nicht geimpft wird.

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