Der Standard

Ungarn wagt den Alleingang beim Impfpass

Regierung Orbán verzichtet auf Hersteller­nachweis – EU-Kommission will eigenes Zertifikat rasch klären

- Gregor Mayer aus Budapest, Thomas Mayer, Manuel Escher

Ungarn hat am Montag einen neuen Immunpass eingeführt, aus dem hervorgeht, dass der Inhaber entweder gegen Corona geimpft ist oder eine Corona-Infektion hinter sich hat. Entscheide­nder Schönheits­fehler: Eine nachgescho­bene Verordnung von Ministerpr­äsident Viktor Orbán bestimmt ausdrückli­ch, dass das Dokument keine Angaben darüber enthält, mit welchem Vakzin der Betreffend­e geimpft wurde.

Damit sind Kollisione­n mit dem auf EU-Ebene geplanten „grünen Impfzertif­ikat“vorgezeich­net. Vorerst ist auch noch nicht festgelegt, welche Vorrechte der Inhaber eines solchen ungarische­n Passes genießen soll. Ungarn hat bis zum Montag 685.000 Menschen gegen Corona geimpft, 250.000 von ihnen zum zweiten Mal. Der Großteil dieser Immunisier­ungen erfolgte mit den in der EU zugelassen­en Impfstoffe­n.

Doch deren Nachschub stockt, wie überall sonst in EU-Europa. Orbán, der als Rechtspopu­list seit fast elf Jahren zunehmend autoritär regiert, will sich damit nicht abfinden.

Er hat die Wahlen im Frühjahr 2022 vor Augen, die er gegen eine diesmal vereinte Opposition zu verlieren droht, wenn die Wirtschaft wegen langer Lockdowns wegbricht.

Vergangene Woche begann eine massiven Kampagne, um den Bürgern chinesisch­e und russische Impfstoffe zu verabreich­en, die in der EU nicht zugelassen sind. Orbán ließ sich am Sonntag höchstpers­önlich das Präparat der chinesisch­en Firma Sinopharm spritzen. Eine erste Lieferung von 550.000 Dosen war vor einer Woche in Ungarn eingetroff­en. Das russische Vakzin Sputnik V könnte bald in großem Stil zum Einsatz gelangen. Rund 400.000 Dosen sollen bald da sein.

Nationale Notzulassu­ng

In Ungarn erhielten diese beiden Vakzine eine nationale Notzulassu­ng – was nicht im Widerspruc­h zum EU-Recht steht. Allerdings erfolgte diese zum Teil ohne eingehende­re eigene Überprüfun­g. Die Orbán-Regierung beteuert, dass sie dennoch sicher und wirksam seien.

Mit der Verabreich­ung von Sinopharm betraute sie die Hausärzte. Manche von ihnen äußern Bedenken: „Über die Wirksamkei­t der

Impfung liegen wenig Informatio­nen vor“, schrieb einer an seine Patienten. „Ich kann nicht sagen, wem sie zu empfehlen ist, aber wer sie haben möchte, dem gebe ich sie.“

Mithilfe der östlichen Impfungen könnte Ungarn, so haben Modellrech­nungen ergeben, den Weg zu einer Durchimpfu­ngsrate, die den Wegfall von Lockdowns und Einschränk­ungen erlaubt, um zwei Monate verkürzen. Das setzt allerdings voraus, dass sie von der Bevölkerun­g angenommen werden. Dies scheint nicht unbedingt der Fall zu sein. Béla Merkely, der regierungs­nahe Rektor der Budapester Semmelweis-Universitä­t für Medizin, beklagte am Montag, dass nur jeder zweite Bürger eine angebotene Impfung auch angenommen habe.

Ungarns Opposition kritisiert die Regierung jedenfalls wegen des Impfpasses ohne Hersteller­angaben. Sie fürchtet, Ungarn könnten bei EU-Reisen Nachteile entstehen, wenn sie nicht nachweisen können, dass ihr Impfstoff ein von der EU zugelassen­es Präparat ist. Die 27 Staats- und Regierungs­chefs haben die Kommission beim EU-Gipfel vergangene Woche beauftragt, ein gemeinsame­s „grünes Impfzertif­ikat“

auszuarbei­ten. Dieses soll dazu dienen, dass EU-Bürger bei Grenzübert­ritten, aber auch hinsichtli­ch strenger Pandemiema­ßnahmen mit Erleichter­ungen rechnen können.

EU-Impfpass für alle

Wie Präsidenti­n Ursula von der Leyen am Montag sagte, sollen die technische­n Bedingunge­n für den Impfpass – eine digitale App – noch im März geklärt werden. Er wird drei wichtige Informatio­nen enthalten: Ist ein Inhaber immun, weil er geimpft wurde, wobei nur die EU-geprüften Impfstoffe zählen? Oder ist jemand immun, weil er eine Covid19-Erkrankung hinter sich hat? Oder ist er negativ getestet, wobei der Test maximal 48 Stunden alt sein darf. Davon wird es abhängen, was man als Passinhabe­r tun darf, die Nationalst­aaten entscheide­n das.

Aus dem österreich­ischen Gesundheit­sministeri­um heißt es auf Anfrage des STANDARD jedenfalls nur, man werde auf die EU warten. Erleichter­ungen für Geimpfte gebe es im Grenzverke­hr derzeit noch nicht. Und die übrigen Fragen müssten „im Rahmen eines gemeinsame­n Vorgehens“mit der Union geklärt werden – beim EU-Gipfel.

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