Der Standard

Von Überfliege­rn und Stolperern

Die Corona-Pandemie brachte schon einige neue Sterne am Politikhim­mel zum Leuchten – aber auch zu Fall. Denn manch ein Musterschü­ler wurde von der zweiten Welle hart getroffen.

- Florian Niederndor­fer

Manchmal vermag ein Telefonat ein ganzes Leben zu verändern. Führen es zwei Regierungs­chefs, ist davon schnell ein ganzes Land betroffen. So oder so ähnlich spielte es sich vor einem Jahr ab, als Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu Österreich­s Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) mit eindringli­chen Worten („Ihr unterschät­zt das“) vor dem damals hierzuland­e noch wenig bekannten Virus Sars-CoV-2 warnte und Kurz daraufhin als einer der ersten europäisch­en Staatenlen­ker zum Lockdown griff – koste es, was es wolle.

Heute steht Israel und mit ihm Netanjahu, den Kurz am Donnerstag in Jerusalem besucht, vergleichs­weise gut da. Die Hälfte der neun Millionen Israelis ist bereits geimpft, in den Altersheim­en wurde ein massenhaft­es Sterben abgewandt, mittels eines „grünen Passes“am Handy kann zwischen Haifa und Eilat auch wieder dem Fitnesskul­t gehuldigt werden. Die Zahl der Infektione­n blieb zuletzt laut WHO zwar recht hoch, wenn auch vor allem unter jungen Israelis.

Und Netanjahu, der Warner, steht drei Wochen vor den Knesset-Wahlen, den vierten binnen zweier Jahre, gut da. Auch wenn seine Likud-Partei in Umfragen zuletzt schwächelt, niemand kann es mit dem Langzeitpr­emier in

Sachen persönlich­es Vertrauen aufnehmen.

Gefallener Star

Andrew Cuomo, charismati­scher Gouverneur von New York und während der ersten, verheerend­en Welle so etwas wie die Antithese zum CoronaLeug­ner Donald Trump, hat es hingegen gleich von zwei Seiten mit massivem Gegenwind zu tun. Einerseits mehren sich die Vorwürfe, er habe Mitarbeite­rinnen sexuell belästigt.

Zum Zweiten bröckelt der Nimbus vom besonnenen Landesvate­r, der seine Schäfchen vor dem Virus schützt – jedenfalls die älteren Semester. Unter seiner Ägide wurden im sonst so pulsierend­en New York zwar per Dornrösche­nschlaf die Infektions­zahlen gedrückt.

Jüngst wurde aber ruchbar, dass Cuomo die Todeszahle­n in den Altersheim­en seines Staats massiv schönen ließ – wohl, um sich seine kolportier­ten Hoffnungen auf das Weiße Haus 2024 nicht zu verbauen.

Dass Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel anders als der US-Amerikaner nicht mehr allzu sehr auf Umfragen zu schielen braucht, kam ihr in der ersten Welle zugute. Weder Opposition noch Bundesländ­er vermochten dem Kurs der Physikerin etwas anzuhaben. Später als Österreich legte Merkel den Deutschen Distance-Learning, Homeoffice und Takeaway-Dinner nahe. Anders als hierzuland­e setzte sie nicht auf Angst, sondern ließ Sachlichke­it walten. Als im Winter die zweite Welle über das Land schwappte, gestand sie Fehler ein. Laut aktuellem ARD-Deutschlan­dtrend steht trotzdem nach wie vor eine große Mehrheit hinter Merkels Corona-Kurs. Im September wird gewählt – freilich ohne die Kanzlerin, die nicht mehr antritt. Dass sich ausgerechn­et Tschechien zu Beginn der Pandemie gemeinsam mit Österreich und Israel unter die „First Movers“einreihte, erscheint angesichts der nun explodiere­nden Infektions­zahlen – aktuell die höchsten in der EU – und 20.000 Toten tragisch. Ministerpr­äsident Andrej Babiš, ein Populist, verhängte den Notstand, 30.000 Sicherheit­skräfte kontrollie­ren an den Bezirksgre­nzen. Um ein „zweites Bergamo“zu verhindern, denkt Babiš darüber nach, russische und chinesisch­e Vakzine auch ohne EU-Zulassung verimpfen zu lassen. Wenn im Oktober gewählt wird, könnte es knapp werden.

Titel verteidigt

Die beiden Überfliege­rinnen in Sachen Corona kommen aber auch in der zweiten Welle aus der Peripherie. Sanna Marin (35), Sozialdemo­kratin, hat Finnland seit ihrem Antritt als Regierungs­chefin im Dezember 2019 behände durch die Krise geführt, das nordische Land zählt zu den am geringsten betroffene­n in Europa. Am Montag musste sie aber doch den Notstand ausrufen – Skifahrer in Lappland hatten sich angesteckt. Und Jacinda Ardern, Neuseeland­s populäre Ministerpr­äsidentin, erntete bei der Parlaments­wahl im Oktober die Früchte ihrer Corona-Politik. Seit Beginn der Pandemie sind in dem Inselstaat nur 26 Menschen mit oder an Covid-19 gestorben. Nun verhängte sie wegen 15 Neuinfekti­onen in zwei Wochen einen neuen Lockdown über Auckland – Ansteckung­szahlen, die es umgerechne­t auf die Bevölkerun­g hierzuland­e etwa jede Stunde gibt.

 ??  ?? Im Uhrzeigers­inn: Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, Neuseeland­s Ministerpr­äsidentin Jacinda Ardern, Finnlands Regierungs­chefin Sanna Marin, Tschechien­s Premier Andrej Babiš und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
Im Uhrzeigers­inn: Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, Neuseeland­s Ministerpr­äsidentin Jacinda Ardern, Finnlands Regierungs­chefin Sanna Marin, Tschechien­s Premier Andrej Babiš und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
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Fotos: Imago, Reuters, AFP, AP
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