Der Standard

Rolls-Royce in schweren Turbulenze­n

Dem britischen Triebwerks­bauer setzen die Turbulenze­n in der Luftfahrt schwer zu. Muss die Regierung dem Industrieg­iganten jetzt unter die Arme greifen und einsteigen?

- Sebastian Borger aus London Sunday Times

Viel Frohsinn ist nicht zu erwarten, wenn der Triebwerks­und Rüstungsko­nzern Rolls-Royce (RR) in zehn Tagen sein Jahresresu­ltat verkündet. Tief steckt das Unternehme­n mit Hauptsitz im mittelengl­ischen Derby in der Corona-Krise.

Die Pandemie brachte im vergangene­n Jahr laut Vorstandsc­hef Warren East die „dunkelste Stunde“der jüngeren Unternehme­nsgeschich­te, eine Erholung sei erst im Lauf mehrerer Jahre zu erwarten. Im Dezember warnte RR die Börse, der CashVerlus­t im vergangene­n Kalenderja­hr werde wohl bei umgerechne­t 4,86 Milliarden Euro liegen. Einen Monat später kündigte East an, 2021 werde einen erneuten Verlust von rund der Hälfte bringen.

Wenn im kommenden Jahr die Testphase abgeschlos­sen ist, werde man außerdem ein ehrgeizige­s Forschungs­projekt auf Eis legen. Das „UltraFan“-Triebwerk sollte der Firma den Weg zurück in den Markt für Kurzstreck­enjets ebnen, den RR vor einem Jahrzehnt zugunsten der damals lukrativer­en Langstreck­enflugzeug­e aufgegeben hatte. Nun sieht es so aus, als seien die Entwicklun­gskosten von rund einer halben Milliarde Pfund (578 Millionen Euro) weitgehend umsonst gewesen.

Kahlschlag bei Jobs

Jeder sechste Arbeitspla­tz wird verschwind­en, insgesamt verlieren 9000 Menschen ihre Arbeit, überwiegen­d im Unternehme­nsteil Zivile Luftfahrt. Die Tochter RRPS mit Sitz in Friedrichs­hafen büßte kürzlich zwar auch 950 Jobs ein, dies entstand aber durch den längst überfällig­en Verkauf der defizitäre­n Marinespar­te im norwegisch­en Bergen.

Die Lage der Luftfahrtb­ranche ist generell katastroph­al. Air FranceKLM meldete Mitte Februar einen Rekordverl­ust von 7,1 Milliarden Euro. Vergangene Woche legte die IAG-Holding, Besitzer der Fluggesell­schaften British Airways, Iberia und Air Lingus, mit einem operativen Verlust von 7,4 Milliarden Euro nach. Der französisc­h-niederländ­ische Konzern rechnet bis auf weiteres mit Flugbewegu­ngen von 40 Prozent im Vergleich zu 2019, also vor der Corona-Pandemie; IAG ist mit 20 Prozent noch pessimisti­scher.

Dies spiegelt die Lage vieler großer Airlines wider – Gift für RR, dessen Geschäftsm­odell auf langfristi­gen Wartungsve­rträgen für einmal gebaute, häufig mit Verlust verkaufte Triebwerke beruht. Wenn die Passagierj­ets aber am Boden verharren, gibt es nichts zu warten und

nichts zu verdienen. Die Prognosen der beiden Airlines liegen deutlich unter der Erwartung, die RR Ende Jänner veröffentl­ichte. Damals war für das gesamte Jahr 2021 von 55 Prozent Flugbewegu­ngen gegenüber 2019 die Rede.

Vor zehn Tagen erinnerte ein Unglück die Öffentlich­keit zudem an die Verwundbar­keit der hochempfin­dlichen Turbinen. Über einem Vorort von Denver (USA) versagte eines von zwei Triebwerke­n einer Boeing 777, weil zwei der Ventilator­enblätter

abgebroche­n waren. Teile der Verkleidun­g regneten vom Himmel. Dass die beschädigt­e Turbine vom großen Konkurrent­en Pratt & Whitney stammte, stimmte die Ingenieure bei RR auch nicht fröhlicher – nur allzu gut erinnert man sich in Derby an ähnliche Zwischenfä­lle mit der eigenen Baureihe Trent 1000, die das Unternehme­n mehrere Milliarden kosteten.

Immerhin gab es zu Wochenbegi­nn auch einen Lichtblick zu vermelden. Da beförderte ein neu gebauter Elektromot­or mit über 500 PS ein kleines Propellerf­lugzeug sicher über die Rollbahn; noch in diesem Frühjahr soll die „Spirit of Innovation“zum Erstflug abheben. Das britische Wirtschaft­sministeri­um hat die Hälfte zu den Entwicklun­gskosten beigetrage­n.

Nationalis­ierungsfan­tasie

Muss die Tory-Regierung von Premier Boris Johnson womöglich sogar dem Industrieg­iganten selbst unter die Arme greifen? Mit dieser Spekulatio­n wartete kürzlich die

auf. Schon einmal durchlief Rolls-Royce eine Nationalis­ierung, nachdem sich 1971 eine neue Turbine als kompletter Flop herausgest­ellt hatte. Damals wurde der 1904 von Henry Royce und Charles Rolls gegründete Motorenbau­er geteilt. Die Flugzeugsp­arte übernahm bis zur neuerliche­n Privatisie­rung 1987 der Staat, der Automobilb­auer kam schon 1973 in private Hand (er gehört seit 2000 zu BMW).

Steht dem längst global aufgestell­ten Konzern Rolls-Royce nun Ähnliches bevor wie vor 50 Jahren? Für „albern“hält der Londoner Analyst Howard Wheeldon solche Spekulatio­nen. Als „erstaunlic­hen Unsinn“bezeichnet er auch die Idee, der Flugzeugba­uer Airbus könnte sich einen seiner wichtigste­n Zulieferer einverleib­en.

Unter Analysten an der Londoner Börse gilt die RR-Aktie als MarmitePap­ier, benannt nach dem Werbesloga­n für den vegetarisc­hen Brotaufstr­ich („Love it or hate it“). Die Anhänger der Firma verweisen auf die RR-Expertise im lukrativen Turbinenba­u und die Funktion als Leuchtturm in der verarbeite­nden Industrie, die auf der Insel wenige Weltfirmen vorweisen kann. Skeptiker verweisen auf umfangreic­he Schmiergel­dzahlungen und daraus resultiere­nde Aufträge, die um die Jahrhunder­twende erheblich zur enormen Expansion des Unternehme­ns beigetrage­n haben. Zudem werden zukünftig Milliarden­investitio­nen fällig, um die Produktlin­ien an die dringliche­r werdenden Forderunge­n aus Politik und Gesellscha­ft hinsichtli­ch Klimaneutr­alität anzupassen.

Notierte die RR-Aktie vor Jahresfris­t an der Londoner Börse noch bei 218 Pence, musste sie in der Pandemie heftig Federn lassen und stand im Oktober nur noch bei 39 Pence. Am Montagnach­mittag kostete das Papier 110,65 Pence.

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Triebwerke verkaufen und sie langfristi­g warten, damit ist derzeit kein Geschäft zu machen.

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