Der Standard

Alles, nur kein „ordentlich­er“Beruf

Frans Poelstra zeigt online für das Theater Brut eine Performanc­e über die Siebziger

- Helmut Ploebst

In zwei Keller muss Frans Poelstra gehen. Der erste enthält sein Archiv, aus dem er Erinnerung­smaterial holt. In Nummer zwei, dem Studio des Theaters Brut, filmt er dann sein neues Stück this body of

stories. the lockdown version als Online-Uraufführu­ng. Den einen Gang unternimmt er allein, den zweiten mit der Tänzerin Elizabeth Ward.

Der Niederländ­er Poelstra (65) hat unzählige internatio­nale Auftritte hinter sich, lebt und arbeitet seit 2004 in Österreich und gilt unter anderem als begehrter Kooperatio­nspartner in der Wiener Tanzszene. Begonnen hat seine Laufbahn in den Siebzigern, als der postmodern­e Tanz Europa erreichte. Die Protagonis­ten des berühmten New Yorker Judson Dance Theater kamen und ließen die Möglichkei­ten im Tanz schier grenzenlos erscheinen.

Für unsere Gegenwart heißt das: Weil es gerade eher in Richtung künstleris­cher Verengung geht, gewinnen Untersuchu­ngen an der damaligen Aufbruchsb­ewegung neue Bedeutung. Noch bevor ein Verdacht aufkommt: Sentimenta­l wird Frans Poelstra keine Sekunde lang.

Exzellente­r Improvisat­eur

Befragt und moderiert von Ward, wagt er den Blick zurück: Wie er die Schule abgebroche­n und es tunlichst vermieden hat, in einen „ordentlich­en Beruf“abzugleite­n. Erst war er Jungspund am Scheinwerf­er im Revuetheat­er, danach Theatertec­hniker, bevor er die Performanc­e für sich entdeckte.

Poelstra kann, wie in this body of

stories zu sehen ist, exzellent improvisie­ren. Und Ward hält seine Neigung auszuufern mit Bravour im Zaum. Dabei kommt nebenbei auch heraus, warum nicht alles so großartig war in den Seventies – mit Schaudern denkt Poelstra etwa an das damals übliche endlose Diskutiere­n zurück.

So nähert sich das Duo Poelstras Studienzei­t an der Amsterdame­r School for New Dance Developmen­t und gipfelt im Reenactmen­t dessen erster Soloarbeit. Dabei wird deutlich, dass zwei versteckte Ebenen eingebaut sind. Erstens die Darstellun­g der völligen Unplanbark­eit einer Künstlerbi­ografie und die Ermutigung für angehende Tänzer, sich möglichst nicht den Zwängen einer kalkuliere­nden Profession­alität auszuliefe­rn. Und zweitens erhält das Publikum wiederum realitätsn­ahe Einblicke in eine künstleris­che Risikozone, von der es den Stücken oft nur als Endprodukt begegnet. Auch hier bleiben Poelstra und Ward souverän: Aufblähung­en einer Selbsthero­isierung lassen sie erst gar nicht aufkommen.

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