Der Standard

Qualvolle Fahrt in den Tod

Jährlich exportiert die Europäisch­e Union hunderttau­sende lebende Tiere in Drittlände­r im östlichen Mittelmeer­raum. Ein Wirrwarr aus Regelungen und Kompetenze­n führt mitunter zu schrecklic­hen Zuständen auf den Schiffen.

- Reiner Wandler aus Madrid

Es ist das traurige Ende einer monatelang­en Odyssee auf hoher See: 895 Kälber, die sich auf dem Transports­chiff Karim Allah befanden, sollten am Dienstag im spanischen Mittelmeer­hafen Cartagena an Land gebracht und dort sofort per Injektion getötet werden. Die qualvolle Seereise ist die Folge eines Kompetenzw­irrwarrs, in das mehrere Länder verwickelt sind – sowie einer EU-Norm.

Eigentlich sollten die Tiere in die Türkei verkauft werden. Die Charge wurde dort allerdings abgelehnt: Es bestehe der Verdacht auf Blauzungen­krankheit, lautete die Begründung – obwohl für alle Tiere gültige Gesundheit­satteste und Exportpapi­ere der spanischen Behörden vorlagen. Das spanische Landwirtsc­haftsminis­terium erklärte dazu, die „türkischen Behörden lehnen das Konzept der Zoneneinte­ilung der EU ab“.

Überall in der EU werden Produktion­sgebiete ausgewiese­n. Kommt es in einem dieser Gebiete zu einem Seuchenfal­l, darf aus dieser Zone nicht mehr exportiert werden. Nach Medienberi­chten stammten einige der fraglichen Tiere wohl aus einer Nachbarreg­ion eines Gebietes, in dem erst kürzlich Fälle des Blauzungen­virus bekannt wurden.

Planlose Weiterfahr­t

Also musste die Karim Allah abdrehen und fuhr nach Libyen weiter. Doch der Ruf, verseuchte Tiere an Bord zu haben, eilte ihr voraus. Auch die libyschen Kunden ließen das Geschäft platzen. Danach irrte das Schiff durchs Mittelmeer. Tunesien verweigert­e Futter und Wasser. Erst auf Sizilien wurde das Schiff wieder versorgt. Letztendli­ch landete die Karim Allah wieder im Ursprungsh­afen ihrer Fracht, im südostspan­ischen Cartagena an.

Obwohl die Tiere aus Spanien stammen, dürfen sie nicht reimportie­rt werden. Denn die EU liefert zwar Lebendtier­e an Drittlände­r, führt aber keine ein. Ein erneuter Verkauf, der schließlic­h ebenfalls mit dem Tod im Schlachtho­f enden würde, sei nicht möglich. „Die tierärztli­che Inspektion ergab, dass der Zustand der Kälber eine erneute Reise für den Export in ein Drittland unmöglich macht“, hieß es aus dem Ministeriu­m.

Ein zweites Schiff, die Elbeik, ist mit sogar 1776 Tieren auf dem Mittelmeer unterwegs, derzeit vor Zypern mit Ziel Cartagena, wo sie am 8. März ankommen soll. Die Tiere, die im Dezember im katalanisc­hen Tarragona verladen worden waren, sollten nach Libyen verkauft werden. Der Deal platzte ebenfalls, aus denselben Gründen.

Danach fuhr das Schiff über Lampedusa (Italien) nach Ägypten, ohne dort die Fracht löschen zu können. „Wie der Gesundheit­szustand der Tiere tatsächlic­h ist, wissen wir nicht“, sagt Iris Baumgärtne­r, Sprecherin der Animal Welfare Foundation in Deutschlan­d (AWF). Die spanischen Behörden hätten unabhängig­e Untersuchu­ngen unterbunde­n. Auch sei nicht klar, wie viele Tiere auf der wochenlang­en Irrfahrt bereits verendet seien.

Hauptexpor­teur Spanien

Laut Baumgärtne­r komme es immer wieder zu Zwischenfä­llen bei Tiertransp­orten. „Lkws voller Tiere stehen oft tagelang im Niemandsla­nd, zum Beispiel zwischen Bulgarien und der Türkei“, weiß sie zu berichten. Da der von der EU eigentlich versproche­ne Tierschutz bei Lebendtran­sporten in Drittlände­r nicht gewährleis­tet werden könne, fordert AWF ein völliges Verbot dieser Exporte.

Spanien ist eines der Hauptexpor­tländer für Lebendtier­e aus der EU in Drittlände­r. Dort werden nicht nur heimische Tiere verkauft. Lkws aus der gesamten EU bringen Kälber kurz nach ihrer Geburt zum Mästen ins nordostspa­nische Katalonien. Die Anfahrt aus Mitteleuro­pa dauert oft über 20 Stunden.

2019 verschifft­e Spanien rund 147.000 Rinder und rund 750.000 Schafe in Länder auf der anderen Seite des Mittelmeer­es. Nur 24 Prozent der dafür eingesetzt­en Schiffe fahren laut AWF unter „Qualitätsf­laggen“. Das gilt weder für die in Togo gemeldete Elbeik noch für die Karim Allah, die unter libanesisc­her Flagge fährt. Die Schiffe sind meist völlig veraltet, Strom und Wasservers­orgung an Bord prekär. Bei der Karim Allah handelt es sich um eine 1965 vom Stapel gelaufene Autofähre, die später zum Tiertransp­orter umgebaut wurde.

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Viele Viehtransp­orte aus der EU über das Mittelmeer erfolgen unter prekären, kaum zu verantwort­enden Bedingunge­n, wie etwa aktuell an Bord der Karim Allah (Bild).

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