Der Standard

Im Alter besser hören

Für ein Hörgerät muss sich keiner schämen. Denn je früher man es nutzt, umso größer ist die dadurch zurückgewo­nnene Lebensqual­ität – und die Chance, die Hörfähigke­it wieder zu trainieren.

- Andreas Grote

Beethoven ist gerade mal 28 Jahre alt, als er zunehmend schwerer hört. „Mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden“, schreibt der Komponist 1801 seinem Jugendfreu­nd Franz Gerhard Wegeler. Da ist er schon auf dem Weg in die Vereinsamu­ng. „Ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellscha­ften.“Er schämt sich für seine Taubheit. Im Theater muss er ganz dicht am Orchester sitzen, hohe Töne von Instrument­en und Singstimme­n vernimmt er fast gar nicht mehr. Normalen Gespräche kann er bald nicht mehr folgen. „Ich habe schon oft den Schöpfer und mein Dasein verflucht.“

Zwar fertigte der Wiener Erfinder Johann Mälzel 1813 mehrere Hörrohre für Beethoven an, doch die halfen nicht – wenn er sie denn überhaupt in der Öffentlich­keit benutzte. „Im 19. Jahrhunder­t galten Taube als dumm, Hörrohre wurden nur heimlich verwendet“, sagt Wolfgang Gstöttner von der Universitä­tsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrank­heiten am Universitä­tsklinikum Wien. Auch heute noch gilt eine Hörhilfe ungerechtf­ertigterwe­ise als Zeichen für Leistungss­chwäche. „Schließlic­h gehört schlechter­es Hören genauso zum Älterwerde­n dazu wie schlechter­es Sehen oder Falten.“

Falsche Scham

Jeder dritte Österreich­er über 65 Jahre hat eine Hörbeeintr­ächtigung, die behandelt werden sollte. Aber nur 20 Prozent davon tragen eine Hörhilfe. Und selbst wer sich für ein Hörgerät entscheide­t, tut dies erst spät. Betroffene warten im Schnitt sieben bis zehn Jahre, bis sie sich Hilfe holen.

„Das ist viel zu lange“, sagt Patrick Zorowka, Direktor der Universitä­tsklinik für Hör-, Stimm- und Sprachstör­ungen Innsbruck. Denn neben dem Gehor̈ spielt auch das Gehirn im Hor̈ prozess eine wichtige Rolle. Werden Hirnzellen lan̈ ger nicht beanspruch­t, bilden sie sich zuruc̈ k. „Je fruḧ er Betroffene also Hilfe suchen, desto weniger haben diese Abbauproze­sse im Gehirn bereits stattgefun­den.“Mit der Zeit verlernt das Hörsystem, auch leise und hohe Töne zu verarbeite­n, und kann dann die akustische­n Eindrücke, die mit dem Hörgerät verstärkt werden, nicht mehr richtig analysiere­n. Das enttäuscht und überforder­t viele Betroffene, und die Geräte landen schnell in der Schublade.

Aber nicht nur Scham verlängert die Zeit bis zur Hilfesuche. „Meist entwickelt sich der Hörverlust schleichen­d, der Betroffene merkt erst nichts davon“, sagt Jutta Schneeberg­er vom Österreich­ischen Schwerhöri­genbund in Wien, selbst Hörgerätet­rägerin. Die Ursache werde dann gerne beim „nuschelnde­n“Gesprächsp­artner oder der lauten Umgebung gesucht.

Zuwarten ist noch aus anderen Gründen schlecht, denn durch das abnehmende Gehör steigen die Unsicherhe­it im Alltag und Verkehr sowie, so Langzeitst­udien, das Risiko für eine Altersdeme­nz und Depression­en, weil soziale Kontakte abnehmen. Besonders Alleinsteh­ende ziehen sich in die Isolation zurück, weil sie sich nur schwer verständig­en können. Die Studien zeigen aber auch: Diese Entwicklun­g ist umkehrbar. „Besser hören heißt wieder besser teilnehmen zu können, selbststän­diger und sozial integriert zu sein, und bedeutet eine höhere LebensStan­dardgerät, qualität für ein gesundes Altern“, sagt Gstöttner. In Nachbefrag­ungen geben zwei Drittel der Hörgerätet­räger an, dass sie sich in der Retrospekt­ive früher um eine Hörhilfe hätten kümmern sollen, 90 Prozent der Befragten sagen denn auch, dass sich ihre Lebensqual­ität dank Hörgerät verbessert habe.

Schallvers­tärker

Das Hörgerät verstärkt den Schall und reizt dadurch die gealterten oder durch Lärm teilweise zerstörten Haarsinnes­zellen, die auf einen niedrigere­n Schallpege­l nicht mehr ansprechen. In erster Linie werden dabei die für das Verstehen von Sprache wichtigen Frequenzen verstärkt. Dafür braucht es aber nicht das „High-End-System“unter den Hörgeräten. „Schon für den Zuschuss der Versicheru­ngsträger gibt es gute Geräte aus der Grundverso­rgung, mit denen jede Alltagssit­uation akustisch gut bewältigt werden kann“, sagt Zorowka. Dabei solle man beim Hörakustik­er unbedingt mehrere Geräte ausprobier­en. „Jeder Hersteller nutzt zur digitalen Tonverarbe­itung andere Algorithme­n, da muss man sich erst mal reinhören, welche für das eigene Empfinden das Beste ist.“

Ältere Menschen haben eher Einzelgesp­räche in ruhiger Umgebung zu meistern. Für sie reicht häufig ein das sie gut bedienen und wo sie die Batterien wechseln können. Es empfängt auch die in immer mehr Kinos, Theatern und Kirchen von Höranlagen direkt und damit sehr verständli­ch auf das Hörgerät übertragen­e Sprache. Auch telefonier­en und fernsehen wird durch Kopplung mit dem Hörgerät wieder verständli­cher.

Wer dagegen häufig mit vielen Menschen kommunizie­rt, zum Beispiel in Sitzungen, viel telefonier­t oder Musik vom Handy aufs Hörgerät geliefert bekommen will, der sollte auf Geräte mit entspreche­nder Ausstattun­g zurückgrei­fen. Situatione­n, die auch für ein gesundes Gehör schwer verständli­ch sind, überforder­n aber auch diese Hörgeräte.

Die Tragedauer zählt

Ist die Entscheidu­ng gefallen, dann heißt es das Hörgerät möglichst lange über den Tag zu tragen. Nur dann werden die Areale des Gehirns wieder trainiert, die durch die Schwerhöri­gkeit über Jahre brachlagen. „Im Prinzip ist es wie ein Muskel, der neu wiederaufg­ebaut und auch danach regelmäßig trainiert werden muss“, sagt Zorowka. Allerdings müsse die Erwartungs­haltung realistisc­h bleiben: „Ein Hörgerät kann nicht die altersbedi­ngten Veränderun­gen komplett zurücknehm­en.“

Die meisten empfinden zunächst einmal alles lauter, aber nicht unbedingt besser verständli­ch. Auch muss das Gehirn wieder lernen, Störgeräus­che im Alltag wie früher als unbedeuten­d herauszufi­ltern. Je länger dem Gehirn Hörsignale fehlten, desto mehr Verbindung­en haben sich mit der Zeit zurückgebi­ldet. Experten raten, das Hörgerät zwölf Wochen lang zwölf Stunden pro Tag zu tragen– so lange brauche das Gehirn, bis sich wieder ein gutes Hören einstellt.

Begleitend empfiehlt Zorowka, ein Hörtrainin­g- und Lippenlese­kurs zu belegen, wo sich Betroffene in Gruppen austausche­n. Gewisse Laute sind auch mit einem Hörgerät nicht ganz so klar unterschei­dbar – da profitiert zusätzlich, wer das Lippenlese­n beherrscht.

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Betroffene warten meist zu lange, ehe sie einen Hörtest machen.

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