Der Standard

Corona-Politik in der Lockdown-Falle

Den Lockdown lockern? Diese Frage bestimmt die Politik in der noch anhaltende­n Pandemie. Um wieder die Handlungsf­ähigkeit zurückzuge­winnen, gilt es nicht nur machtpolit­ischen Verlockung­en zu widerstehe­n.

- Michael Böcher, Max Krott

Seit Anfang November 2020 ertragen Bürgerinne­n und Bürger in Österreich und Deutschlan­d einen mehr oder weniger strengen Lockdown. Aufgrund neuer Mutationen und nur schleppend verlaufend­er Impfungen wird dieser immer wieder verlängert. Ernüchtern­d ist auch die Langfristp­erspektive: Die Lockdowns treffen auf eine labile Pandemiela­ge, die bei Lockerunge­n und der Wucht möglicher Mutationen des Virus sofort wieder zu einem starken Anstieg an Infektione­n führt.

Eine dauerhafte Lösung wird einzig die Herdenimmu­nität bringen, die man sich vom in der Europäisch­en Union nur stotternd angelaufen­en Impfprogra­mm erhofft oder die sich auf natürliche­m Wege einstellt.

Die Politik gibt sich zuversicht­lich, den besten Weg gefunden zu haben. Die bisherige Erfahrung spricht eher dagegen: Zu wirklichen Alternativ­en kann sich die Politik nicht durchringe­n. Halbherzig­e, weil starke wirtschaft­liche Interessen

schonende Lockdowns lassen ein Ende der Pandemie nicht schnell erwarten. Ein stärkerer Fokus auf den Schutz der Risikogrup­pen oder regionalis­iertere Ansätze wurden nicht ernsthaft erwogen. Das gescheiter­te Experiment der Massentest­s in Österreich entmutigt. Auch ein totaler Lockdown, wie ihn China lokal mit großem Erfolg einsetzte, war für Demokratie­n keine ernsthafte Option. Zahlreiche Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter fordern das Umschwenke­n auf eine „No Covid“-Strategie mit je nach Inzidenzen regionalen „grünen Zonen“für Lockerunge­n. An neuen wissenscha­ftlichen Ideen besteht kein Mangel!

Aber warum prüft die Politik nicht ernsthaft Alternativ­en und beharrt auf mittleren Lockdowns mit höchst labilen Pandemieef­fekten? Drei Faktoren halten die Politik in der Lockdown-Falle gefangen:

Verengung der wissenscha­ftlichen Beratungsb­asis Diese findet statt, weil aktuell Virologen und Modelliere­r die Politikber­atung dominieren.

Dadurch werden auch wissenscha­ftlich seriös diskutiert­e Alternativ­en zu Lockdowns, aber vor allem politische, ökonomisch­e, gesellscha­ftliche und nicht Covid-bezogene gesundheit­liche Folgen, die erst mittel- und langfristi­g eintreten, politiktyp­isch ausgeblend­et und deren Bewältigun­g auf nachfolgen­de Regierunge­n und Generation­en verlagert.

Machtpolit­ische Verlockung des Lockdowns Die Lockdown-Politik ist für aktive Politiker wie Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sehr verlockend. Im Sinne einer autoritati­ven Macht, wie sie schon der deutsche Soziologe Heinrich Popitz in seinem Klassiker Phänomene der Macht beschrieb, können sich Politiker als handlungss­tarke, mutige Macher inszeniere­n und endlich mal ungestört „durchregie­ren“, zumal sie mit der Gesundheit des Volkes nur Gutes im Sinn haben. Wen stört da schon die Tatsache, dass Parlamente – als einzig durch den Souverän direkt legitimier­te demokratis­che Institutio­nen – nach wie vor weitgehend entmachtet sind? Bürgerinne­n und Bürger, so die Umfragen, sind infolge einer „Regierung durch Angst“, wie sie der deutsche Politikwis­senschafte­r Wolfgang Merkel bezeichnet, stark orientieru­ngsbedürft­ig und internalis­ieren die Lockdown-Logik mit Zustimmung.

Lockdown in der Pfadabhäng­igkeit Die Lockdown-Politik hat darüber hinaus auch noch etwas erzeugt, das die Politikwis­senschaft als Pfadabhäng­igkeit bezeichnet: Zwar wurden im Verlauf der Pandemie in kürzester Zeit so viele wissenscha­ftliche Ressourcen in unterschie­dlichsten Diszipline­n wie noch nie aktiviert. Der dynamische wissenscha­ftliche Wissenszuw­achs spiegelt sich jedoch nicht in politische­n Maßnahmen wider. Denn im Verlauf einer Krise haben es neue Erkenntnis­se schwer, relevant für politische Entscheidu­ngen zu werden. Die Politik verharrt auf dem einmal eingeschla­genen Weg, einfach weil ein Abweichen den Glauben an die Politik zu erschütter­n droht.

Die Defizitana­lyse zeigt Optionen für die Umsteuerun­g einer Politik auf eine wirkungsvo­llere Pandemiebe­kämpfung auf.

Es gilt erstens, die Wissenscha­ft in ihrer ganzen Vielfalt einzubezie­hen, um wirksame Alternativ­en zu finden. Zweitens kann demokratis­che Kontrolle mögliche negative Folgen der Lockdown-Falle enttarnen, die Machtinter­essen der Regierende­n einhegen und mehr Gerechtigk­eit in der Lastenvert­eilung einfordern. Drittens sind es gerade die kritischen und notwendige­rweise „störenden“Impulse aus einer pluralisti­schen Gesellscha­ft, die den nur scheinbar unumstößli­chen „Sachzwang“der Politik durchbrech­en, um mittel- und langfristi­g aus der Lockdown-Falle zu entkommen.

MICHAEL BÖCHER ist Professor für Politikwis­senschaft an der Otto-von-GuerickeUn­iversität Magdeburg.

MAX KROTT ist Professor für Politikwis­senschaft an der Georg-August-Universitä­t Göttingen.

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Leichte Lockerunge­n verkündete die Regierung von Sebastian Kurz am Montag in Österreich, in Deutschlan­d wird heute beraten.

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